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Die Einigung beim Bleiberecht

Auf die Eckpunkte zum Bleiberecht hatten sich am Dienstag Fachpolitiker beider Koalitionsfraktionen in Berlin verständigt. Danach müssen Ausländer mindestens sechs beziehungsweise acht Jahre in Deutschland gelebt haben, um dauerhaft bleiben zu können. Den Zugang zum Arbeitsmarkt will die Politik jetzt erleichtern. Die Geduldeten sollen die Kassen der öffentlichen Hand nicht länger belasten.

Von Dorothea Jung | 14.11.2006
    "Was wollen wir?

    Bleiben!

    Was wollen wir?

    Bleiben!

    Bleiberecht für alle, Bleiberecht für alle!"

    Lange haben junge Flüchtlinge aus ganz Deutschland dafür gekämpft - und vor wenigen Stunden kam die Nachricht: Es wird in Deutschland ein Bleiberecht für geduldete Flüchtlinge geben. Noch im Frühjahr hatten die Demonstranten, die sich "Jugendliche ohne Grenzen" nennen, bei einer Innenministerkonferenz in Garmisch-Partenkirchen kein Gehör gefunden. Mit dabei war damals die 22-jährige Paimana Heydar. Sie kommt aus Afghanistan und lebt seit elf Jahren in der Bundesrepublik.

    "Ihr nennt uns die Zukunft, wir sind aber auch die Gegenwart - und deshalb fordern wir: Alle Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland zur Schule oder in den Kindergarten gehen, die hier leben, hierher geflohen oder hier geboren sind, sollen weiter das Recht erhalten, mit ihren Verwandten in der Bundesrepublik zu leben. Ihre Eltern sollen arbeiten dürfen, um für ihre Kinder sorgen zu können und weiterhin hier zu leben."

    Paimana Heydar und ihre Mitstreiter gehören zu einer Gruppe von fast 200.000 Ausländern, die in der Bundesrepublik "geduldet" sind. Das heißt: Ihr Asylantrag wurde abgelehnt oder ihr Visum ist abgelaufen, und sie wären eigentlich zur Ausreise verpflichtet. Da sie aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, dürfen sie vorläufig da bleiben und müssen ihre Duldung etwa alle drei Monate verlängern lassen. "Die meisten der Geduldeten kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus der Türkei", sagt Volker Maria Hügel aus Münster. Der Mitarbeiter von Pro Asyl kennt viele Flüchtlinge, die sich schon seit Jahren von Duldung zu Duldung hangeln:

    "Dazu kommen die Personen, die zwar mal als Flüchtling anerkannt waren, aber deren Status widerrufen worden ist, und das betraf vor allen Dingen Flüchtlinge aus dem Kosovo (Albaner); das betraf afghanische Flüchtlinge und auch Flüchtlinge aus dem Irak; das Bundesamt, das dafür zuständig ist, sagt ganz einfach beim Irak: "Der Saddam Hussein ist weg, dann kann man ja ganz gemütlich zurückkehren, alles kein Problem"; das Gleiche sagt man zu Afghanistan: "Da sind die Taliban weg". Vor diesem Hintergrund hat man über 45.000 Personen zusätzlich noch in die Gefahr der Abschiebung hineingeschubst."

    Die Gründe, warum Ausländer, die das Land eigentlich verlassen müssen, in der Bundesrepublik trotzdem geduldet werden, sind vielfältig. Im Aufenthaltsgesetz steht: Die Abschiebung wird ausgesetzt, wenn rechtliche und tatsächliche Gründe dagegen sprechen. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich eine Fülle von Erklärungsmöglichkeiten, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat in Berlin. Manchmal können die Geduldeten keine Papiere vorweisen. Mitunter bekommen sie auch keine von ihren Heimatländern. Manchmal gibt es keine Flugverbindungen in die Herkunftsländer - und, und, und. Am häufigsten stehen der Abschiebung humanitäre Überlegungen im Weg:

