Aufwachsen ist kein Kinderspiel. Erziehung und Bildung sind es auch nicht. Eltern fühlen sich zunehmend überfordert, meint Professor Sigrid Tschöpe-Scheffler, Direktorin des Instituts Kindheit, Jugend, Familie, Erwachsene an der Fachhochschule Köln.
"Die Lebenssituationen stellen sich für alle Familien so dar, dass man sich richtig bemühen muss. Dass es anstrengender geworden ist, nicht nur Kinder zu erziehen, sondern es ist auch anstrengender geworden zu leben. Gesellschaftliche Einflussfaktoren wie Individualisierung, Wertepluralismus - es gibt keine Vorbilder mehr, die Traditionen sind verloren gegangen. Das sind Schwierigkeiten, die durch alle sozialen Milieus als Schwierigkeiten auch wahrgenommen werden."
Bis zum Jahr 2013 soll der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz auch für alle Kinder unter drei Jahren gelten. Die Ganztagsschulen werden bundesweit ausgebaut. Kindheit findet immer mehr in Institutionen statt. Das entlastet die Familien.
Allerdings sagen Bildungsforscher, dass der zentrale Bildungsort die Familie ist. Wenn es also um bessere Bildungschancen für Kinder geht, gehören zwei Dinge zusammen, die bislang in Ausbildung und Praxis getrennt waren: die Pädagogik der Kindheit und die Familienbildung, erklärt Claus Stieve, Professor an der Kölner Fachhochschule für Sozialpädagogik.
"Es geht ganz entscheidend um die Bildung von Kindern und das ist unabhängig von sozialen Milieus. Das heißt, Kindertageseinrichtungen sind, das wird zunehmend erkannt, eine ganz wichtige Bildungsinstitution für Kinder, die nicht nur die Familie ergänzt, sondern einen eigenständigen Bildungsauftrag hat, dem sie gemeinsam mit den Familien nachkommen soll. Es geht darum, Pädagogik der Kindheit gerade in Zusammenhang mit Familiebildung ein Stück weit neu zu definieren, als ein Handeln im Sozialraum, in der Lebenswelt von Familien und Kindern."
Der Aufbau von Familienzentren ist ein Programm, mit dem bundesweit seit ein paar Jahren versucht wird, Familien in die Bildungsarbeit einzubeziehen. In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung das Ziel in den nächsten drei Jahren 3000 Kindertagesstätten in Familienzentren umzuwandeln. Eine der ersten war die Kindertagesstätte Oranienburger Str. in Monheim.
"Unser Thema wäre gewaltfrei erziehen, aber wie. Dazu stelle ich Fragen, oder wenn jemand ein Problem zu Haus hat - wir versuchen hier zusammen irgendwie klarzukommen."
Die junge Frau trägt ein Kopftuch, wie fast alle der acht Mütter. Gülzem Erdogan moderiert seit einem Jahr den Fam-Tisch, eine Gesprächsrunde für Eltern zu Erziehungsfragen. Diesmal sind es ausschließlich türkische Mütter der zweiten und dritten Generation, manchmal kommen aber auch deutsche, marokkanische oder Eltern anderer Nationalitäten, je nach Thema.
"Viele sind überfordert. Man wird mit 16 Mutter, hat das Leben noch nicht gelebt und wird dann Mutter. Du hast jetzt das Kind, mach was draus. Viele kommen damit nicht zurecht. Vielleicht tut das deswegen so ausschreiten, dass sie mal auf die Hand hauen oder einen Klaps auf den Po."
Gülzem Erdogan ist eine von vielen aktiven Müttern des Familienzentrums Oranienburger Straße in Monheim am Rhein.
Im Berliner Viertel, einem sozialen Brennpunkt der Stadt, mit sehr hohem Migrationsanteil, gibt es gleich fünf Familienzentren. Sie sind vernetzt und arbeiten mit der städtischen Familienhilfe, den Wohlfahrtseinrichtungen und Gesundheitsamt zusammen arbeiten.
