Bollenbeck:: Nicht nur die Sprache, sonder generell die Aufwertung des Gefühls, ich glaube, das ist der gemeinsame Nenner gegen den Rationalismus der Aufklärung, nicht anti-aufklärerisch aber doch sozusagen mit der Emphase des ganzen Menschen, des Gefühls, auch der jungen Protestler natürlich, die mit der Umwelt nicht zufrieden sind. Das bindet und vereint zu diesem Zeitpunkt sicherlich Goethe und Herder.
Köhler:: Ist das so etwas, wie eine Art anti-aufklärerisches Element oder zumindest eine Reaktion auf den Rationalismus der Aufklärung?
Bollenbeck:: Sonderbarerweise, es ist, wenn man so will, Aufklärungskritik innerhalb der Aufklärung, das kennzeichnet, glaube ich, Herder, der ja sonderbarerweise als Philosoph bis heute völlig unterschätzt wird. Der gilt ja so als ein Schwafelkopf mit Gottvertrauen und die Philosophen missachten ihn, aber, ich glaube, zu Unrecht.
Köhler:: 1770 entsteht die "Abhandlung und Ursprung der Sprache", so eine Art Gründungsschrift der Sprachphilosophie, 50 Jahre vor Humboldt. "Von deutscher Art und Kunst" entsteht 1773, seine Dichtungsphilosophie, Naturgebundenheit ist der Tenor. Maine eine Frage an Sie, entsteht da das, was man vielleicht die kulturelle Bedingtheit des Menschen nennen könnte aus den Überlegungen Herders heraus?
Bollenbeck:: Man müsste noch hinzunehmen die beiden geschichtsphilosophischen Schriften, die "Bückeburger Schrift" und die "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit". Warum? Das Spannende bei Herder ist folgendes, dass er, wie keiner seiner Zeit, Geschichte, Gesamtheit und Dynamik des Einzelmenschen zusammendenkt. Und er macht dabei etwas ganz Interessantes, er hat eine völlig moderne Anthropologie. Was heißt das? Für Herder ist der Mensch ganz nah beim Tier, vom Körperbau her und zugleich trennt er den Menschen ganz scharf vom Tier, der Mensch ist sozusagen nicht triebgebunden wie das Tier und der Mensch ist offen, er ist zur Kultur verdammt.
Köhler:: Der theoretische Mensch?
Bollenbeck:: Es ist nicht nur der theoretische Mensch, es ist vor allen Dingen bei Herder der fühlende Mensch. Das ist ganz wichtig, es ist der fühlende Mensch und das Neue jetzt bei Herder ist, dass er einerseits, sozusagen, einen ganz weiten Kulturbegriff hat, alles gehört zur Kultur, auch die neueste Technik. Herder ist technikbegeistert würde man heute sagen und das zweite ist ebenso wichtig, das Zweite heißt auch, wenn er Kultur produziert, der Mensch, dann gibt es auch Schäden in der Kultur. Herder ist auch Rousseauleser, aber kein Kulturkritiker.
Köhler:: Fortschrittsgeschichte ist immer auch Verlustgeschichte, könnte man darin schon so eine Art kulturkritisches Element sehen?
Bollenbeck:: Ja, Herder ist voller kulturkritischer Elemente. Beispiele will ich Ihnen ganz kurz nennen, zum einen der Geschichtsverlauf ist bei Herder auch immer eine Zugewinn- und Verlustrechnung. Etwa Verlust an Poesiefähigkeit der Menschen oder um noch ein Beispiel zu nennen, die politische Geschichte ist für Herder auch eine desaströse Geschichte, er ist ein ganz scharfer Zeitkritiker, er ist gegen Erbregierungen, er ist massiv gegen den Adel, er ist gegen die moderne ...
Köhler:: ... aber er geht doch nach Weimarwird Generalsuperindendent in Weimar und ist da ab 1780.