    "Es kann jederzeit eine Abschiebung drohen, wenn denn die erforderlichen Papiere da sind und das Herkunftsland mitspielt. Vielfach spielt das Herkunftsland aber nicht mit, oder die Betroffenen sind krank; oder - Fakt ist zum Beispiel, dass im Asylverfahrensgesetz steht: Flucht vor Krieg, vor Bürgerkrieg ist offensichtlich unbegründet, ein Asylbegehren, wenn ein Flüchtling Asyl beantragt; Fakt ist aber, dass diejenigen trotzdem hier bleiben und nicht abgeschoben werden können."

    Nun sollen Menschen, die sich schon lange mit eine Duldung in Deutschland aufhalten, eine Perspektive bekommen, denn die fehlt ihnen angesichts zahlreicher Einschränkungen und Vorschriften bisher:

    Da ist zunächst einmal die so genannte Residenzpflicht zu nennen. Sie besagt, dass sich die Geduldeten nur in dem Landkreis aufhalten dürfen, der ihnen von der Ausländerbehörde zugewiesen wird. Das bedeutet nicht nur, dass sie Verwandte oder Freunde in anderen Gegenden Deutschlands nicht besuchen dürfen. Für Menschen, die in der Provinz leben, kann die Residenzpflicht auch bedeuten, dass sie sich nirgendwo Rat holen können. Der 25-jährige Ibrahim Delen jedenfalls ist froh, dass er in Berlin lebt und nicht beispielsweise in der brandenburgischen Uckermark:

    "Wenn ich dort sitzen würde, wüsste ich überhaupt nicht, wo ich hingehe, wenn ich von der Ausländerbehörde die Abschiebeandrohung bekomme und mich für einen bestimmten Zeitpunkt fertig machen sollte - da weiß man überhaupt nicht, an wen man sich wenden soll. Man bekommt sowieso eingeschränkte Leistungen. Und es kommt auch noch dazu, dass man auch eventuell einen Anwalt nicht bezahlen kann. Wenn man die Informationen nicht hat und nicht an Flüchtlingsorganisationen rankommen kann, heißt das eigentlich: Du bist machtlos. Es kann sein, dass jemand am frühen Morgen bei dir anklopft, dich mitnimmt und abschiebt."

    Ibrahim Delen ist Kurde. Er wurde von seinen Eltern als 14-Jähriger unbegleitet aus der Türkei nach Berlin geschickt - zu Verwandten. Das war 1994, als das türkische Militär sein halbes Dorf verhaftete. Während die deutschen Behörden über seinen Asylantrag entschieden, machte Ibrahim Delen sein Abitur, studierte mit einer Sondergenehmigung Jura an der Freien Universität und legte das schriftliche Examen ab. Doch vor zwei Wochen wurde sein Asylantrag abgelehnt - nach zwölf Jahren. Jetzt ist Ibrahim Delen ein Geduldeter. Das bedeutet: Er darf nicht weiterstudieren und auch seinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten wie bisher. Sein Job unterliegt nun der so genannten Vorrangsprüfung der Beschäftigungsverfahrensverordnung des Aufenthaltsgesetzes.

    Delen: "Die Ausländerbehörde nimmt den Antrag entgegen, leitet das ans Jobcenter weiter und das Jobcenter prüft, ob zunächst deutsche Staatsangehörige in Betracht kommen, dann EU-Angehörige, dann Migranten mit festem Aufenthaltsstatus, und als Vierter kommst Du erst dran. Das heißt: Wenn alle diese Menschen diesen Job nicht wollen, dann kann es sein, dass man sagt: "Okay Sie dürfen arbeiten." Aber dazu kommt es kaum."

    Deswegen ist der Aufenthalt der Geduldeten meistens erzwungenermaßen staatlich finanziert. Beispiel: Familie Akinci aus Berlin Neukölln.

