Freitag, 29. März 2024

Archiv


Die gescheiterte Invasion

Am 17. April 1961 beginnt die vom US-Geheimdienst CIA geplante Invasion von Kuba. Rund 1500 bewaffnete Exilkubaner landen mit Unterstützung der US-Marine in der Schweinebucht. Doch die militärische Operation endet im Fiasko.

Von Henning von Löwis | 17.04.2011
    1. Januar 1959. Zeitenwende in Kuba. Eine Rebellenbewegung unter Führung Fidel Castros erringt nach einem mehrjährigen Guerillakrieg die Macht auf der Insel. Diktator General Fulgencio Batista sieht sich gezwungen, ins Exil zu gehen.

    Die siegreiche Revolution wird in Kuba als Befreiungsschlag gegenüber den USA interpretiert, die Kuba jahrzehntelang politisch bevormundet und wirtschaftlich dominiert hatten. So betont Fidel Castro in seiner Siegesrede am Neujahrstag in Santiago de Cuba unmissverständlich, dass Kubas neue Revolution nicht so verlaufen werde wie 1898, als die Spanier Kuba aufgeben mussten und ...

    " ... die Nordamerikaner kamen und sich zu den Herren des Landes machten".

    Washington trägt dem Regimewechsel auf Kuba Rechnung und erkennt am 7. Januar die neue Regierung in Havanna offiziell an. Außenminister John Foster Dulles übermittelt Präsident Dwight D. Eisenhower seine Einschätzung:

    "Die Provisorische Regierung ist anscheinend frei von kommunistischem Anstrich, und es gibt Anzeichen dafür, dass sie beabsichtigt, freundliche Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu unterhalten."

    Doch sehr bald schon beginnt sich abzuzeichnen, dass sich Welten auftun zwischen dem revolutionären Kuba und den USA, dass es über kurz oder lang zu einer Konfrontation zwischen beiden Staaten kommen wird. Durch eine radikale Nationalisierungspolitik – die Enteignung vor allem amerikanischer Unternehmen - und eine immer stärkere Anlehnung an die Sowjetunion und das sozialistische Lager bringt Kuba die Vereinigten Staaten gegen sich auf.

    In Washington befürchtet man, dass der revolutionäre Funke von Kuba auf andere Länder Lateinamerikas überspringen könnte. Und das soll mit allen Mitteln verhindert werden. Fortan detonieren Bomben in Havanna, Fabriken fliegen in die Luft, Zuckerrohrfelder brennen. Die USA praktizieren eine Politik des Staatsterrorismus gegenüber Kuba – gesteuert von der CIA, ausgeführt zumeist von Exilkubanern und Gegnern Castros auf der Insel. Schließlich kommt es im Januar 1961 - als Kuba eine drastische Reduzierung des Personals der US-Botschaft in Havanna verlangt - zum Bruch zwischen beiden Ländern.

    Eisenhower nimmt sich fest vor, Castro zu stürzen, und in Havanna einem US-freundlichen Regime zur Macht zu verhelfen. Zu diesem Zweck wird von der CIA ein Invasionsplan ausgearbeitet, den Eisenhowers Nachfolger John F. Kennedy in die Tat umsetzen soll.

    Kennedy zögert lange, besteht darauf, dass die Invasion ausschließlich von Exilkubanern ausgeführt wird, will unter allen Umständen eine militärische Verwicklung der USA vermeiden, doch schließlich gibt er am 14. April 1961 grünes Licht für Luftschläge gegen Kuba – als Auftakt der "Operation Zapata" – einer Invasion unweit der Bahía de Cochinos, der Schweinebucht.

    15. April 1961. Im Morgengrauen bombardieren acht amerikanische B-26, die in Nicaragua gestartet sind, kubanische Flughäfen, um Castros Luftwaffe vor der Invasion weitgehend auszuschalten. Wenige Stunden nach dem Luftüberfall wendet sich Ministerpräsident Fidel Castro im Rundfunk an das kubanische Volk:

    "Sollte dieser Luftangriff der Auftakt zu einer Invasion gewesen sein, dann wird unser kampfbereites Land mit bewaffneter Hand Widerstand leisten und jeden Eindringling, der auf unserem Territorium zu landen versucht, vernichten."

    Der unerklärte Krieg, der am 15. April 1961 begonnen hat, ist für Kuba ein Zweifrontenkrieg: gegen die stärkste Militärmacht auf dem Globus und gegen Castro-Gegner im eigenen Land. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das Überleben jener Revolution, mit der Diktator Batista gestürzt wurde.

