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Die Erde schunkelt ... nicht nur in der fünften Jahreszeit

Wer sich im Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie bis zum Ende des Hauptflurs durchschlägt, wähnt sich erst einmal im Tonstudio: In Gefrierschrank-großen Wand-Einschüben stecken neun Bandmaschinen. Die Geräte spulen große Magnetbänder ab. Töne sind allerdings nicht zu vernehmen, höchstens von den versammelten Wissenschaftlern ...

Von Volker Mrasek |
    "Ist eben 'reingekommen. Das ist ein neues Experiment, was wir hoffen heute noch anfangen zu können. Das hier kommt aus Westford." "Das ist Amerika." "USA." "Ja, bei Boston. Sind das unsere Daten?" "Ja, das ist ein R-Experiment." "Aja, das sind unsere Erdrotationsdaten. Also, das ist ’ne Erdrotationsmessung. Also ein Stück von einem Tag aufgenommen in Westford und ..." "Komplette 24 Stunden sind da drauf." "Sind komplett 24 Stunden? Also ein ganzer Tag ist hier drauf."

    Was da auf Band aus den USA eingegangen ist, sind Signale aus dem Weltraum. Eingefangen wurden sie von einem Radio-Teleskop. Solche Aufzeichnungen erhält das Max-Planck-Institut am laufenden Meter. Empfangsstationen aus aller Welt liefern ihre Daten nach Bonn. Hier, am so genannten Korrelator mit seinen wuchtigen Bandmaschinen, werden die Teleskop-Daten ausgewertet.

    Dahinter stecken nicht Astronomen, sondern Geodäten. Der Korrelator ist das Arbeitstier von Vermessungs-Ingenieuren, die wissen wollen, mit welcher Geschwindigkeit sich die Erde im Raum dreht - und das möglichst auf die Mikrosekunde genau. Wichtig war und ist das zum Beispiel bei den laufenden Mars-Missionen der Amerikaner und Europäer. Die Raumfahrtbehörden holten sich deshalb Hilfe bei den deutschen Spezialisten - unter ihnen James Campbell, Professor für Geodäsie an der Universität Bonn:

    Also, wir liefern die Stellung der Erde, damit die Peilung zu der Mars-Sonde exakt ist. Da kann ein Fehler von einer Millisekunde, also von einer Tausendstel-Zeitsekunde, schon 100 Kilometer ausmachen bei der Entfernung zum Mars.

    Solche Fehler wären an der Tagesordnung, würden die Geodäten Ihre Erduhr nicht immer wieder nachjustieren. Denn unser Heimatplanet - das bestätigen auch die Analysen am Korrelator - läuft keineswegs rund. Die Erde - eiert ...

    Sie wackelt. Sie schaukelt. Sie schunkelt. Kann man tatsächlich sagen. Also, wir würden sagen eigentlich: 'ne starre Kugel würde sich gleichmäßig bewegen. Da die Erde aber ein lebendiges Gebilde ist - die Atmosphäre, die zirkuliert, die Ozeane schwappen: Da wird sie eben schneller und langsamer.

    Es ist zwar nur ein winziges Wackeln, die Tempo-Schwankungen betragen kaum eine Millisekunde. Doch gleichwohl zeigen die Befunde der Forscher: Geologisch betrachtet ist das ganze Jahr über Karneval. Sonst würde unsere Erdkugel ja nicht ständig schunkeln!

    Irgendwie jeck ist natürlich auch, dass die Geodäten zu den Sternen aufblicken, um das Eiern der Erde zu erkennen. Aber wie sollte es anders funktionieren?

    Unser Globus dreht sich frei im kosmischen Raum. Also braucht man ein extraterrestrisches Bezugssystem, um seine Eigenrotation genau zu bestimmen. Und so stehen heute Dutzende Radioteleskope in aller Welt im Dienst der Geodäsie. Regelmäßig peilen sie die hellsten bekannten Objekte im All an, die Quasare ...

    ... weil die eben winzige Punkte am Rande des Universums darstellen. Also, wir sehen die praktisch wie mathematische Punkte. Und die stehen ganz fest am Himmel. Die bewegen sich in keinster Weise - für uns! Und dadurch sind die ideale Referenzpunkte.

    Das intergalaktische Messprinzip ist immer das gleiche: Mindestens zwei Radioteleskope in verschiedenen Ecken der Erde richten ihre Empfangsantennen zur selben Zeit auf denselben Quasar und fangen seine Radiostrahlung ein. In Bonn werden die Daten später zeitsynchron ausgewertet. Aus den Laufzeit-Unterschieden lässt sich dann die Rotationsgeschwindigkeit der Erde exakt berechnen.

    Dienst ist übrigens Dienst: Der Korrelator läuft auch an Karneval ...