    "Mein Vater würde gerne arbeiten, aber er darf nicht," übersetzt Mashallah Akinci die kurdischen Worte ihres Vaters. Die Familie verließ vor fünf Jahren die Türkei, weil sie sich dort als Kurden schikaniert und unterdrückt fühlten.

    Mashallah Akinci: "In der Türkei hat mein Vater als Taxifahrer gearbeitet und: Die sollten uns eigentlich unsere Aufenthaltsgenehmigung geben, dass wir arbeiten, nicht vom Staat leben und Geld verdienen; dass sie jetzt wissen, dass wir nicht irgendwie wegen Geld oder Vom-Staat-leben hier hingekommen sind. Wir sind eigentlich auch hier nach Deutschland gekommen, weil hier haben die Menschenrechte, man hat mehr Rechte, und in der Türkei hat man die Sachen nicht."

    Den Zugang zum Arbeitsmarkt will die Politik jetzt erleichtern. Die Geduldeten sollen die Kassen der öffentlichen Hand nicht länger belasten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kosten sie den Staat nämlich rund 1,2 Milliarden Euro im Jahr. Um diese Kosten zu minimieren, hatte die Politik in den vergangenen Jahren die Sätze der Sozialleistungen für Geduldete gekürzt, - so Georg Classen vom Flüchtlingsrat in Berlin:

    "Das ist eine Form de Sozialhilfe, die aber gegenüber der Sozialhilfe für Deutsche oder dem Arbeitslosengeld II um 35 Prozent gekürzt ist; die zudem in der Praxis häufig noch wesentlich weiter gekürzt ist, weil nur 1 Euro 30 am Tag - 40 Euro im Monat - in bar ausgezahlt werden; der Rest ist in Wertgutscheinen oder Essenspaketen vorgesehen."

    Trotz der Wohnortbeschränkung, trotz der gekürzten Sozialleistungen, trotz des faktischen Arbeitsverbotes, leben zwei Drittel der Geduldeten länger als fünf Jahre in Deutschland. Familien bekommen Kinder. Die Kinder gehen hier zur Schule. Für eine Ausbildung erhalten sie keine Genehmigung. Es sind Kinder, die irgendwann realisieren, dass sie weder in Deutschland eine Zukunft haben, noch in dem Land, in das sie abgeschoben werden sollen. Jugendliche wie Egzon Rexhepi aus dem Kosovo und Temoolin Ayush aus der Mongolei.

    Temoolins Eltern wollten nach ihrem Studium in Berlin nicht mehr in die Mongolei zurückkehren; und Egzons Mutter zwang der Bürgerkrieg zum Verlassen ihres Landes.

    Egzon Rexhepi und Temoolin Ayush: "Wir hatten auch Angst, wenn die uns erwischen und abschieben, wo sollen wir denn da hin? Wir kennen niemanden, alle wurden umgebracht! Zu wem sollen wir denn da hin? Wir kennen nicht die Sprache! Ich kenne die deutsche Geschichte besser als meine eigene! Und die Sprache sowieso! In der Mongolei hätten wir gar keine Zukunft. Wir könnten nichts machen. Wir können noch ein bisschen mongolisch reden, ich und mein Bruder, aber wir können nicht schreiben, können nicht lesen und haben auch sonst keine Drähte zu irgendwas, und, vor allem, wir sind hier aufgewachsen, Deutschland ist schon unsere Heimat geworden, unsere Muttersprache ist es; Freunde weg, also man fühlt sich ziemlich unter Druck, dann ging's auch in der Schule nicht so gut, weil man das immer im Hinterkopf hatte irgendwie."

