Samstag, 11. Mai 2024

Archiv


Die Brautleute. Eine Mailändische Geschichte aus dem siebzehnten Jahrhundert

"Die Historie kan man füglich als einen ruhmreichen Krieg gegen die Zeit deffiniren, denn indem sie dieser die Jahre, ihre Gefangenen entreißet, rufft sie dieselben wieder zurück ins Leben, hält Heerschaw über sie und reiht sie von Neuwem zur Schlacht. Doch die illustren Kämpen, die auff diesem Kampffplatze Palmen und Lorbeer erringen, erbeuten blos die prunck- und glanzvollsten Stücke, indem sie die Unternehmen von Fürsten und Potentaten und Hochgestellten Personen mit ihren Dinten einbalsamieren und mit der allerfeinsten Nadel des Geistes jene Gold- und Seidenfäden einziehen, so eine fortdawernd Stickerey Ruhmreicher Thaten bilden. Meiner Schwächen ist es indes nicht verstattet, sich auffzuschwingen zu solcherley Themen und gefahrvollen Höhen, wo man sich zwischen Labyrinthen des politischen Ränkespiels und dem Getöse der Kriegsdrommeten beweget."

Maike Albath | 14.05.2000
    Umständlicher geht es wohl kaum. Jemand will eine Geschichte erzählen und verliert sich in Betrachtungen über die Historie im allgemeinen. Sein bescheidenes Werk, so kündigt der Verfasser verschnörkelt an, habe das Schicksal kleiner Leute zum Gegenstand. Aber kaum hat er sein Vorhaben illustriert, versiegt die Stimme des behäbigen Schriftstellers. Knapp zwei Seiten gewährt Alessandro Manzoni seinem erfundenen Anonymus aus der Barockzeit, um ihm mit einem gleichfalls erfundenen Herausgeber auf den Leib zu rücken, der nun das Wort ergreift. Ihm läge eine schwer entzifferbare alte Handschrift vor voller stilistischer Entgleisungen, aber von interessantem Inhalt, teilt der Herausgeber seinen Lesern mit. Statt sie nur zu kopieren, wolle er die Fakten lieber neu ordnen, historische Quellen konsultieren und selbst in den Rock des Erzählers schlüpfen. Und dann fängt die Geschichte endlich an. I promessi sposi, Die Brautleute nennt Manzoni seinen großen Roman, der in ein kleines Dorf am Comer See führt und am Abend des 7. Novembers 1628 mit dem Spaziergang eines Pfarrers beginnt. Dem ängstlichen Don Abbondio lauern zwei Söldner auf, sogenannte Bravi, die im Dienst des mächtigen Don Rodrigo stehen.

    "Herr Pfarrer", sagt einer der beiden, die Augen fest auf sein Gesicht gerichtet. "Was wünscht Ihr?" fragte Don Abbondio sofort und hob die seinen vom Buch, das aufgeschlagen in seinen Händen blieb wie auf einem Lesepult. "Ihr habt die Absicht", sagte der andere in drohendem und erbostem Ton, als hätte er einen Untergebenen bei der Planung eines Schurkenstreiches ertappt, "Ihr habt die Absicht, morgen Renzo Tramaglino und Lucia Mondella zu trauen!" "Nun, ja...", antwortete Don Abbondio mit zittriger Stimme. "Nun, ja, die Herren sind doch Männer von Welt und wissen, wie so etwas geht. Der arme Pfarrer hat gar nichts zu melden: Die Leute machen ihre Sachen unter sich ab, und dann.... dann kommen sie zu uns, so wie man zu einer Bank geht, um etwas abzuheben. Wir sind... wir sind nur die Diener der Allgemeinheit." "Also gut", sagte der Bravo dicht an seinem Ohr, aber in feierlichem Befehlston, "diese Trauung wird nicht stattfinden, weder morgen noch sonst irgendwann."

