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Die Farben des Südens

Wer sich zu Fuß Richtung Sainte Victoire auf den Weg macht sollte den Pfad bei Valcros einschlagen. Ein steiniger Pfad, der scheinbar direkt auf den Berg zuführt. Der Weg geht durch eine intakte Natur. Von hässlichen Neubauten keine Spur. Pinien recken sich stolz in die Höhe und Ginsterbüsche blühen. Wer im Frühjahr und im Herbst den Pfad bei Valcros entlang wandert - an einem jener sonnigen Tage, wenn das Azurblau des Himmels ein wenig ins Grünliche übergeht - der wird das Wunder des provenzalischen Lichts erleben. Ein Licht, dem auch Paul Cézanne erlag. Der Berg und das Licht inspirierten ihn zu einem seiner schönsten Bilder, den "Berg Sainte Victoire" - meint der römische Kunsthistoriker Maurizio Calvesi:

Thomas Migge |
    Ein Bild mit einer intensiven malerischen Qualität. Das zirka 60 Mal 70 Zentimeter große Ölgemälde zeigt den Berg von jenem Pfad aus, der noch heute einen der faszinierendsten Blicke auf die Landschaft der Provence ermöglicht. Cézannes Begeisterung für diese Landschaft lässt sich noch heute nachvollziehen. Davon legt dieses Bild Zeugnis ab.

    Wie auch die übrigen rund 100 Bilder, von denen sich die Besucher der Ausstellung "Die Farben des Südens - von Cézanne bis Bonnard" verführen lassen sollten - wie es vollmundig im Ausstellungskatalog heißt. Ob das in Treviso aber möglich sein wird ist zu bezweifeln, meint Kunsthistoriker Calvesi:

    Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir nicht in Frankreich sind, wo man die Besucherzahlen in großen und wichtigen Ausstellungen strikt reglementiert. So wird es, wie auch bei den vorherigen Kunstschauen in Treviso, einen ungeordneten Massenandrang vor den Bildern geben. Ausstellungen mit so vielen Meisterwerken französischer Malerei bekommt man im Ausland ja nur selten zu sehen.

    Ort des Gedrängels ist die Casa dei Carraresi im nordostitalienischen Treviso. Nur eine halbe Autostunde von Venedig entfernt schlummert das Städtchen die meisten Zeit des Jahres vor sich hin. Touristen verirren sich nur selten in die stillen barocken Gassen von Treviso. Seit aber Marco Goldin, ein Mittvierziger mit einem ausgeprägten Sinn für Kunst und Kommerz, sein Unternehmen "linea d'ombra" in der Casa dei Carraresi untergebracht hat, ist es einmal im Jahr für mehrere Monate mit der Ruhe vorbei. Sehr zur Freunde der Einwohner von Treviso. Goldin liebt die Kunst des Impressionismus und Expressionismus und weiß, das er diese Leidenschaft mit vielen anderen Menschen teilt. So kam er auf die Idee in der großen Casa dei Carraresi Ausstellungen zu organisieren. Gute Kontakte und sein Vertrauen erregendes Auftreten sorgen dafür, dass ihm aus aller Welt Gemälde ausgeliehen werden. Schon Monate vor den jeweiligen Ausstellungseröffnungen wirbt er für seine großen Kunstschauen, in denen immer wieder die Meister des Impressionismus und Expressionismus gezeigt werden. Schon vor der Eröffnung der neuen Ausstellung gingen in seinem Büros in Treviso über 60.000 Vorbestellungen für Eintrittskarten ein. Der Titel der Kunstschau "Gold und Azurblau - Die Farben des Südens von Cézanne bis Bonnard" garantieren Besuchermassen. Maurizio Calvesi:

    Italien ist ein Land, in dem die moderne Kunst nur
    dann verführt, wenn es sich um diese beiden Stilrichtungen in der Malerei handelt. Dann kommen Besucher wie Heuschrecken angereist. Was Goldin in Treviso zeigt, mag vielleicht arg kommerziell daherkommen, sicherlich aber bietet er Gemälde vom Allerfeinsten und: warum soll man nicht Bilder zeigen, die einfach nur schön sind. Die sorgen schließlich für Aufsehen.


    Und ziehen Besucher an und Geld und damit wird Goldin - solange der Impressionisten- und Expressionistentrend anhält - viele weitere Ausstellungen organisieren. Dicht an dicht hängen an den Wänden der Casa dei Carraresi Meisterwerke vor allem der französischen Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Es dominieren Cézanne und Van Gogh. Cézannes Vorliebe für den Sainte Victoire wird mit gleich sechs Gemälden belegt. Van Gogh ist mit atemberaubenden Werken präsent: darunter sein berühmtes "Zimmerbild mit Bett" von 1889, das ausnahmsweise vom Pariser Museé d'Orsay ausgeliehen wurde, sowie" Mandelnzweige in Blüte" von 1888. Goldin zeigt die Bilder in wahlloser Reihenfolge: Matisse hängt neben Bonnard und Braque neben Edward Munch - er ließ sich 1892 in Nizza vom Licht Südfrankreichs zu seinem Gemälde "Promenade des Anglais" inspirieren. Gold und Azurblau - diese Farben bestimmen sämtliche Bilder. Die zwei dominierenden Farben der Provence. Farben, die leider auch in jedem Sommer Tausende von Touristen nach Südfrankreich locken. Dort wie in Treviso: Gedrängel auf der Suche nach dem Schönen.