1519 brach Cortés mit seinem Heer von Kuba nach Mexiko auf. Nicht einmal drei Jahre später war das Reich der Mexika zerstört. Fünf Jahre kostete es Thomas, den spanischen Eroberungszug nachzuzeichnen. Fünf Jahre, die er in den Archiven und Bibliotheken dieseits und jenseits des Atlantiks verbrachte, gebeugt über vergilbte Chroniken, Protokolle und Briefe. Doch sein allererstes Buch schrieb Thomas über den spanischen Bürgerkrieg. Wie entwickelte sich sein Interesse für die iberische Halbinsel und anschließend für Mexiko?
"Zum ersten Mal kam ich - ob Sie es glauben oder nicht - 1955 nach Spanien. Ich fuhr auf eigene Faust mit dem Zug dorthin, und ich empfand das Land als magisch, zauberhaft. Und ich war sehr interessiert an ihm. Ich sprach überhaupt kein Spanisch. Doch bald regte mich jemand an, ein Buch über den spanischen Bürgerkrieg zu schreiben, was ich dann auch tat. Nach Mexiko kam ich erst 1962, als ich nach den Memoiren spanischer Republikaner forschte; ich war damals noch hauptsächlich am spanischen Bürgerkrieg interessiert. Ich veröffentlichte mein Buch, aber ich wollte noch mehr Material für die zweite Ausgabe finden, was mir jedoch nicht gelang. Aber richtiges Interesse für Mexiko entwickelte ich erst sehr viel später, in den 80ern. Ich erkannte plötzlich, daß wir uns auch 150 Jahre nach William Prescotts berühmten Buch über die Eroberung Mexikos im wesentlichen immer noch auf ihn verlassen. Wer immer nach Mexiko kam und etwas über die Eroberung des Landes wissen wollte, las das Buch von Prescott. Ich fand das nicht sehr befriedigend. Prescott war ein wundervoller Autor, doch das jüngere Material konnte er nicht zur Kenntnis nehmen. Und es gab noch anderes Material, das ich entdeckt hatte, und das er natürlich auch nicht nutzen konnte."
Das reichhaltige Material erlaubt dem Autor, seinen Gegenstand in aller Ruhe zu entfalten - und sich selbst als begnadeten Erzähler zu präsentieren. Zunächst schwingt sich sein Blick hoch in die Totale, um die beiden Reiche am Vorabend ihrer Begegnung zu mustern. Die Spanier sind durch die gerade abgeschlossene Reconquista militärisch in Höchstform, bereit für die transatlantischen Abenteuer, zu denen Columbus 1492 den Auftakt gesetzt hatte. Die Mexica hingegen haben ihr Reich seit langem ausgebaut. Die benachbarten Völker sind unterworfen, ihre Gebiete erobert. So bleibt Zeit für Kunst, Religion und Städtebau. Thomas beschreibt die Mexica als hochentwickelte Nation, ihre Hauptstadt Tenochtitlan, mitten im See von Mexiko gelegen, als architektonisches Juwel.