    Don Rodrigo, der ortsansässige Lehnsherr, hat nämlich selbst ein Auge auf die herzensgute Lucia geworfen und eine Wette mit seinem Vetter Attilio abgeschlossen, daß er in den Besitz des Bauernmädchens gelangen werde. Aber der Edelmann hat seine Rechnung ohne Renzo gemacht, Lucias Verlobten, der dem feigen Pfarrer sofort auf die Spur kommt und gemeinsam mit seiner Schwiegermutter in spe, der patenten Agnese, eine List ersinnt. Man solle Don Abbondio im Beisein zweier Zeugen überraschen, die Trauungsformel aussprechen und damit eine Eheschließung erzwingen. Die verzagten Verlobten bitten außerdem den Kapuzinermönch Pater Cristoforo um Hilfe, der bei Don Rodrigo vorspricht, ohne etwas ausrichten zu können. Die Ereignisse überstürzen sich: Aus Wut über den anmaßenden Pater Cristoforo beschließt Don Rodrigo, Lucia zu entführen. Seine Bravi schreiten just an dem Abend zur Tat, als Lucia und Renzo den Pfarrer überrumpeln und nicht Zuhause sind. Don Abbondio schlägt Alarm und läutet die Kirchenglocken, die Bravi fühlen sich ertappt und kehren unverrichteter Dinge auf Don Rodrigos Schloß zurück. Für Renzo, Lucia und Agnese ist ihr Dorf dennoch zu gefährlich geworden, sie müssen fliehen und im Ausland Asyl suchen. Wirkungsvoll kontrastiert Manzoni die bewegungsreichen Szenen mit dem empörten Pfarrer, seiner kreischenden Haushälterin, der aufgelösten Lucia und den Hals über Kopf davon stürzenden Bravi mit einer idyllischen Landschaftsbeschreibung. Wie eine Kamera gleitet der Blick des Erzählers über den nächtlichen See hinweg.

    Sie begaben sich leise zum Ufer an die angegebene Stelle, sahen das Boot bereitliegen, tauschten die Losungsworte und stiegen ein. Der Schiffer stemmte ein Ruder gegen das Ufer und stieß sich ab, ergriff dann das andere und ruderte kraftvoll auf den See hinaus, dem anderen Ufer entgegen. Kein Lufthauch regte sich, der See lag glatt und still und wäre gänzlich reglos erschienen, hätte es nicht das leichte Zittern und Schaukeln des Mondes gegeben, der sich von der Mitte des Himmels herab darin spiegelte. Zu hören war nur das träge Klatschen der Wellen auf dem Kies am Ufer, das weiter entfernte Gurgeln des zwischen den Brückenpfeilern gestauten Wassers und das gemessene Schlagen der beiden Ruder, die das weite Blau des Sees zerschnitten, im gleichen Takt triefend daraus emporfuhren und wieder eintauchten. Die vom Bug zerteilte Flut, die sich hinter dem Heck wieder schloß, hinterließ einen gekräuselten Streifen, der sich zum Ufer hin verlor. Still betrachteten die Passagiere, den Blick zurückgewandt, die Berge und das mondhelle, da und dort mit großen Schatten gefleckte Land. Man erkannte die einzelnen Dörfer, die Häuser, die Hütten. Das Schloß Don Rodrigos mit seinem gedrungenen Turm hoch über den am Fuß des Hanges zusammengekauerten Hütten glich einem Unhold, der aufrecht im Dunkeln inmitten einer Horde Schlafender wacht, um auf Untat zu sinnen. Lucia sah es und erschauerte.