    Musik Grips Theater: "Menschen abschieben geht gar nicht, Menschen soll'n da bleiben wo sie gerne bleiben wollen ... "

    Seit Jahren haben Flüchtlingsorganisationen ein Bleiberecht für die geduldeten Menschen in Deutschland gefordert, oft unterstützt von Theatergruppen, Liedermachern und Musikbands. Nun hat sich die Koalition darauf geeinigt, das Bleiberecht über ein Bundesgesetz grundsätzlich neu zu regeln. Endlich, meint Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion:

    "Wenn man Menschen im Lande hat, die an sich das Land verlassen sollten, aber schon seit 10, 12, 13, 14 Jahren hier leben, Kinder hier haben, sich zunehmend verwurzeln in diesem Land, dann wird man irgendwann einmal einen Strich darunter machen müssen und sagen: Na gut, dann bleiben die Menschen doch hier, und dann gibt's ein Bleiberecht. Und genau diese Erkenntnis hat sich auch bei der Union durchgesetzt. Wir reden jetzt nicht mehr über das Ob einer Bleiberechtsregelung, sondern über wichtige Einzelheiten."

    Die wichtigste Einzelheit: Familien sollen nach sechsjährigem Aufenthalt ein Bleiberecht erhalten und Alleinstehende nach acht Jahren. Außerdem werden Forderungen an die Betroffenen gestellt, bemerkt Hessens Innenminister Volker Bouffier, CDU:

    "Hinzu kommt: Wir wollen auch eine nachgewiesene Integrationsleistung. Das heißt: Die, die hier bleiben wollen, müssen die deutsche Sprache können."

    Und Berlins Innensenator Erhard Körting, SPD, nennt weitere Schwerpunkte:

    "Ich bin nicht bereit, Leute zu privilegieren, die straffällig geworden sind in einem erheblichen Maße. Ich bin auch nicht bereit, Leute zu privilegieren, die uns getäuscht haben, also eine falsche Identität angegeben haben oder falsche Papiere vorgelegt haben, und wir wollen keine Menschen haben, die auf Dauer von Staatsleistungen leben: Also, wir wollen nicht jemanden haben, der sich hier ins soziale Netz legt, sondern wir wollen Leute haben, die also auch ihren Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten. Das heißt: Künftig wird es eine Auflage geben: Ihr müsst innerhalb von einem halben oder einem Jahr eine Arbeit finden und auf eigenen Füßen stehen, sonst könnt ihr nicht bleiben."

    Ob Geduldete ein Bleiberecht nur dann erhalten, wenn sie arbeiten, oder ob sie nur dann arbeiten dürfen, wenn sie ein Bleiberecht vorweisen können - über diese Frage war in den vergangenen Tagen zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten ein heftiger Streit entbrannt. Für Hans Peter Uhl, den innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war klar, dass für die Christdemokraten erst die Arbeitsaufnahme kommt und dann das Bleiberecht:
    "Erst müssen wir sicher sein, dass diese Menschen auch arbeiten und sich nützlich machen, ihren Lebensunterhalt zum größten Teil selbst verdienen, dann können wir über Aufenthaltstitel auf Dauer reden; aber nicht umgekehrt. Erst ein Recht auf Daueraufenthalt zu verleihen und dies zu verbinden mit der Bitte: Aber bitte, arbeitet doch jetzt! Dass ihr nicht uns jetzt auf der Tasche liegt - das ist eine Politik, die ich nicht mittragen kann."

    Die Freien Demokraten teilten die Argumentation der CDU/CSU nicht. Die Erfahrung habe gezeigt, dass es nicht funktioniere, wenn die Arbeitsaufnahme zur Voraussetzung für ein Bleiberecht gemacht wird, sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Deutschen Bundestag. Die ehemalige Bundesjustizministerin erinnert an das Bleiberecht, das vor vier Jahren für Flüchtlinge aus dem einstigen Jugoslawien entwickelt wurde:

    "Da wurde gesagt, mit einer so genannten Aufenthaltsgestattung oder auch einer Duldung solle jetzt versucht werden, den Zugang auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen. Die weitere Entscheidung wurde abhängig gemacht vom Versuch, zwei Jahre lang, einen Arbeitsplatz zu haben. Das konnten sie nicht erreichen, weil sie mit Aufenthaltsgestattung oder eben mit dieser Form der Duldung, aber eben nicht einer Aufenthaltserlaubnis, keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben."