"Was Kinder in ihren Familien nicht mehr erleben, das ist auch unsere Aufgabe, ihnen da ein Stück entgegenzukommen. Und das gleiche gilt auch für die Eltern. Wenn sie Schwierigkeiten haben- oder viele türkische Frauen gehen nun mal in kein Café -, dann machen wir das Café eben hier."
Jeden Tag sitzen hier Mütter zusammen, nachdem sie ihre Kinder in der Gruppe abgegeben haben. Doris Dykierek, Leiterin der Einrichtung, hat die Umwandlung der Kindertagesstätte in ein Familienzentrum begleitet. Sie ist stolz auf Mütter wie Gülzem Erdogan oder die beiden Schwestern, die einen Türkisch-Kurs anbieten.
Montags lernen Eltern dort, wie sie ihren Kindern Türkisch beibringen können, mittwochs macht ein Erzieher dieselben Arbeitsblätter auf Deutsch mit den Kindern. Sprache ist ein wichtiges Thema - auch für deutsche Kinder.
"Das ist nicht mal auf den Migrationshintergrund zu beziehen, dass die Kinder sprachlich nicht mehr so altersadäquat einsetzen können. Kinder, die nicht sprechen können, können natürlich auch keine sozialen Kontakte knüpfen. Und da müsste noch mehr getan werden."
Diese pädagogischen Lücken soll der neue Studiengang füllen. Im Wintersemester haben die ersten 45 Studenten mit dem grundständigen Studiengang "Pädagogik der Kindheit und Familienbildung" begonnen.
Den Spagat zwischen Kind und Familie, den vielen kulturellen und sozialen Milieus sollen die künftigen Pädagogen vor allem mit einer achtsamen Haltung gegenüber allen Beteiligten schaffen, erklärt Sigrid Tschöpe-Scheffler.
"Haltung schafft Begegnung. Ich muss bestimmte Wissensbestände haben, ich muss aber auch Selbstreflexionsmöglichkeiten haben und ich muss Methoden entwickeln, wie ich diese spezielle Zielgruppe erreichen kann. Eltern sind nicht die Eltern, sondern wir haben es mit einer Vielfalt zu tun. Väter sind anders anzusprechen als Mütter, unter dem Gesichtspunkt des kulturellen Hintergrundes, türkische Familien sind anders anzusprechen als Familien mit einem russischen Hintergrund. Das heißt, die Wahrnehmung ist der Ausgangspunkt für dieses Studium."
Ihre Wahrnehmung schulen, sollen die Studenten vor allem in den beiden ausführlich begleiteten Praxisphasen. Wobei besonders Wert auf einen Auslandsaufenthalt gelegt wird.
"Es geht in diesem Studiengang nicht nur um Erzieherinnen in Tageseinrichtungen. Grundständig heißt hier auch, eine Forschungsorientierung aufzubauen. Das zentrale in diesem Studiengang ist, dass er explizit seinen Schwerpunkt darauf setzt, Pädagogik der Kindheit und Familienbildung miteinander zu verknüpfen und das in ganz vielen verschiedenen Bereichen, Modulen zum Thema Beratung, zum Thema Familienbildung, zum Thema Interkulturalität, Sozialraumanalyse, Konzeptionsentwicklung in Einrichtungen, rechtliche, politische Rahmenbedingungen der Jugendhilfe - es macht die Summe und das integrierte Miteinander aus, was dazu führen soll."
Eltern und Pädagogen als Bildungspartner im Interesse der Kinder. Das klingt gut, ist aber vermutlich nicht ganz leicht umzusetzen. Pädagogen und Institutionen müssten sich dabei mehr als Lernende denn als Experten begreifen, meint Prof. Sigrid Tschöpe-Scheffler.
"Diese lernenden Gemeinschaften oder auch lernenden Institutionen erfordern es, dass man flexibel auf das achtet: Was bringen die Eltern mit und nicht mit einem Grundkonzept in die Arbeit geht und sagt, das werden wir jetzt machen. Das erfordert eine professionelle Haltung, das ist Professionalität. Die wollen wir hier mit den Studierenden erarbeiten."