    Nach der Überfahrt trennen sich die Wege: Lucia gelangt in die Obhut eines Klosters in Monza, und Renzo geht nach Mailand. Zwei Jahre und rund 800 Romanseiten wird es dauern, bis sich die Verlobten wieder in die Arme schließen. Liebespaare, die auseinander gehen und nach abenteuerlichen Verwicklungen erneut zusammen kommen, sind schon in der Antike gang und gäbe, aber Manzoni verknüpft das bewährte Handlungsmuster mit avanciertester Geschichtstheorie und aufklärerischem Gedankengut. 1785 in Mailand geboren, hatte er zu Beginn des Jahrhunderts eine Weile bei seiner Mutter in Paris gelebt, die einschlägigen Salons frequentiert, seiner Spielleidenschaft gefrönt und eifrig debattiert. Der kritische Geist der französischen Philosophie und seine Freundschaft mit dem Historiker Claude Fauriel prägten Manzonis Verständnis von Literatur, woran auch eine große Lebenskrise und die Rückbesinnung auf den katholischen Glauben nichts änderten. Die Literatur, davon ist der Schriftsteller 1820 überzeugt, hat eine sittliche und erzieherische Aufgabe, weshalb er den Plan faßt, nicht nur für eine Elite zu schreiben, sondern für das gesamte Volk. Italien, politisch zerrissen und in Teilstaaten zersplittert, besitzt keine nationale Identität, ja, nicht einmal eine gemeinsame Sprache. Auf den Straßen von Mailand, Turin, Florenz und Rom spricht man den jeweiligen Dialekt, für den Schriftverkehr bedient man sich eines verstaubten Toskanisch. Sowohl die Sprachenfrage als auch der Gedanke eines vereinten Italien, so argumentiert man in Mailands intellektuellen Kreisen, müsse durch ein nationales Kulturgut befördert werden. Durch Walter Scotts Ivanhoe war der historische Roman in Mode gekommen, und auch Manzoni entscheidet sich für einen geschichtlichen Stoff. Um die Ehe geht es in seinen Brautleuten eigentlich nur am Rande. Manzonis Figuren, allen voran der unermüdliche Renzo, werden zu Spielbällen der Zeitläufte. Historische Umwälzungen mit individuellen Schicksalen zu verbinden, ist damals eine neuartige literarische Praxis, die das Publikum begeistert. Gemeinsam mit dem gutmütigen Dörfler kann der Leser die Folgen des Dreißigjährigen Krieges besichtigen, wird in die Mailänder Brotrevolte hineingezogen, erleidet die Maßnahmen einer korrupte Regierung und erlebt die Ausbreitung der Pest. Selbst Erläuterungen zu theoretischen Fragen werden durch diesen erzählerischen Schachzug spannend und mitreißend. Dann und wann läßt Manzoni historische Persönlichkeiten an Renzo oder Lucia vorbei spazieren und teilt ihnen Nebenrollen zu: zum Beispiel dem spanischen Großkanzler von Mailand Antonio Ferrer, dem Kardinal Federigo Borromeo und der Nonne von Monza. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen allerdings, wie in der gespreizten Vorrede angekündigt, die einfachen Leute, und auch das ist damals ultramodern. Renzo, Lucia und Agnese sind keine strahlenden, furchtlosen Helden, sondern unterprivilegierte Landbewohner, die weder Schreiben noch Lesen können. Manzonis Sympathie gehört den bescheidenen Dörflern, die anders als die korrupten Machthaber ein moralisches Empfinden besitzen. Trotz ihres gesunden Menschenverstandes sind sie den Mächtigen ausgeliefert und nicht in der Lage, ihre Rechtsansprüche durchzusetzen. Das Heiratsverbot ist bei Manzoni kein von Gott gewollter Schicksalsschlag, sondern eine Folge der sozialen Stellung. Als von Mißernten und Hungersnöten die Rede ist, flicht Manzoni einen nationalökonomischen Exkurs ein und erläutert, wie sich Waren verknappen und Preise steigern können. Die Folge ist große Armut.

