Ein Burleske, möchte man meinen, doch der im letzten Jahr hochbetagt verstorbene Mario Soldati gewinnt dieser beinahe klassischen Situation ungewohnte Töne ab. Denn hier führt nicht der Überlegene den Unterlegenen vor, sondern arrangiert sich mit der Situation. Als Flüchtlinge sind beide aufeinander angewiesen, und weil der eine den richtigen Zeitpunkt verpaßt, die Komödie des anderen dezent zu beenden, fügt er sich in die ihm zugewiesene Rolle. Als Gehilfe assistiert er bei der Einstudierung eines "Werther"-Chores, den der "Maestro" angeblich selbst komponierte, dessen Melodie er aber leider vergessen habe. Die Selbstverleugnung nimmt schmerzhafte Züge an, und es kommt, wie es kommen muß: Jahre später treffen beide in der richtigen Konstellation aufeinander. Der eine oben am Pult, der andere sklavisch hinter seiner Pauke. Weil Scham eine mächtige Kraft ist, kann der nunmehr berühmte echte Maestro nicht weiterdirigieren und muß eine erkleckliche Konventionalstrafe bezahlen. Welch süßer Triumph für den ewigen Underdog aus dem Orchestergraben! Nachgerade zärtlich betupft er sein Paukenfell, als der zweitklassige Ersatzdirigent den Einsatz gibt.
Mit unaufdringlicher Lakonie erzählt Mario Soldati diese Musikergeschichte als das, was sie eigentlich ist: eine überall gültige Parabel der Zweierbeziehung. Über Dezenz und Nähe, über die subtilen Fallstricke der Schweigsamkeit und die Feigheit vor dem peinlichen Augenblick der Wahrheit. Man sieht sich stets zweimal im Leben; das will beim Erstkontakt beachtet sein. Keine Frage, dieses Buch lehrt uns, im Umgang miteinander ein bißchen aufrichtiger zu sein. Alles andere kann sehr teuer werden.