Der Erzählrhythmus beschleunigt sich, je näher die Gegner sich kommen. Doch Thomas findet immer wieder Zeit für ausführliche Schilderungen. So beschreibt er den kolonialen Alltag auf den karibischen Inseln, die den Conquistadoren als Ausgangspunkt für zukünftige Eroberungen dienen. Der Kontinent jenseits des Meeres ist noch kaum bekannt. Faszinierend die Darstellung des Indizienspiels, das beiden Seiten, Mexica und Spaniern, erste Hinweise auf die Existenz des jeweils anderen gibt. Eine Truhe mit unbekannten Kleidern und Schmuck wird an die Küste Mexikos gespült, in kubanischen Gewässern erscheint ein Kanu mit Angehörigen einer Zivilisation, die offensichtlich ungleich höher entwickelt ist als die der Kariben. Im Februar 1519 schließlich bricht Cortés mit seiner kleinen Streitmacht von Kuba nach Mexiko auf. Dazu Thomas:
"Ich glaube, die Entdeckung und Eroberung Tenochtitlans durch Cortés war die eigentliche Entdeckung der Neuen Welt. Kolumbus entdeckte die Inseln der Karibik. Einige seiner Nachfolger richteten sich in Kuba, Jamaica und Puerto Rico ein, er selbst blieb auf La Hispaniola, Santo Domingo. Aber das spanische Imperium war bis zum Jahr 1517 kein sehr profitables Unternehmen. Die Inseln brachten nicht allzu viel Gold, und die Bevölkerung reduzierte sich schnell. Das Unternehmen kostete vermutlich mehr als es einbrachte. Wenn es die Eroberung Mexikos und Perus und auch einiger nördlicher Gebiete Südamerikas nicht gegeben hätte, dann, glaube ich, wäre es durchaus möglich gewesen, daß die Spanier ihr imperiales Unternehmen Mitte des 16. Jahrhunderts aufgegeben hätten. Aber dann fand Cortés dieses reiche, ergiebige Gebiet, das er dann eroberte. Pizzaro tat später Vergleichbares, und seitdem ist die Welt nicht mehr dieselbe. Und so glaube ich, daß Cortés´ Erfahrungen, die zu denen Pizarros führten, einen Wendepunkt in der Geschichte der Welt darstellen."
Was in Mexiko passiert, ist Roman. Die Fachbücher verfolgen die Stationen der Expedition akribisch und trocken. Thomas greift zum Pinsel. In allen erdenklichen Farben malt er die Etappen der Entdeckungsfahrt, die kleinen Abenteuer genauso wie die großen. Seine Schilderungen sind geprägt durch Liebe zum Detail. Doch er übernimmt noch eine weitere Technik der erzählenden Literatur: die polyperspektivistische Darstellung, die Einbeziehung unterschiedlicher Sichtweisen, der indianischen nicht minder als der spanischen. Dies dient nicht nur künstlerischen, sondern auch hermeneutischen, ja ethischen Zwecken: Immer wieder nämlich haben lateinamerikanische Historiker ihren europäischen Kollegen deren angeblich eurozentristischen Blick vorgeworfen; sie seien unfähig, die Geschichte Lateinamerikas aus der Perspektive der Ureinwohner, also der Verlierer dieser historischen Begegnung, zu erzählen. Hugh Thomas wird man diesen Vorwurf nicht machen können, sein Buch ist diktiert vom Geist der Höflichkeit: Das erste Kapitel ist der Lebenswelt der Mexica gewidmet, erst das zweite derjenigen der Spanier. In ausgewogenem Verhältnis wechseln dann die Perspektiven; der Autor beschreibt die Euphorie der heranrückenden Eroberer ebenso einfühlsam wie die wachsende Beunruhigung ihrer künftigen Opfer.
Dankbar werden daher vor allem die Leser sein, die sich hauptsächlich für das Leben der Mexicas vor und während der Ankunft der Spanier interessieren. Mit Sorgfalt rekonstruiert Thomas ihren Alltag, ihre Kultur und Religion. Montezuma präsentiert er als einen round character, wie es in der Sprache der Literaturwissenschaft heißt, als faßbare, komplexe Figur - und nicht als jenes geheimnisvolle, schemenhafte Wesen, als das er in anderen, weniger ambitionierten Darstellungen erscheint. Was immer Thomas beschreibt - es dominieren Fairneß und Respekt.
Umso schockierender schließlich die Bilder von der Zerstörung Tenochtitlans, vom Sterben ihrer Bewohner, von Flucht und Tränen der Überlebenden. "Auch Jade zerbricht", heißt es in einem alten atztekischen Lied, und es fährt fort: "Auch Gold zerbirst. Wir sind nur flüchtige Gäste auf der Erde." Im August 1521 war Tenochtitlan bis auf die Grundfesten zerstört. Den Rest besorgten Krankheit, Hunger, Verzweiflung.