    Bundesarbeitsminister Franz Müntefering hatte die gleichen Bedenken. Der Sozialdemokrat setzte im Gesetzentwurf durch, dass langjährig Geduldeten eine Aufenthaltserlaubnis vor der Arbeitserlaubnis zuerkannt wird. Im ARD-Fernsehen verteidigte Müntefering am Sonntag seine Haltung:

    "Ich bin dazu bereit, vernünftige Dinge zu tun, aber ich bin nicht bereit, das zu tun, was einige Innenminister der Länder wollen, nämlich die Arbeit als die Bedingung zu sehen für das Aufenthaltsrecht hier bei uns; sondern das muss in einer bestimmten Zeit von sechs oder acht Jahren automatisch kommen und damit Geduldete hier voll am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sind, nicht nachrangig mehr, sondern sich bewerben können und auch am Arbeitsmarkt tätig sein können. Ich bin auch bereit, für die Aufenthaltsjahre fünf bis sechs eine solche unbegrenzte Arbeitserlaubnis den Geduldeten zu geben, damit sie in der Tat hier am Arbeitsmarkt arbeiten können."

    Der Kompromiss der Koalition ist eine Fristenlösung: Das Bleiberecht erhalten die Geduldeten zunächst für zwei Jahre - in dieser Zeit müssen sie eine Arbeit finden. Einzelheiten zur Arbeitsaufnahme sind aber noch zu klären. So hatte der Bundesarbeitsminister befürchtet, dass die Betroffenen als Lohndrücker fungieren. Um zu verhindern, dass diese Menschen das Tarifgefüge untergraben, wollte Franz Müntefering die Jobcenter verpflichten, die Arbeitsverträge der Flüchtlinge zu überprüfen. Eine auch innerhalb der SPD umstrittene Forderung. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz musste dafür um Verständnis werben:

    "Denken Sie bitte mal an das Thema Mindestlöhne, da wird natürlich auch an der einen oder anderen Stelle in Deutschland die Notlage von Menschen brutal ausgenutzt; da werden Löhne gezahlt, die nicht ausreichen, um das Existenzminimum zu sichern, das alles gibt es auch in Deutschland. Und da macht sich durchaus der Arbeitsminister Sorgen, dass die prekäre Lage gerade von Geduldeten, die auf einmal eine Chance haben, ein Bleiberecht zu bekommen, dass die von Arbeitsgebern gnadenlos ausgenutzt wird, sie gleichsam ausgebeutet werden, Dumpinglöhne gezahlt werden und ähnliches."

    Der Flüchtlingsrat nennt das Hickhack um die Arbeitserlaubnis der Geduldeten weltfremd. Wenn die Betroffenen den Duldungsstatus solange behalten müssen, bis sie Arbeit haben, dann dürfte es für sie fast unmöglich sein, einen Job zu finden. So Georg Classen vom Flüchtlingsrat in Berlin. "Welcher Arbeitgeber beschäftigt schon einen Menschen, der wegen der so genannten Residenzpflicht seinen Landkreis nicht verlassen darf?" fragt Classen:

    "Das zweite und das schlimmere Problem scheint zu sein, dass offenbar beabsichtigt ist, dass in der Duldung eben möglicherweise nicht drin steht: Darf erwerbstätig sein, sondern, dass der Antragsteller erstmal ein Antragsformular ausfüllen muss, ein weiteres Antragsformular muss der Arbeitgeber ausfüllen, das Formular heißt Stellenbeschreibung, und dann wird dieser Vorgang mehrere Wochen von der Ausländerbehörde und der Agentur für Arbeit gemeinsam geprüft, unter anderem die Frage der Arbeitsbedingungen, das heißt, ob hier Tariflohn gezahlt wird."