    "Auf Schritt und Tritt geschlossene Läden; die Werkstätten größtenteils verödet; die Straßen ein unsäglicher Anblick, ein unaufhörlicher Strom des Elends, ein permanentes Schauspiel des Leidens. Die professionellen Bettler, inzwischen geringer an Zahl als die anderen, verloren in einer neuen Menge und oftmals gezwungen, das Almosen denen streitig zu machen, von denen sie es an besseren Tagen bekamen. Verkäufer und Laufburschen, entlassen von Ladenbesitzern, die, da der Tagesverdienst verringert oder ganz weggefallen war, kümmerlich von Ersparnissen und vom Kapital lebten; Ladenbesitzer selbst, die das Stocken der Geschäfte in Bankrott und Ruin geführt hatte; Handwerksgesellen und sogar Meister aller Gewerbe und Manufakturen, der gewöhnlichsten wie der feinsten, der notwendigsten wie der dem Luxus dienenden, die von Tür zu Tür zogen, von Straße zu Straße, an den Ecken lehnten, auf dem Pflaster kauerten längs der Häuser und Kirchen und um Almosen baten, kläglich oder auch zögernd zwischen der Not und einer noch nicht bezwungenen Scham, abgezehrt, kraftlos, zitternd vor Kälte und Hunger in ihren spärlichen und verschlissenen Kleidern, die jedoch bei vielen noch Spuren früheren Wohlstands aufwiesen, wie auch in der Untätigkeit und Erniedrigung noch etwas von arbeitsamen und selbstbewußten Gewohnheiten zu erkennen war."

    Wie seine französischen Kollegen Balzac und Stendhal ist Manzoni fasziniert von Menschenmengen, aber die Figuren seiner Tableaus besitzen individuelle Züge. Der Erzähler bewegt sich durch den Raum und nimmt zuerst die Straßenzeile in den Blick, dann gleitet sein Auge weiter und fällt auf die Menschen: Berufsstand, Kleidung, Alter, Körperhaltung und Gesichtszüge werden beschrieben, das Private ist auch im öffentlichen Raum nicht ausgeblendet. Auf die krassen realistischen Passagen über die Hungersnot folgen Schilderungen der politischen Maßnahmen, die von Ironie durchdrungen sind, Manzonis bevorzugtem Stilmittel überhaupt. Vor allem die Adligen haben unter seiner spitzen Zunge zu leiden. Die großflächigen Stadtpanoramen wechseln mit der subjektiven Wahrnehmung der Verhältnisse, immer wieder taucht der Erzähler in das Innenleben Renzos oder Lucias ein. In einem fort schwatzen, plaudern und schimpfen die Figuren vor sich hin, Manzoni wartet mit unzähligen Stilebenen auf, benutzt die angeblich erst von Flaubert erfundene erlebte Rede und hüpft von einer Perspektive zur anderen. In dem Kapitel über die Mailänder Brotrevolte begleitet der Erzähler seitenlang die protestierenden Menschenmassen, um dann plötzlich in die Haut des verängstigten Statthalters zu schlüpfen, der sich in seinem Haus verbarrikadiert hat.

    "Leute", ruft er. Viele blicken nach oben. "Liebe Leute, Kinder, geht doch nach Hause. Generalpardon für jeden, der sofort nach Hause geht!" "Brot! Brot! Aufmachen! Aufmachen!" sind die vernehmlichsten Worte in dem wüsten Geschrei, das die Menge als Antwort ausstößt. "Nehmt doch Vernunft an Kinder! Überlegt euch, was ihr tut, noch ist es nicht zu spät. Los, geht nach Hause. Brot, ja, Brot werdet ihr bekommen, aber so geht es nicht...He, he, was macht ihr da? Heda! Ihr an der Tür! Pfui, pfui! Ich sehe alles, ich sehe alles. nehmt doch Vernunft an! Paßt auf, das ist ein schweres Delikt. Jetzt kriegt ihr's mit mir zu tun. He, he, laßt das! Weg mit den Eisenstangen! Hände weg. So eine Schande! Ihr Mailänder seid doch auf der ganzen Welt für eure Gutmütigkeit berühmt. Hört doch, so hört doch, ihr seid doch immer gute Kin.... Ah, Kanaillen!"

