"Im Grund sieht sich Gabriel als realistischer Schriftsteller. Der Schein trügt. Man vermutet das nicht bei seiner Phantasie, aber er ist, wie er selbst einräumt, ein realistischer Schriftsteller, dem es nur mit Mühe gelingt, die Welt aus einer poetischen Höhe zu sehen. Dazu ist er zu sehr in der Wirklichkeit verwurzelt. Zum Beispiel Remedios aus ‚Hundert Jahre Einsamkeit’, die schwebt doch! Darauf erklärt Gabo, ja, weil sie zuvor eine heiße Schokolade getrunken hat. Hätte sie Malzkaffee getrunken, ginge das nicht. Aber mit einer heißen Schokolade kann jeder schweben. – Bei mir ist es genau umgekehrt. ....Ich blick auf die Welt immer aus poetische Höhe. Nur mit großer Mühe gelingt es mir, herabzusteigen und die Welt realistisch zu betrachten. Auf diesem Weg hinauf bzw. hinab treffen Gabo und ich uns."
Im mexikanischen Exil sind Eliseo Albertos Romane "Die Geschichte von José" und "Caracol Beach" entstanden, die jetzt auf Deutsch vorliegen. Sie spielen in einem imaginären Ort bei Miami. Schicksalhaft kreuzen sich hier die Wege von Emigranten aus der ganzen Welt, von Haitianern, Russen, Schweden, Kubanern, Armeniern, Spaniern, Mexikanern. Wie die Igel in Schopenhauers Gleichnis lernen auch Albertos Romanfiguren, die Stacheln anzulegen, um sich in der Fremde zu wärmen. "Caracol Beach" und die "Geschichte von José" handeln nicht nur am gleichen Ort und teilen einige der Nebenfiguren, sondern sind beides auch Reflexionen über die Unterdrückung und die unsichtbaren Käfige, die uns umgeben. Im Thriller "Caracol Beach" konzentriert sich Eliseo Alberto auf die Handlung. Mit einer rasanten, dem Film entlehnten Montagetechnik, schildert er den Amoklauf eines kubanischen Angolaveteranen. Die Erinnerung an die Schrecken des Krieges treiben den Protagonisten an den Rand des Wahnsinns. Zum Selbstmord fehlt im jedoch der Mut. Wie ein Tier haust er umgeben von den Gespenstern der Vergangenheit auf einem Schrottplatz. Schließlich überwältigt ihn die Angst. Er kidnappt drei College Absolventen und fordert die beiden jungen Männer in einer Spirale der Gewalt auf, ihn zu töten. Das Mädchen behält er als Geisel. Ein Count Down der Angst beginnt, eine mörderische Jagd, bei der alle unschuldig und schuldig zugleich sind. Albertos Thriller erhält seine literarische Dimension durch die vielen Schicksale ganz unterschiedlicher Exilanten, die er, trotz aller Brutalität, zu einer hoffnungsvollen Gegenwelt verknüpft: "Das Konzept und der Begriff des Schiffbruchs ist zentral in Caracol Beach. Es sind Schiffbrüchige aus aller Welt, die dort stranden. Lauter Robinson Crusoes, die auf der Insel landen. Wenn ich es mir richtig überlege, habe ich Robinson Crusoe wieder geschrieben. In Caracol Beach begegnet Robinson Crusoe nicht nur Freitag, sondern auch Montag, Dienstag, Mittwoch, Samstag und Sonntag. Am Ende mögen sie einander. Trotz der Allgegenwart von Tod und Gewalt lösen Zuneigung und Liebe die Konflikte in meinem Roman. Ich spanne einen weiten Bogen, der von Zuneigung, über Bewunderung, Achtung, Liebe bis hin zur Leidenschaft reicht."
Anders als bei Zoé Valdés und Jesús Díaz ist bei Alberto weder Hass noch Bitternis zu spüren, sondern nostalgische Zuversicht. Sein Blick auf die Insel und das Exil erfasst neben dem Tragischen auch immer das Komische. Albertos Helden sind Gefangene zwischen zwei Systemen, die der Autor so unterscheidet: "Wenn der Kapitalismus der Dschungel ist, dann ist der Sozialismus der zoologische Garten." Dieses Gleichnis aus "Rapport gegen mich selbst" hat der Autor nun in der "Geschichte von José" literarisch umgesetzt.
In einem us-amerikanischen Gefängnis wurde der siebzehnjährige Exilkubaner José zum Schwerverbrecher. Nach fünfundzwanzig Jahren Haft bittet der Zoodirektor von Santa Fe, man möge ihm den vermeintlichen Mörder überstellen, um die Besucherzahlen aufzupeppen. Josés Käfig neben den Affen wird zur Sensation, ein Schaucontainer ohne Intimsphäre. Der Mensch, ein Tier?
"Die Geschichte" ist , wenn man so will sehr metaphorisch. Sie handelt von einem Mann in einer Extremsituation, der gefangen ist und auf den alle Welt blickt. Man macht ihn zum Paradebeispiel für das Schlechte im Menschen, zum Vertreter Satans auf Erden. Hat ein Mensch unter solchen Voraussetzungen überhaupt noch die Möglichkeit, die Chance sich zu bessern? Nur durch Liebe und Freundschaft. Die anderen Romanfiguren beginnen José Brücken zu bauen, ihm die Hand zu reichen. Die "Geschichte von José" wie auch "Caracol Beach" sind beide eine Reflexion über die Einsamkeit. Alle Charaktere sind darin grundeinsam. Nicht nur die Protagonisten, sonder auch die Nebenfiguren. Obwohl diese ihre Einsamkeit am Schluss überwinden, aufeinander zugehen und sich helfen."
"Die Geschichte von José" ist mehr als eine literarische Metapher für das lädierte Kuba. Sie macht auch den ganz normalen Wahnsinn auf unserer Seite des Käfigs sichtbar. Der gewalttätige José wird plötzlich zum Medienstar. Ein Nobelitaliener stellt gratis das tägliche Essen, ein Couturier deckt ihn mit "Hausanzügen" ein, Feministinnen ziehen vor seinen Käfig und fordern, eine Frau an seiner Stelle, während die Neonazis sich empören, dass ein Ausländer ausgestellt wird. Im Unterschied zu den Zlatkos im Container spürt José die Einsamkeit je mehr er in der Öffentlichkeit steht.
Aus dem inneren Gefängnis retten ihn die Liebe einer Biologin und die Freundschaft des mexikanischen Zoowärters. Dieser eigenwillige Don Quixote macht den Unterschied zwischen Mensch und Tier gerade an der Fähigkeit fest, sich für einen anderen zu opfern – was er auch tut. Bis auf Ausnahmen sind in Albertos "Geschichte von José" die Menschen die Bestien, während die Zoobewohner menschliche Züge erhalten. Am Ende des Romans entfaltet der Kubaner nochmals sein filmisches Erzähltalent. In einer karnavalesken Apotheose feiert Santa Fe dem neuen Millennium entgegen. Mitten im Gewühl fiktiver und historischer Figuren des 20 Jahrhunderts, zwischen Einstein, James Bond, Stalin und King Kong bahnt sich José, die Polizei an den Fersen, den Weg in die Freiheit.