Hugh Thomas ist ein großer Erzähler und großer Historiker. Gewissenhaft sichtet er sein Material, vergleicht Quellen, nennt Daten und Zahlen. Doch ein weiteres kennzeichnet den Autor: Nüchternheit und ein Gefühl für die Geschichtlichkeit ethischen Empfindens. Das Thema bietet Anlaß zu moralischer Entrüstung. Thomas äußert sie, doch er fällt nie in Larmoyanz. Daß die Vernichtung der Mexika eine Tragödie war, ahnte bereits Cortés selber. Ihr ganzes Ausmaß macht Thomas schmerzlich deutlich.
"Zum ersten Mal kam ich - ob Sie es glauben oder nicht - 1955 nach Spanien. Ich fuhr auf eigene Faust mit dem Zug dorthin, und ich empfand das Land als magisch, zauberhaft. Und ich war sehr interessiert an ihm. Ich sprach überhaupt kein Spanisch. Doch bald regte mich jemand an, ein Buch über den spanischen Bürgerkrieg zu schreiben, was ich dann auch tat. Nach Mexiko kam ich erst 1962, als ich nach den Memoiren spanischer Republikaner forschte; ich war damals noch hauptsächlich am spanischen Bürgerkrieg interessiert. Ich veröffentlichte mein Buch, aber ich wollte noch mehr Material für die zweite Ausgabe finden, was mir jedoch nicht gelang. Aber richtiges Interesse für Mexiko entwickelte ich erst sehr viel später, in den 80ern. Ich erkannte plötzlich, daß wir uns auch 150 Jahre nach William Prescotts berühmten Buch über die Eroberung Mexikos im wesentlichen immer noch auf ihn verlassen. Wer immer nach Mexiko kam und etwas über die Eroberung des Landes wissen wollte, las das Buch von Prescott. Ich fand das nicht sehr befriedigend. Prescott war ein wundervoller Autor, doch das jüngere Material konnte er nicht zur Kenntnis nehmen. Und es gab noch anderes Material, das ich entdeckt hatte, und das er natürlich auch nicht nutzen konnte."
Das reichhaltige Material erlaubt dem Autor, seinen Gegenstand in aller Ruhe zu entfalten - und sich selbst als begnadeten Erzähler zu präsentieren. Zunächst schwingt sich sein Blick hoch in die Totale, um die beiden Reiche am Vorabend ihrer Begegnung zu mustern. Die Spanier sind durch die gerade abgeschlossene Reconquista militärisch in Höchstform, bereit für die transatlantischen Abenteuer, zu denen Columbus 1492 den Auftakt gesetzt hatte. Die Mexica hingegen haben ihr Reich seit langem ausgebaut. Die benachbarten Völker sind unterworfen, ihre Gebiete erobert. So bleibt Zeit für Kunst, Religion und Städtebau. Thomas beschreibt die Mexica als hochentwickelte Nation, ihre Hauptstadt Tenochtitlan, mitten im See von Mexiko gelegen, als architektonisches Juwel.
Der Erzählrhythmus beschleunigt sich, je näher die Gegner sich kommen. Doch Thomas findet immer wieder Zeit für ausführliche Schilderungen. So beschreibt er den kolonialen Alltag auf den karibischen Inseln, die den Conquistadoren als Ausgangspunkt für zukünftige Eroberungen dienen. Der Kontinent jenseits des Meeres ist noch kaum bekannt. Faszinierend die Darstellung des Indizienspiels, das beiden Seiten, Mexica und Spaniern, erste Hinweise auf die Existenz des jeweils anderen gibt. Eine Truhe mit unbekannten Kleidern und Schmuck wird an die Küste Mexikos gespült, in kubanischen Gewässern erscheint ein Kanu mit Angehörigen einer Zivilisation, die offensichtlich ungleich höher entwickelt ist als die der Kariben. Im Februar 1519 schließlich bricht Cortés mit seiner kleinen Streitmacht von Kuba nach Mexiko auf. Dazu Thomas:
"Ich glaube, die Entdeckung und Eroberung Tenochtitlans durch Cortés war die eigentliche Entdeckung der Neuen Welt. Kolumbus entdeckte die Inseln der Karibik. Einige seiner Nachfolger richteten sich in Kuba, Jamaica und Puerto Rico ein, er selbst blieb auf La Hispaniola, Santo Domingo. Aber das spanische Imperium war bis zum Jahr 1517 kein sehr profitables Unternehmen. Die Inseln brachten nicht allzu viel Gold, und die Bevölkerung reduzierte sich schnell. Das Unternehmen kostete vermutlich mehr als es einbrachte. Wenn es die Eroberung Mexikos und Perus und auch einiger nördlicher Gebiete Südamerikas nicht gegeben hätte, dann, glaube ich, wäre es durchaus möglich gewesen, daß die Spanier ihr imperiales Unternehmen Mitte des 16. Jahrhunderts aufgegeben hätten. Aber dann fand Cortés dieses reiche, ergiebige Gebiet, das er dann eroberte. Pizzaro tat später Vergleichbares, und seitdem ist die Welt nicht mehr dieselbe. Und so glaube ich, daß Cortés´ Erfahrungen, die zu denen Pizarros führten, einen Wendepunkt in der Geschichte der Welt darstellen."