Bollenbeck:: Er ist seit 1776 genau in Weimar. Ja nicht nur das, er ist so eine Art Minister, man muss sich das vorstellen und das spricht für die Toleranz des Weimarer Hochadels, denn Herder bejaht die Französische Revolution. Er ist gegen Erbregierungen, er ist für die Produktivkräfte würde man, sozusagen, altdeutsch, marxistisch sagen. Insofern ist er ein absolut moderner Denker, zugleich aber, und das ist der entscheidende Punkt, hat er letztendlich bei aller Kritik, bei aller Kulturkritik immer eine Art Gottvertrauen. Er hat, wenn man so will, doch den Lieben Gott immer noch in der Reserve, er drängt ihn zurück, er ist nicht der metaphysische Gott, der alles lenkt, aber irgendwann taucht er doch bei Herder immer wieder auf.
Köhler:: Sie sagten eingangs, er ist eigentlich ein unterschätzter Philosoph oder wenig bekannter. Ich würde gerne in einer Schlusskurve noch einmal auf die Schrift kommen, die Sie eben erwähnten.1784 erscheinen die "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit", da geht es um die Gabe der Vernunft des Menschen, der Drang zur Humanität ist dem Menschen zu eigen. Und jetzt kommt das, finde ich, Interessante, er definiert ihn als ein geographisch-klimatisches Wesen oder ein Wesen, das diesen Bedingungen unterworfen ist. Entsteht da nicht doch schon so etwas, wie der Gedanke vom geschichtlichen Wesen, lange vor Dilthey?
Bollenbeck:: Ja, weitaus vor Dilthey. Man könnte sogar sagen, dass die neuere Ethnologie, die neuere Kulturanthropologie, die neuere Kulturwissenschaft, das, was man cultural turn nennt, ohne Herder überhaupt nicht denkbar ist. Das hat zwei Gründe, einmal die Bedingtheit über Klima, Milieu, Volk und zum Zweiten, und das ist wichtig, dass Herder die Völker alle gleich gelten lässt, das ist entscheidend. Heine sagt, für Herder sind die Völker wie eine Harfe, wie die Saiten an einer Harfe und die Harfe spielt Gott. Das ist ein schönes Bild und das ist, glaube ich, typisch für Herder. Insofern ist er für die Ethnologie, für die Kulturanthropologie absolut richtungsweisend gewesen.
Köhler:: Ist das so etwas, wie eine Art anti-aufklärerisches Element oder zumindest eine Reaktion auf den Rationalismus der Aufklärung?
Bollenbeck:: Sonderbarerweise, es ist, wenn man so will, Aufklärungskritik innerhalb der Aufklärung, das kennzeichnet, glaube ich, Herder, der ja sonderbarerweise als Philosoph bis heute völlig unterschätzt wird. Der gilt ja so als ein Schwafelkopf mit Gottvertrauen und die Philosophen missachten ihn, aber, ich glaube, zu Unrecht.
Köhler:: 1770 entsteht die "Abhandlung und Ursprung der Sprache", so eine Art Gründungsschrift der Sprachphilosophie, 50 Jahre vor Humboldt. "Von deutscher Art und Kunst" entsteht 1773, seine Dichtungsphilosophie, Naturgebundenheit ist der Tenor. Maine eine Frage an Sie, entsteht da das, was man vielleicht die kulturelle Bedingtheit des Menschen nennen könnte aus den Überlegungen Herders heraus?
Bollenbeck:: Man müsste noch hinzunehmen die beiden geschichtsphilosophischen Schriften, die "Bückeburger Schrift" und die "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit". Warum? Das Spannende bei Herder ist folgendes, dass er, wie keiner seiner Zeit, Geschichte, Gesamtheit und Dynamik des Einzelmenschen zusammendenkt. Und er macht dabei etwas ganz Interessantes, er hat eine völlig moderne Anthropologie. Was heißt das? Für Herder ist der Mensch ganz nah beim Tier, vom Körperbau her und zugleich trennt er den Menschen ganz scharf vom Tier, der Mensch ist sozusagen nicht triebgebunden wie das Tier und der Mensch ist offen, er ist zur Kultur verdammt.
