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Die Folgen religiöser Massenschlachtung

Obwohl vor 6000 Jahren aus vielen Wildtieren längst Nutztiere wie Rind, Schaf und Ziege geworden waren und die Domestikation ihren Siegeszug bereits angetreten hatte, wurden im östlichen Mittelmeerraum regelmäßig Gazellen-Massenschlachtungen veranstaltet. Das berichten israelische Archäologen im Fachmagazin "PNAS".

Von Michael Stang |
    Er sei gerade im Süden Israels auf einer Ausgrabung mitten in der Einöde, sagt Guy Bar-Oz. Das sei auch der Grund für die schlechte Telefonverbindung, entschuldigt sich der Archäologe von Universität von Haifa. Obwohl sich das Klima hier im östlichen Mittelmeerraum, der sogenannten Levante, in den vergangenen 10.000 Jahren nicht grundsätzlich verändert habe, hätten sich damals dort ganz andere Tiere getummelt.

    "In dieser Region sind viele Huftiere ausgestorben, dazu gehören auch die sogenannten Kropfgazellen, die ihren Namen einer knorpelartigen Verdickung am Hals verdanken. Bislang wussten wir nicht, ob die Tiere dort verschwunden sind, weil sie von Weidetieren, etwa Schafen und Ziegen, vertrieben wurden oder nicht. Jetzt gibt es aber erstmals den Beweis, dass die Gazellen exzessiv gejagt wurden und dies einer der Hauptgründe dafür sein könnte, weshalb sie in der Levante ausgestorben sind."

    Bereits in den 1980er-Jahren hatten Archäologen im Nordosten Syriens, in Tell Kuran, eine 6000 Jahre alte steinerne Anlage ausgegraben. Zwar ließen Steinmalereien vermuten, dass es sich um eine Fangvorrichtung für wilde Tiere handelt, Beweise gab es bislang aber nicht. In der Nähe der heutigen Ruinen wurden später auch Massen an Knochen von Kropfgazellen entdeckt und in Museen gelagert. Den Zusammenhang zwischen Mauerresten und Tierknochen konnten Guy Bar-Oz und seine Kollegen jedoch erst jetzt herstellen.

    "Wir haben rund 3000 Knochen von knapp hundert Gazellen analysiert. Darunter waren nicht nur viele Jungtiere, sondern auch erwachsene Männchen und Weibchen. Es spricht alles dafür, dass es sich hier um eine komplette Herde handelt, die als Ganzes gejagt wurde."

    Die Knochen deuten an, dass das Schlachten viel Zeit in Anspruch genommen haben muss, da bei vielen Tieren bereits die Totenstarre eingetreten war, bevor die Jäger alle Gazellen gehäutet und entbeint hatten. Dies spreche ebenfalls dafür, dass die Herde auf einmal getötet wurde, so der Archäologe.

    "Wenn man eine ganze Herde Gazellen auf einmal fangen möchte, braucht man eine effektive Jagdmethode. Und mit solchen Fanganlagen schafft man das tatsächlich. Dabei wurden die Tiere durch einen kilometerlangen Korridor getrieben, dessen Ränder mit Steinen begrenzt waren. Diese nahmen stetig an Höhe zu und verengten sich immer weiter. Am Ende der Anlage rannten die Tiere an hohen Mauern vorbei in ein abgesenktes Rondell, wo sie dann getötet wurden."

    Im Inneren der Anlage wurden die Gazellen von Jägern mit Hunden erwartet. Erstaunlicherweise, so Guy Bar-Oz, wurden die steinernen Fallen bis vor rund 3000 Jahren benutzt, obwohl die Menschen damals schon lange nicht mehr auf das Fleisch von Wildtieren angewiesen waren. Daher habe es sich vermutlich um rituelle Massenschlachtungen gehandelt. Darauf deuten auch die Malereien hin, auf denen die Jäger religiöse Symbole tragen. Diese kultischen Massentötungen hatten fatale Folgen. Sie haben die Bestände im heutigen Syrien drastisch reduziert und letztlich dort zum Aussterben der Kropfgazellen geführt.

    "Der Einfluss des Menschen auf die damalige Umwelt ist eine der Kernfragen, die uns hier in der Levante antreibt. Wenn man sich diese Knochen anschaut sieht man sofort, dass damals nicht gerade nachhaltig gejagt wurde, sondern ohne Rücksicht auf Verluste. Denn ohne diese Jagden wären die Gazellen in dieser Region vermutlich nicht ausgestorben."

    Zwar konnten die Kropfgazellen in anderen Gebieten überleben, jedoch stehen ihre Chancen weiterhin schlecht. Auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN werden sie als "gefährdet" eingestuft.