Was in Mexiko passiert, ist Roman. Die Fachbücher verfolgen die Stationen der Expedition akribisch und trocken. Thomas greift zum Pinsel. In allen erdenklichen Farben malt er die Etappen der Entdeckungsfahrt, die kleinen Abenteuer genauso wie die großen. Seine Schilderungen sind geprägt durch Liebe zum Detail. Doch er übernimmt noch eine weitere Technik der erzählenden Literatur: die polyperspektivistische Darstellung, die Einbeziehung unterschiedlicher Sichtweisen, der indianischen nicht minder als der spanischen. Dies dient nicht nur künstlerischen, sondern auch hermeneutischen, ja ethischen Zwecken: Immer wieder nämlich haben lateinamerikanische Historiker ihren europäischen Kollegen deren angeblich eurozentristischen Blick vorgeworfen; sie seien unfähig, die Geschichte Lateinamerikas aus der Perspektive der Ureinwohner, also der Verlierer dieser historischen Begegnung, zu erzählen. Hugh Thomas wird man diesen Vorwurf nicht machen können, sein Buch ist diktiert vom Geist der Höflichkeit: Das erste Kapitel ist der Lebenswelt der Mexica gewidmet, erst das zweite derjenigen der Spanier. In ausgewogenem Verhältnis wechseln dann die Perspektiven; der Autor beschreibt die Euphorie der heranrückenden Eroberer ebenso einfühlsam wie die wachsende Beunruhigung ihrer künftigen Opfer.
Dankbar werden daher vor allem die Leser sein, die sich hauptsächlich für das Leben der Mexicas vor und während der Ankunft der Spanier interessieren. Mit Sorgfalt rekonstruiert Thomas ihren Alltag, ihre Kultur und Religion. Montezuma präsentiert er als einen round character, wie es in der Sprache der Literaturwissenschaft heißt, als faßbare, komplexe Figur - und nicht als jenes geheimnisvolle, schemenhafte Wesen, als das er in anderen, weniger ambitionierten Darstellungen erscheint. Was immer Thomas beschreibt - es dominieren Fairneß und Respekt.
Umso schockierender schließlich die Bilder von der Zerstörung Tenochtitlans, vom Sterben ihrer Bewohner, von Flucht und Tränen der Überlebenden. "Auch Jade zerbricht", heißt es in einem alten atztekischen Lied, und es fährt fort: "Auch Gold zerbirst. Wir sind nur flüchtige Gäste auf der Erde." Im August 1521 war Tenochtitlan bis auf die Grundfesten zerstört. Den Rest besorgten Krankheit, Hunger, Verzweiflung.
Hugh Thomas ist ein großer Erzähler und großer Historiker. Gewissenhaft sichtet er sein Material, vergleicht Quellen, nennt Daten und Zahlen. Doch ein weiteres kennzeichnet den Autor: Nüchternheit und ein Gefühl für die Geschichtlichkeit ethischen Empfindens. Das Thema bietet Anlaß zu moralischer Entrüstung. Thomas äußert sie, doch er fällt nie in Larmoyanz. Daß die Vernichtung der Mexika eine Tragödie war, ahnte bereits Cortés selber. Ihr ganzes Ausmaß macht Thomas schmerzlich deutlich.