    Ein Täuschungsmanöver soll die Welt davon überzeugen, dass sich in diesen Apriltagen 1961 auf Kuba Kubaner gegen Castro erheben. Eine in Nicaragua präparierte, mit kubanischen Farben frisch bemalte und mit Einschusslöchern versehene B-26 landet am Morgen des 15. April in Miami. Der Pilot behauptet – wie vom Drehbuch der CIA vorgegeben -, dass er aus Kuba geflohen sei.

    Was die CIA sich ausgedacht hat, wird der Welt von Washingtons UNO-Botschafter Adlai Stevenson als Beweis eines Aufstandes gegen Castro präsentiert. Die USA würden alles in ihrer Macht stehende tun, dass kein Amerikaner sich an irgendeiner gegen Kuba gerichteten Aktion beteilige.

    Für Kubas Außenminister Raul Roa ist das, was da in den Morgenstunden des 15. April seinen Anfang nahm,

    " ... zweifellos der Auftakt zu einer groß angelegten Invasion – geplant, organisiert, ausgerüstet, bewaffnet und finanziert von der Regierung der Vereinigten Staaten",

    so Roa vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Adlai Stevenson, selbst hinters Licht geführt von seiner eigenen Regierung, weist die Vorwürfe als "völlig unbegründet" zurück.

    "These charges are totally false and I deny them categorically.”"

    Noch hätte Präsident Kennedy die Invasion stoppen können – theoretisch. Praktisch sind die Schiffe der Invasions-Armada bereits unterwegs ins Operationsgebiet, nehmen Kurs auf Kuba.

    Erst in den Mittagsstunden des 16. April – buchstäblich in letzter Minute – kommt das "okay" aus dem Weißen Haus für das Landungsunternehmen in den Zapata-Sümpfen bei Playa Girón.

    Am späten Abend dann die Ernüchterung für die CIA-Protagonisten der "Operation Zapata": Auf Anraten von Außenminister Dean Rusk werden die für den Morgen des Invasionstages vorgesehenen Luftschläge von Präsident Kennedy gestrichen. Richard Bissell, in der CIA Chefarchitekt und treibende Kraft der Invasion, protestiert gegen diese Entscheidung, hält sie für verhängnisvoll, findet sich aber mit ihr ab, ohne bei Kennedy zu intervenieren.

    Für Kuba markiert Sonntag, der 16. April 1961 einen Wendepunkt.

    Am Vortag der Invasion proklamiert Fidel Castro den Sozialismus auf Kuba. Auf der Trauerfeier für die Opfer der amerikanischen Bombenangriffe definiert der Maximo Líder die politische Marschrichtung, die Kuba zu einem Weggefährten der Sowjetunion und ihrer Verbündeten machen sollte. Manuel Andrés Mazorra, Angehöriger von Bataillon 120 der Nationalen Revolutionären Miliz, ist gerade zurückgekehrt von einem Einsatz gegen Aufständische im Escambray Gebirge, als er in Havanna der Kundgebung mit Castro beiwohnt.

    "Wir griffen zu den Gewehren als der Comandante en Jefe den sozialistischen Charakter der Revolution proklamierte und allen Milizionären den Befehl erteilte, sich zu den Standorten ihrer jeweiligen Bataillone zu begeben und Posten zu beziehen. Am 17., morgens, brachen wir auf nach Playa Girón."

    Die Invasion in der Schweinebucht beginnt im Schutz der Dunkelheit, eine Stunde nach Mitternacht, mit der Entladung von Truppen und Kriegsgerät von Bord des Schiffes "Caribe". Es dauert nicht lange, bis lokale Milizen auf das Geschehen am Strand aufmerksam werden.

    Erste Schüsse fallen. Alarm wird ausgelöst.

    Die meisten Angehörigen der Invasionsstreitmacht - der Brigade 2506 - sind Exilkubaner. An Bord eines der Schiffe: der Exilpolitiker Manuel Artime, vom Cuban Revolutionary Council in New York dazu auserkoren, zum gegebenen Zeitpunkt die Bildung einer provisorischen kubanischen Regierung zu verkünden und unverzüglich um Anerkennung und Unterstützung vonseiten der USA nachzusuchen. Als die amerikanische Invasions-Armada von Nicaragua aus in See gestochen war, hatte Diktator General Luis Somoza den Männern der Brigade 2506 nachgerufen:

    "Bringt mir einige Haare von Fidels Bart mit!"

    Ein Wunsch, der unerfüllt bleiben sollte. Und das aus vielerlei Gründen.

    Der kleinen kubanischen Luftstreitmacht gelingt es in kurzer Zeit, die Schiffe der Invasions-Armada in die Flucht zu schlagen. Als Fidel Castro in den Mittagsstunden des 16. April informiert wird, dass das Bataillon der Milizschule den Ort Palpite eingenommen hat, ruft er triumphierend aus:

    "Wir haben gewonnen! Wir haben den Krieg gewonnen!"