    Und wo steckt Renzo? Statt wie geplant in einem Kapuzinerkloster Quartier zu nehmen, will er sich die rebellierenden Mailänder aus der Nähe anschauen, beobachtet die Plünderungen einiger Bäckereien, spricht dem Rotwein zu und schwingt selber kluge Reden. Den durchtriebenen Städtern ist der sympathisch-naive und ein wenig tölpelhafte Renzo nicht gewachsen - binnen 24 Stunden wird er verhaftet und als Aufwiegler beschuldigt. Während Renzo von einer Falle in die nächste tappt, unzählige Fehler begeht, aber nach Bildungsroman-Manier durch die Erfahrungen zu einem sittlich gefestigten Bürger heranreift, hockt Lucia in ihrem Kloster und ist zur Passivität verdammt. Erst als Don Rodrigo beschließt, die schmachvolle Niederlage nicht länger auf sich sitzen zu lassen und einen gefürchteten Raubritter zu Rate zieht, kommen Lucias Qualitäten zum Tragen. Der grausame Ritter, bei Manzoni nur als "der Unbenannte" erwähnt, fackelt nicht lange, inszeniert eine Entführung und läßt Lucia auf seine Burg bringen.

    "Alles aufs pünktlichste ausgeführt", meldete der Bravo und verbeugte sich. "Die Anweisung pünktlich, das Mädel pünktlich, niemand zugegen, ein einziger Schrei, niemand aufgetaucht, der Kutscher bereit, die Pferde tüchtig, keine Begegnung unterwegs. Aber...." "Aber was?" "Aber... ehrlich gesagt, ich hätte es lieber gehabt, wenn der Befehl gelautet hätte, ihr eine Kugel in den Rücken zu schießen, ohne sie reden zu hören, ohne ihr ins Gesicht zu sehen". "Was? Was soll das heißen?" "Das soll heißen, das sie mir die ganze Zeit... daß ich während der ganzen Zeit mit ihr... daß ich zuviel Mitleid mit ihr gehabt habe." "Mitleid? Was weißt du denn von Mitleid? Was ist Mitleid?" "Ich hab's noch nie so gut begriffen wie diesmal: Mit dem Mitleid ist es ein bißchen so wie mit der Angst: Wer sich davon packen läßt, ist kein Mann mehr."

    Das gottesfürchtige Bauernmädchen erreicht die Bekehrung des Unbenannten, der sich über Nacht zu einem guten Menschen wandelt und Lucia samt Mutter Agnese unter seinen Schutz stellt. Lucia wird nach Mailand gebracht. Aber sie ist trotzdem nicht glücklich, denn außer sich vor Angst hatte sie nach ihrer Entführung ein Gelübde abgelegt - die Hochzeit mit Renzo wird platzen, auch ohne Don Rodrigo. Aber Renzo wäre nicht Renzo, wenn er sich davon ins Bockshorn jagen ließe. Inwischen verwüsten marodierende Söldnertruppen das Land, die Armut nimmt zu, eine Pestepidemie greift um sich. Von der furchtbaren Seuche genesen, begibt sich Renzo auf die Suche nach seiner Verlobten. An jeder Straßenecke kommen ihm Karren mit Pesttoten entgegen.

    Die Leichen, von denen die meisten nackt und einige notdürftig in Lumpen gehüllt waren, lagen auf- und übereinander, miteinander verschlungen wie ein Pulk Schlangen, der sich in der Frühlingswärme langsam auseinanderwindet, denn bei jedem Stoß und jeder Erschütterung sah man die schaurigen Haufen erzittern und grausig in Bewegung geraten, Köpfe baumelten, jungfräuliche Haartrachten lösten sich auf, Arme hingen herunter und schlugen an die Räder, als wollten sie dem ohnehin schon entsetzten Auge zeigen, wie ein solches Schauspiel noch schmerzlicher und grauenhafter werden konnte. Renzo war an der Seite des Platzes nahe dem Kanalgeländer stehengeblieben und betete für die unbekannten Toten. Plötzlich fuhr ihm ein gräßlicher Gedanke durch den Sinn: "Vielleicht liegt da, dazwischen, darunter... O Herr, gib, daß es nicht wahr ist! Gib, daß ich nicht daran denke!"

