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Die Deutschland-Promenade in Guangzhou

"Deutschland und China - Gemeinsam in Bewegung" heißt eine mehrjährige Veranstaltungsreihe unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler und Chinas Staatspräsident Hu Jintao. Ziel des Kulturaustausches ist es, "gegenseitiges Verstehen als Grundlage erfolgreicher Zusammenarbeit zu fördern und das Bild von Deutschland als einem zukunftsorientierten, innovativen Land zu stärken". Derzeit fördert und stärkt man sich in der Stadt Guangzhou in der chinesischen Provinz Guangdong.

Von Markus Rimmele |
    Noch sitzen sie am Tisch und lesen ihre Texte ab. Doch bald schon werden die Bühnenproben beginnen. Die jungen Schauspieler werden tanzen und singen, werden einen deutschen Hit der 80er Jahre aufführen: Linie 1, das Musical aus dem Berliner Gripstheater, die Geschichte vom Landmädchen, das in die Stadt kommt. Aus dem originalen Berlin der 80er Jahre wurde in der Übersetzung eine chinesische Millionenmetropole heute. Ein paar Szenen wurden angepasst. Im Wesentlichen aber ist das Stück das Gleiche. Und wird trotzdem verstanden.

    Auch wenn das Stück schon 20 Jahre alt sei, könne sie sich mit den Figuren und der Geschichte identifizieren, sagt die junge Schauspielerin. Ein 20 Jahre altes chinesisches Stück hätte mit der Realität heute wohl nur wenig zu tun. Dieses Stück aus Deutschland aber sei für sie ganz aktuell.

    Die Theaterprobe findet in Guangzhou statt. Die Zehn-Millionen-Metropole am Perlfluss und die sie umgebende Provinz Guangdong erleben den wohl schnellsten Urbanisierungsprozess der Menschheitsgeschichte. Und die Themen der Linie 1 sind hier vermutlich drängender, als sie in Berlin jemals waren: Stadt-Land-Gefälle, Generationenkonflikte, soziale Gegensätze.

    Die Musical-Produktion mit einer jungen Guangzhouer Theatertruppe ist Teil der auf mehrere Jahre angelegten Großveranstaltung mit dem sperrigen Namen "Deutschland und China - gemeinsam in Bewegung".

    Die so genannte Deutschlandpromenade ist das Herzstück der Veranstaltung: ein paar Pavillons, eine Live-Bühne, ein Biergarten. Auch hier geht es darum - wie bei der Linie 1 -, deutsche Erfahrungen und Lösungen auf chinesische Probleme anzuwenden. Modernisierungsprobleme, die Deutschland schon früher hatte und die China jetzt im Zeitraffer durchlebt. Das zentrale Thema ist der Urbanisierungsprozess. Das erfordert einen inhaltlichen Rundumschlag, erklärt Michael Kahn-Ackermann, Goethe-Institutsleiter aus Peking und verantwortlich für das Ereignis:

    "Ich behaupte einfach, dass der Reiz dieses Platzes darin besteht, dass er eben eine Synthese ist von kultureller Präsentation und von technologischer Präsentation und dass beide sich eben um das Thema Urbanität bewegen. Und die Faszination, die von Technologie ausgeht - und natürlich sind viele der Fragen wie Reinhaltung von Wasser, Verkehrsplanung technische Fragen - sich verbindet mit einem Anspruch, das als einen kulturellen Prozess zu begreifen."

    Nachhaltigkeit als deutsches Kulturgut - das ist die Idee. Und so findet alles nebeneinander statt auf der Deutschlandpromenade: Wärmedämmung und deutsch-chinesisches Tanztheater mit Großstadtthematik. Die Konferenz zur Sozialverantwortung von Unternehmen und die Werkschau zeitgenössischer chinesischer Künstler. Und Deutschland steht immer Pate. Für viele Besucher ist das alles sehr neu.

    Er wisse nichts über Deutschland, sagt der 18-jährige Liu Xiaoping. Er wisse nur, dass die Deutschen sehr klug seien. Denn deutsche Produkte hätten so eine gute Qualität.

    Das landläufige einseitige Bild in China. Einige Sponsoren, Deutschlands große Konzerne, hauen leider in diese Kerbe, stellen zum Teil Kühlschränke aus. Das gleicht einer Handelsmesse. Doch immerhin schafft es dann wieder die Kunst, dem Ort das allzu Banale zu nehmen. Die Pavillons etwa sind Kreationen des Münchner Installationskünstlers Markus Heinsdorff. Er hat Bambus benutzt, einen urchinesischen Baustoff, heute aber völlig verdrängt von Glas und Stahl.

    "Wir haben ja hier als Deutschlandpromenaden-Thema nachhaltige Architektur, nachhaltige Urbanisation. Das heißt, ich stelle diesen Wolkenkratzern und diesen Beton- und Glasfassaden ganz bewusst eher schon eine dörflich anmutende Platzsituation, fast einen Marktplatz schon gegenüber."

    Es ist eine kleine, gebildete Schicht von Chinesen, die sich für diesen deutschen Weltverbesserungsvorschlag interessiert. Überschätzen sollte man die Wirkung auf Chinas Entwicklung nicht, sagt Michael Kahn-Ackermann vom Goethe-Institut:

    "Es sind natürlich nicht wir diejenigen, die diesen Wandel beeinflussen. Also hier sind gesellschaftliche und kulturelle Kräfte am Werk, die über das, was ein Goethe-Institut leisten kann, hohnlachend hinweg schreiten."