    Am Abend des D-Day – des Invasionstages – kontrolliert Brigade 2506 zwar noch zwei der Zugangsstraßen ins Operationsgebiet, doch ohne Versorgungsschiffe und nachhaltige Luftunterstützung erscheint ihre Lage ziemlich aussichtslos. Präsident Kennedy erkennt, dass man möglicherweise den Einsatz der US-Marine in Erwägung ziehen müsse. Gegenüber seinem Bruder Robert äußert er – wie die vom "National Security Archive" in Washington 2001 erstellte Dokumentation "Bay of Pigs – 40 Years After" vermerkt:

    "Lieber bin ich ein Aggressor, als dass ich die Hände in den Schoss lege."

    Doch inzwischen hat sich auch die andere Weltmacht in den Konflikt eingeschaltet. Während Kennedy noch versucht, das drohende Debakel in der Schweinebucht abzuwenden, erhält er eine unmissverständliche Botschaft aus Moskau in Sachen Kuba. Absender: Nikita Chruschtschow, Ministerpräsident der UdSSR.

    "Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass die bewaffneten Banden, die in das Land eingefallen sind, von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildet, ausgerüstet und bewaffnet worden sind. Die Flugzeuge, die kubanische Städte bombardieren, gehören den Vereinigten Staaten von Amerika, die Bomben, die sie abwerfen, wurden von der amerikanischen Regierung zur Verfügung gestellt ... Was die Sowjetunion betrifft, so sollte man sich über unsere Haltung nicht täuschen: Wir werden dem kubanischen Volk und der Regierung alle erforderliche Unterstützung gewähren, um den bewaffneten Angriff auf Kuba abzuwehren."

    Am zweiten Tag des Überfalls auf Kuba hat Amerikas "Operation Zapata" die Gipfelebene der Weltpolitik erreicht.

    Mit einer nächtlichen Krisensitzung im Weißen Haus beginnt am 19. April der Anfang vom Ende der "Operation Zapata". John F. Kennedy bekräftigt noch einmal seinen Standpunkt, dass ein Kampfeinsatz von US-Truppen nicht infrage käme.

    Damit ist das Schicksal von Brigade 2506 praktisch besiegelt.

    Letzte Versuche, die Invasionstruppen mit Munition zu versorgen, scheitern. Am 19. April um 14.32 Uhr übermittelt der Kommandeur der Brigade 2506 seine letzte Botschaft:

    "Ich habe nichts mehr, womit ich kämpfen könnte ... Mache mich in die Sümpfe davon."

    Am Abend des 19. April verbreiten die kubanischen Medien Kommuniqué Nr. 4, unterzeichnet von Fidel Castro Ruz, Oberbefehlshaber der Revolutionären Streitkräfte:

    "Einheiten der Revolutionären Streitkräfte und der Nationalen Revolutionären Miliz haben im Sturmangriff die letzten Stellungen der Invasionstruppen erobert, die die Invasionstruppen auf unserem Staatsgebiet besetzt hielten. Playa Girón, der letzte Söldnerstützpunkt, ist heute um 17.30 Uhr gefallen. Fidel Castro Ruz – Oberbefehlshaber der Revolutionären Streitkräfte."

    Fidel Castro – der Mann, der durch die "Operation Zapata" gestürzt und zuvor ermordet werden sollte – sitzt nach dem 19. April 1961 auf dem hohen Ross, ist populärer und mächtiger als jemals zuvor. Dank der Invasion. Der deutsche Castro-Biograf Volker Skierka:

    ""Eine moderne Version der biblischen Heldensage von David und Goliath entsteht. Die Niederlage Washingtons in der Schweinebucht steigert Castros Heldenmythos ins Legendäre."

    Castros Kampfgefährte Ernesto "Che" Guevara konstatiert:

    "Playa Girón ist ein Symbol für alle unterdrückten Völker. Playa Girón ist die erste Niederlage des Imperialismus in Lateinamerika, aber es ist auch eine der ersten Niederlagen des Imperialismus weltweit."

    Die USA müssen die Invasion – in jeder Beziehung – teuer bezahlen, werden von Castro kräftig zur Kasse gebeten. Für die Freilassung der rund 1.200 Kriegsgefangenen stellen sie Castro nach einem langen Tauziehen schließlich medizinische Hilfsgüter im Wert von 53 Millionen Dollar zur Verfügung.

    Der amerikanische Angriff auf Kuba liefert Castro den Vorwand, alle noch verbliebenen Widersacher auf Kuba als Handlanger der USA abzustempeln und mit harter Hand gegen Regimegegner vorzugehen. Gleichzeitig beschert ihm die "Operation Zapata" einen weltpolitischen Verbündeten von Gewicht: die Supermacht Sowjetunion.