    Auch Lucia ist von der Pest verschont geblieben. Renzo spürt sie im Lazarett der Stadt auf, und nachdem Pater Cristoforo sie von ihrem Gelübde entbindet, kehren die beiden in ihr Dorf zurück. Aber ein Happy End mit einem großen Hochzeitsmahl wäre für Manzoni ein viel zu leichtes Spiel. Weil Renzo in Bergamo als Seidenspinner ein Auskommen findet, verläßt das frisch getraute Paar die alte Heimat und siedelt ins Ausland über. Damit skizziert Manzoni einen geschichtlichen Prozeß: Aus den Angehörigen der archaischen Dorfgemeinschaft unter spätfeudaler Herrschaft werden freie kleinstädtische Unternehmer.

    1827 erscheint in Mailand die erste Ausgabe der Brautleute, und der Erfolg des dickleibigen Werkes übertrifft sämtliche Erwartungen: 40 Auflagen innerhalb des ersten Jahres, Übersetzungen ins Französische, Deutsche, Englische und Spanische. Gleich nach der Veröffentlichung macht sich Manzoni an die sprachliche Überarbeitung der vorliegenden Fassung. Mithilfe toskanischer Wörterbücher spürt er dialektale Redeweisen auf und tilgt sämtliche Regionalismen. Eine natürliche und lebendige Sprache schwebt ihm vor, die von der Bevölkerung sämtlicher italienischer Teilstaaten verstanden werden kann. "La risciaquatura nell'Arno", die "Spülung in den Wassern des Arno" ist vonnöten, und Manzoni reist samt Ehegattin und Kinderschar nach Florenz, sperrt auf Märkten und in Geschäften die Ohren auf und veröffentlicht auf eigene Kosten 1840 die endgültige Fassung seines Romans. Die skandalöse Wirkung seines gesprochenen Florentinisch kann man heute nur noch erahnen, galt doch das literarische Toskanisch Dantes und Petrarcas als verbindliche Sprachnorm.

    Nach den rund 15 Übersetzungen, die seit 1827 in deutscher Sprache erschienen sind, legt Burkhart Kroeber nun eine neue Übertragung des berühmten Buches vor. Obwohl Manzonis Roman bei uns unter dem Titel Die Verlobten eingeführt ist, wählt Kroeber einen neuen Titel, der näher am Original liegt und in der Tat viel besser paßt: Die Brautleute. Für den deutschen Leser ist Kroebers Übersetzung ein großer Gewinn. Kroeber findet ein Äquivalent zu Manzonis bedächtig dahin fließendem Erzählstil, seine Sprache ist geschmeidig und sieht von der kompletten syntaktischen Umformung ab. Statt die langen, verschachtelten Perioden Manzonis in lauter kleine Sätze zu zerhacken, wie in anderen Übersetzungen geschehen, bildet er die Folge der Satzteile soweit wie möglich nach. Auch die vielen verschiedenen Nuancen und Stillagen bleiben erhalten, allem voran die subtile Ironie des Mailänder Schriftstellers.

    "Nach langer Debatte und gemeinsamer Suche kamen Renzo und Lucia dann überein, daß Unglück und Nöte zwar häufig kommen, wie man ihnen Grund zum Kommen gegeben hat, aber daß, wenn sie kommen, ob durch eigene Schuld oder nicht, sie durch das Vertrauen in Gott gemildert und für ein besseres Leben nützlich gemacht werden können. Dieser Schluß scheint uns so richtig, obwohl er von einfachen Leuten gezogen worden ist, daß wir ihn hier ans Ende setzen wollen, gleichsam als den Kern der ganzen Geschichte."

    Ein wenig altväterlich linst der Erzähler seinen Gestalten hier über die Schulter und schlägt augenzwinkernd ein letztes Mal seinen ironischen Plauderton an, nach dem man süchtig werden kann.