"Die Lebenssituationen stellen sich für alle Familien so dar, dass man sich richtig bemühen muss. Dass es anstrengender geworden ist, nicht nur Kinder zu erziehen, sondern es ist auch anstrengender geworden zu leben. Gesellschaftliche Einflussfaktoren wie Individualisierung, Wertepluralismus - es gibt keine Vorbilder mehr, die Traditionen sind verloren gegangen. Das sind Schwierigkeiten, die durch alle sozialen Milieus als Schwierigkeiten auch wahrgenommen werden."
Bis zum Jahr 2013 soll der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz auch für alle Kinder unter drei Jahren gelten. Die Ganztagsschulen werden bundesweit ausgebaut. Kindheit findet immer mehr in Institutionen statt. Das entlastet die Familien.
Allerdings sagen Bildungsforscher, dass der zentrale Bildungsort die Familie ist. Wenn es also um bessere Bildungschancen für Kinder geht, gehören zwei Dinge zusammen, die bislang in Ausbildung und Praxis getrennt waren: die Pädagogik der Kindheit und die Familienbildung, erklärt Claus Stieve, Professor an der Kölner Fachhochschule für Sozialpädagogik.
"Es geht ganz entscheidend um die Bildung von Kindern und das ist unabhängig von sozialen Milieus. Das heißt, Kindertageseinrichtungen sind, das wird zunehmend erkannt, eine ganz wichtige Bildungsinstitution für Kinder, die nicht nur die Familie ergänzt, sondern einen eigenständigen Bildungsauftrag hat, dem sie gemeinsam mit den Familien nachkommen soll. Es geht darum, Pädagogik der Kindheit gerade in Zusammenhang mit Familiebildung ein Stück weit neu zu definieren, als ein Handeln im Sozialraum, in der Lebenswelt von Familien und Kindern."
Der Aufbau von Familienzentren ist ein Programm, mit dem bundesweit seit ein paar Jahren versucht wird, Familien in die Bildungsarbeit einzubeziehen. In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung das Ziel in den nächsten drei Jahren 3000 Kindertagesstätten in Familienzentren umzuwandeln. Eine der ersten war die Kindertagesstätte Oranienburger Str. in Monheim.
"Unser Thema wäre gewaltfrei erziehen, aber wie. Dazu stelle ich Fragen, oder wenn jemand ein Problem zu Haus hat - wir versuchen hier zusammen irgendwie klarzukommen."
Die junge Frau trägt ein Kopftuch, wie fast alle der acht Mütter. Gülzem Erdogan moderiert seit einem Jahr den Fam-Tisch, eine Gesprächsrunde für Eltern zu Erziehungsfragen. Diesmal sind es ausschließlich türkische Mütter der zweiten und dritten Generation, manchmal kommen aber auch deutsche, marokkanische oder Eltern anderer Nationalitäten, je nach Thema.
"Viele sind überfordert. Man wird mit 16 Mutter, hat das Leben noch nicht gelebt und wird dann Mutter. Du hast jetzt das Kind, mach was draus. Viele kommen damit nicht zurecht. Vielleicht tut das deswegen so ausschreiten, dass sie mal auf die Hand hauen oder einen Klaps auf den Po."
Gülzem Erdogan ist eine von vielen aktiven Müttern des Familienzentrums Oranienburger Straße in Monheim am Rhein.
Im Berliner Viertel, einem sozialen Brennpunkt der Stadt, mit sehr hohem Migrationsanteil, gibt es gleich fünf Familienzentren. Sie sind vernetzt und arbeiten mit der städtischen Familienhilfe, den Wohlfahrtseinrichtungen und Gesundheitsamt zusammen arbeiten.