    Als die in Playa Girón geschlagenen Söldner im Dezember 1962 - nach mehr als anderthalb Jahren Gefangenschaft auf Kuba - in die USA zurückkehren, werden sie in Florida wie Helden gefeiert. Präsident Kennedy versichert ihnen, ihr Banner werde eines Tages in einem "freien Havanna" wehen.

    "I can assure you that this flag will be returned to this Brigade in a free Havana."

    Manche Exilkubaner haben es Kennedy nie verziehen, dass er nicht die US-Armee einsetzte, um der Brigade 2506 beizustehen und die Invasion siegreich zu beenden. Und es mangelt nicht an Verschwörungstheorien, die einen Zusammenhang herstellen zwischen dem Fiasko in der Schweinebucht und der Ermordung Kennedys im November 1963 in Dallas.

    Kennedy bleibt – trotz der Lektion von Playa Girón - auf Konfrontationskurs gegenüber Kuba, lässt die Streitkräfte neue Invasionspläne ausarbeiten, die CIA neue Mordpläne schmieden, macht viele Millionen Dollar locker, um mithilfe von Castro-Gegnern innerhalb und außerhalb Kubas einen Systemwechsel in Havanna herbeizuführen.

    Auf den Tag genau ein Jahr nach der Niederlage in der Schweinebucht beginnt in der Karibik das US-Militärmanöver "Quick Kick", an dem 40.000 Soldaten, 300 Flugzeuge und 83 Kriegsschiffe teilnehmen. Geübt wird der Sturz eines den USA feindlich gesonnenen Regimes, dessen Führer den Namen ORTSAC trägt – also von hinten gelesen: CASTRO.

    Nach Angaben des kubanischen Geheimdienstes werden in Kuba im Zeitraum von Januar bis August 1962 nicht weniger als 5.870 Terror- und Sabotageakte registriert. Die meisten tragen die Handschrift der CIA. Doch niemals wieder gehen die Vereinigten Staaten das Wagnis ein, Kuba direkt anzugreifen.

    Auch nicht während der Raketenkrise 1962, die die Welt an den Abgrund eines Atomkrieges bringen sollte. Zu groß ist offenbar in Washington die Angst davor, dass Moskau im Falle einer erneuten amerikanischen Aggression gegen Kuba etwas unternehmen würde, um die "Westberlin-Frage" in sowjetischem Sinne zu lösen.

    Aus historischer Distanz betrachtet, sei es ein großes Glück gewesen, dass die US-Invasion in der Schweinebucht 1961 Schiffbruch erlitten habe, so Fidel Castro im Jahre 2001 auf der wissenschaftlichen Konferenz "40 Jahre nach Girón".

    "Das war ein großes Glück für uns, aber auch für die Vereinigten Staaten, denn Vietnam hätte in Kuba stattgefunden und nicht in Vietnam."

    50 Jahre nach der "Operation Zapata" – nach Castros Sieg in Playa Girón – ist die Welt eine andere. Die Sowjetunion ist untergegangen, der Kalte Krieg Geschichte – und Kuba damit schon lange nicht mehr Vorposten einer östlichen Supermacht in der westlichen Hemisphäre.

    Fidel Castro, der Mann, der den USA die bittere Niederlage in Playa Girón beibrachte, ist von der politischen Bühne abgetreten und agiert heute aus dem Hintergrund. Das Ruder des Staatsschiffes hat er an seinen jüngeren Bruder Raúl übergeben.

    Und der betont immer wieder – zuletzt bei der Verabschiedung von US-Ex-Präsident Jimmy Carter auf dem Flughafen Havanna, dass Kuba jederzeit bereit sei, das Verhältnis zum großen Nachbarn USA zu normalisieren. Allerdings: auf der Grundlage der Gleichberechtigung und Nichteinmischung.

    "Wir warten schon viele, viele Jahre. Und wir sind bereit weitere Jahre zu warten. Aber unser Verhältnis kann nicht von Unterordnung geprägt sein wie früher. Dazu haben wir unsere Revolution nicht gemacht."

    Raúl Castro hat vorsichtige Reformschritte eingeleitet, um Kubas marode Wirtschaft auf Vordermann zu bringen, ohne das sozialistische System grundsätzlich infrage zu stellen. 50 Jahre nach dem Sieg von Playa Girón lautet die Parole: "Tiempo de Cambio" – "Zeit des Wandels".

    Doch ist es alles andere als ein Zufall, dass der mehrfach verschobene VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas im April 2011 stattfindet. Das Datum ist eine Reverenz an die Geschichte – an den Sieg von Playa Girón im April 1961.