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Die Globalisierung des Autorenfilms

Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig sind viele internationale Koproduktionen zu sehen. Da ist Marco Bechis Film "Birdwatchers". Der in Brasilien spielende Film berichtet von einem kleinen Stamm der Guarani-Kaiowa-Indianer, die aus einem Reservat ausbrechen und ihr altes Stammland wieder in Besitz nehmen wollen. Nach dem tosenden Beifall für den italienischen Beitrag könnte am Ende auch ein "Goldener Löwe" möglich sein.

Von Josef Schnelle |
    Christoph Schmitz: Im letzten Jahr waren es noch die großen politischen Themen gewesen, die auf der Filmbiennale von Venedig verhandelt wurden, wie der Krieg im Irak, die Verwerfungen und Irritationen in der amerikanischen Gesellschaft, die Verrohung der ordentlichen Kerle unterm Helm. In diesem Jahr sind die weltpolitischen Themen noch nicht bearbeitet worden. Die erste Halbzeit ist abgelaufen, das groß ambitionierte Werk war bis auf Werner Schroeters "Nuit de chien" heute Abend noch nicht dabei. Und die großen Regisseurnamen hatten von Anfang an gefehlt, die unbekannten und die bekannten waren neugierig erwartet worden.

    Ein Kino der leisen Töne sei derzeit auf dem Lido zu erleben, ist zu lesen. Das Weltkino verzichte auf die großen Geschichten, suche vielmehr die kleinen, dem Leben abgerungene Wahrheiten. Wahrheiten auch über das versehrte Leben von Frauen. Andere Kritiker nennen das "auf mittleren Pfaden dahinschleppen und ausgetretenen Pfaden folgen". Unser Kritiker Josef Schnelle mit einem anderen Blick auf die vergangenen Tage des Festivals und das globalisierte Kino.

    Josef Schnelle: Die Globalisierung hat auch das Kino erreicht. Finanziert werden die Filme schon lange, immer häufiger als internationale Koproduktionen. Inzwischen aber, so scheint es, hat diese Entwicklung auch den Autorenfilm erreicht und zu einer globalen Verwirrung der Sprachen und Themen geführt. Kaum einer kehrt mehr direkt vor der eigenen Haustür. Babette Schröder, in Teheran geboren und mit Schweizer Pass, inzwischen in Hollywood angesiedelt, versucht sich an einer rätselhaften japanischen Kriminalstory mit Femme Fatale, "Die Bestie im Schatten", und scheitert genau wie sein Held an der fremden Welt der Geishas und ihrer düsteren Fetisch-Geheimnisse. Einer der vier italienischen Regisseure im Wettbewerb ist in Istanbul geboren, ein anderer in Chile. Entsprechend unitalienisch sind ihre Filme. Yu Lik-wai aus Hongkong beschäftigt sich in seinem Wettbewerbsbeitrag "Plastic City" mit Bandenkriminalität in São Paulo, größtenteils wird natürlich portugiesisch gesprochen. Aber zur Unterwelt mit kopierten Turnschuhen und rivalisierenden Banden gehören auch asiatische Neobanditen, deswegen in ihrem Bordell auch schon mal ein chinesisches Lied zu hören ist.

    Schnelle: "Plastic City" suhlt sich in den Vorbildern der großen Gangsterfilmdynastien und stürzt dann doch ab in Symbolkitsch. Es ist nicht leicht, eine vollkommene fremde Welt auf die Leinwand zu bringen. Multikulturelle Sprachartistik allein reicht ebenso wenig wie die Exotik des Sujets und der Bilderlandschaften. Umso überraschender gestern Abend Marco Bechis Film "Birdwatchers". Der spielt in Mato Grosso in Brasilien und berichtet von einem kleinen Stamm der Guarani-Kaiowa-Indianer, die aus einem Reservat ausbrechen und ihr altes Stammland wieder in Besitz nehmen wollen. Dadurch geben sie auch die kleinen Jobs auf, mit denen sie sich über Wasser halten. Für die Touristen stehen sie nackt am Fluss und schießen mit feindseligen Blicken ein paar Pfeile knapp an ihnen vorbei ins Wasser. Wenn das Boot der Event-Touristen verschwunden ist, durchqueren sie den spärlichen Restdschungel, kassieren ihre Gage und besteigen den kleinen Pick-up. Sie streifen schäbige T-Shirts und Shorts über und lassen sich ins Reservat fahren. Damit soll endlich Schluss sein, findet der Häuptling des Stammes, siedelt seine Leute am Rande des kultivierten Feldes eines weißen Rangers an und zettelt damit eine kleine Revolte an, die zu dramatischen Konsequenzen führt.

    Schnelle: Die Verzweifelungsschreie von Oswaldo, dem jungen zukünftigen Schamanen des Stammes erinnern an Vogelstimmen, die er hört. Marco Bechis Film "The Birdwatchers" steht in der großen Tradition der ethnografischen Filme von Robert Flaherty, aber er geht auch darüber hinaus. Die Indios wollen nicht einfach zurück ins primitive Leben. Sie wollen nur ihr Land zurück und ihre traditionelle Lebensweise weiterentwickeln. Motorradfahren könnte dazugehören, auch die Liebe zur eigentlich verfeindeten Farmerstochter. Bechis Film ist beeindruckend in seiner schlichten Schönheit und lässt sich von der Komplexität des Themas nicht durch allzu einfache Lösungen abbringen. Die Indios haben recht, es ist ihr Land und ihr Leben, aber einfach zurückdrehen lassen sich die Zeiten auch nicht. Der Konflikt der entwurzelten Nomaden mit den sesshaften Farmen erinnert an klassische Western. Und am Ende bleibt selbst die komische Liebe der starken Guarani-Frau zu einem komischen Bewacher im Wohnwagen auf der Strecke. Tosender Beifall, und das zu Recht jedenfalls, gestern Abend für diesen nominell-italienischen Wettbewerbsbeitrag, den die Jury von Wim Wenders keinesfalls übersehen dürfte. Vielleicht ist sogar endlich wieder einmal ein "Goldener Löwe" für Italien möglich, auch wenn im Film kein Wort Italienisch gesprochen wird.

    Schmitz: Josef Schnelle auf Deutsch über die Filmfestspiele von Venedig.