"Was Kinder in ihren Familien nicht mehr erleben, das ist auch unsere Aufgabe, ihnen da ein Stück entgegenzukommen. Und das gleiche gilt auch für die Eltern. Wenn sie Schwierigkeiten haben- oder viele türkische Frauen gehen nun mal in kein Café -, dann machen wir das Café eben hier."
Jeden Tag sitzen hier Mütter zusammen, nachdem sie ihre Kinder in der Gruppe abgegeben haben. Doris Dykierek, Leiterin der Einrichtung, hat die Umwandlung der Kindertagesstätte in ein Familienzentrum begleitet. Sie ist stolz auf Mütter wie Gülzem Erdogan oder die beiden Schwestern, die einen Türkisch-Kurs anbieten.
Montags lernen Eltern dort, wie sie ihren Kindern Türkisch beibringen können, mittwochs macht ein Erzieher dieselben Arbeitsblätter auf Deutsch mit den Kindern. Sprache ist ein wichtiges Thema - auch für deutsche Kinder.
"Das ist nicht mal auf den Migrationshintergrund zu beziehen, dass die Kinder sprachlich nicht mehr so altersadäquat einsetzen können. Kinder, die nicht sprechen können, können natürlich auch keine sozialen Kontakte knüpfen. Und da müsste noch mehr getan werden."
Diese pädagogischen Lücken soll der neue Studiengang füllen. Im Wintersemester haben die ersten 45 Studenten mit dem grundständigen Studiengang "Pädagogik der Kindheit und Familienbildung" begonnen.
Den Spagat zwischen Kind und Familie, den vielen kulturellen und sozialen Milieus sollen die künftigen Pädagogen vor allem mit einer achtsamen Haltung gegenüber allen Beteiligten schaffen, erklärt Sigrid Tschöpe-Scheffler.
"Haltung schafft Begegnung. Ich muss bestimmte Wissensbestände haben, ich muss aber auch Selbstreflexionsmöglichkeiten haben und ich muss Methoden entwickeln, wie ich diese spezielle Zielgruppe erreichen kann. Eltern sind nicht die Eltern, sondern wir haben es mit einer Vielfalt zu tun. Väter sind anders anzusprechen als Mütter, unter dem Gesichtspunkt des kulturellen Hintergrundes, türkische Familien sind anders anzusprechen als Familien mit einem russischen Hintergrund. Das heißt, die Wahrnehmung ist der Ausgangspunkt für dieses Studium."
Ihre Wahrnehmung schulen, sollen die Studenten vor allem in den beiden ausführlich begleiteten Praxisphasen. Wobei besonders Wert auf einen Auslandsaufenthalt gelegt wird.
"Es geht in diesem Studiengang nicht nur um Erzieherinnen in Tageseinrichtungen. Grundständig heißt hier auch, eine Forschungsorientierung aufzubauen. Das zentrale in diesem Studiengang ist, dass er explizit seinen Schwerpunkt darauf setzt, Pädagogik der Kindheit und Familienbildung miteinander zu verknüpfen und das in ganz vielen verschiedenen Bereichen, Modulen zum Thema Beratung, zum Thema Familienbildung, zum Thema Interkulturalität, Sozialraumanalyse, Konzeptionsentwicklung in Einrichtungen, rechtliche, politische Rahmenbedingungen der Jugendhilfe - es macht die Summe und das integrierte Miteinander aus, was dazu führen soll."
Eltern und Pädagogen als Bildungspartner im Interesse der Kinder. Das klingt gut, ist aber vermutlich nicht ganz leicht umzusetzen. Pädagogen und Institutionen müssten sich dabei mehr als Lernende denn als Experten begreifen, meint Prof. Sigrid Tschöpe-Scheffler.
"Diese lernenden Gemeinschaften oder auch lernenden Institutionen erfordern es, dass man flexibel auf das achtet: Was bringen die Eltern mit und nicht mit einem Grundkonzept in die Arbeit geht und sagt, das werden wir jetzt machen. Das erfordert eine professionelle Haltung, das ist Professionalität. Die wollen wir hier mit den Studierenden erarbeiten."