    Das sei zwar eine löbliche Forderung, urteilt der Flüchtlingsexperte, aber sie sei von Wunschdenken geprägt und nicht von den wirklichen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt. Dort sei ein Mindestlohn nun einmal nicht vorgesehen.

    Classen: "Die Arbeitsagentur in Berlin Brandenburg ist zum Beispiel der Meinung, eine ungelernte Küchenhilfe würde 7 Euro 30 verdienen. "Schön wär's!" kann ich da nur sagen. Ich weiß, dass eine geübte Servierkraft, eine Studentin, mit Erfahrungen, auch nur sechs Euro kriegt und in der Küche eher vier oder fünf Euro gezahlt werden. Und das Restaurant, das die Küchenhilfe benötigt, braucht die Küchenhilfe auch nicht erst in zwei Monaten, sondern es braucht die Küchenhilfe sofort. Und so besteht die Gefahr, dass allein durch dieses bürokratische Prüfverfahren, was mit der Duldung eben verbunden ist, dass allein durch dieses Arbeitserlaubnisverfahren die Arbeitserlaubnis verhindert wird. "

    Wer die Voraussetzungen des geplanten Gesetzes nicht erfüllt, soll künftig zügiger als bisher abgeschoben werden. Wie - das ist noch offen. Außerdem ist noch offen, ob Flüchtlinge aus dem Irak und aus Afghanistan in das Bleiberecht einbezogen werden. Die CSU ist strikt dagegen, obwohl im Fernsehen fast täglich Bilder über Terrorattacken in diesen Ländern zu sehen sind.

    Es ist vor allem Bayerns Innenminister Günther Beckstein, der sich gegen ein Bleiberecht für Iraker und Afghanen in Deutschland sperrt. Er hält diese Menschen für ein Sicherheitsrisiko. Julia Duchow, die asylpolitische Referentin von Amnesty International kann das nicht nachvollziehen:

    "Wir sind der Auffassung, dass Iraker auf keinen Fall aus der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden dürfen, wie es jetzt diskutiert wird; absurderweise mit der Begründung, alle seien ein Sicherheitsrisiko für Deutschland; das ist eine völlige Pauschalisierung, die wir so ablehnen; im Irak ist eine völlig instabile Situation; es ist ein Bürgerkrieg, eigentlich ausgebrochen; es werden monatlich 3000 Leute umgebracht; Menschen fliehen aus dem Irak; und wir sind der Auffassung: In den Irak kann in naher Zukunft niemand abgeschoben werden."

    Notwendig ist nach Auffassung der Menschenrechtsorganisation eine großzügige Bleiberechtsregelung, die den Geduldeten eine Chance auf Arbeit, Bildung und Integration bietet. Mit den zurzeit diskutierten Bedingungen und Einschränkungen sei diese Chance für die Mehrheit der Geduldeten eher gering, meint Amnesty-Sprecherin Julia Duchow:

    "Wir befürchten, dass von den 200.000 Geduldeten vielleicht
    30.000 überhaupt dann ein Bleiberecht bekommen werden; und dann wird die Praxis der Kettenduldungen fortgesetzt, und das kann ja nicht der Sinn sein."

    Die Innenministerkonferenz will am Donnerstag und Freitag dieser Woche über das Koalitionspapier entscheiden. Ob das Bleiberecht tatsächlich ein Durchbruch in der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist, wird von den Details abhängen, die die Innenminister beschließen: Welche Ausnahmen wird es geben, welche Volksgruppen werden ausgeschlossen, welche Ermessenspielräume gibt es zum Beispiel für die Angehörigen von Geduldeten, die sich strafbar gemacht haben und so weiter. Wie so oft, wird das Entscheidende im Kleingedruckten stehen.