Köhler:: Der theoretische Mensch?
Bollenbeck:: Es ist nicht nur der theoretische Mensch, es ist vor allen Dingen bei Herder der fühlende Mensch. Das ist ganz wichtig, es ist der fühlende Mensch und das Neue jetzt bei Herder ist, dass er einerseits, sozusagen, einen ganz weiten Kulturbegriff hat, alles gehört zur Kultur, auch die neueste Technik. Herder ist technikbegeistert würde man heute sagen und das zweite ist ebenso wichtig, das Zweite heißt auch, wenn er Kultur produziert, der Mensch, dann gibt es auch Schäden in der Kultur. Herder ist auch Rousseauleser, aber kein Kulturkritiker.
Köhler:: Fortschrittsgeschichte ist immer auch Verlustgeschichte, könnte man darin schon so eine Art kulturkritisches Element sehen?
Bollenbeck:: Ja, Herder ist voller kulturkritischer Elemente. Beispiele will ich Ihnen ganz kurz nennen, zum einen der Geschichtsverlauf ist bei Herder auch immer eine Zugewinn- und Verlustrechnung. Etwa Verlust an Poesiefähigkeit der Menschen oder um noch ein Beispiel zu nennen, die politische Geschichte ist für Herder auch eine desaströse Geschichte, er ist ein ganz scharfer Zeitkritiker, er ist gegen Erbregierungen, er ist massiv gegen den Adel, er ist gegen die moderne ...
Köhler:: ... aber er geht doch nach Weimarwird Generalsuperindendent in Weimar und ist da ab 1780.
Bollenbeck:: Er ist seit 1776 genau in Weimar. Ja nicht nur das, er ist so eine Art Minister, man muss sich das vorstellen und das spricht für die Toleranz des Weimarer Hochadels, denn Herder bejaht die Französische Revolution. Er ist gegen Erbregierungen, er ist für die Produktivkräfte würde man, sozusagen, altdeutsch, marxistisch sagen. Insofern ist er ein absolut moderner Denker, zugleich aber, und das ist der entscheidende Punkt, hat er letztendlich bei aller Kritik, bei aller Kulturkritik immer eine Art Gottvertrauen. Er hat, wenn man so will, doch den Lieben Gott immer noch in der Reserve, er drängt ihn zurück, er ist nicht der metaphysische Gott, der alles lenkt, aber irgendwann taucht er doch bei Herder immer wieder auf.
Köhler:: Sie sagten eingangs, er ist eigentlich ein unterschätzter Philosoph oder wenig bekannter. Ich würde gerne in einer Schlusskurve noch einmal auf die Schrift kommen, die Sie eben erwähnten.1784 erscheinen die "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit", da geht es um die Gabe der Vernunft des Menschen, der Drang zur Humanität ist dem Menschen zu eigen. Und jetzt kommt das, finde ich, Interessante, er definiert ihn als ein geographisch-klimatisches Wesen oder ein Wesen, das diesen Bedingungen unterworfen ist. Entsteht da nicht doch schon so etwas, wie der Gedanke vom geschichtlichen Wesen, lange vor Dilthey?
Bollenbeck:: Ja, weitaus vor Dilthey. Man könnte sogar sagen, dass die neuere Ethnologie, die neuere Kulturanthropologie, die neuere Kulturwissenschaft, das, was man cultural turn nennt, ohne Herder überhaupt nicht denkbar ist. Das hat zwei Gründe, einmal die Bedingtheit über Klima, Milieu, Volk und zum Zweiten, und das ist wichtig, dass Herder die Völker alle gleich gelten lässt, das ist entscheidend. Heine sagt, für Herder sind die Völker wie eine Harfe, wie die Saiten an einer Harfe und die Harfe spielt Gott. Das ist ein schönes Bild und das ist, glaube ich, typisch für Herder. Insofern ist er für die Ethnologie, für die Kulturanthropologie absolut richtungsweisend gewesen.