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Die gute Seite des CO2

Chemie.- Ameisensäure wird heutzutage in aller Regel synthetisch hergestellt. Allerdings ist das bisherige Verfahren recht kostspielig. Chemiker der Universität Kiel haben nun zeigen können, dass sich die begehrte Chemikalie auch aus Kohlendioxid gewinnen lässt.

Von Tomma Schröder |
    Martin Beyer hat sein Forschungsobjekt noch nie gesehen. Wer mit dem Chemiker in sein Labor an der Universität Kiel geht, findet dort erstmal nur eine kleine Maschine mit großem Namen:

    "Wir arbeiten mit einem Fourrier-Transformations-Ionen-Cyclotronen-Resonanz-Massenspektrometer – kurz: FTICR"

    Das "FTICR" sieht recht unscheinbar aus. Knapp zwei Meter lang und einen Meter breit ist die Maschine, die aus unzähligen Kabeln, Leitungen und kleinen Kammern besteht. In ihrem Innern befindet sich so gut wie gar nichts. Denn dort herrscht ein Hochvakuum. Vollkommene Leere – wäre da nicht das winzige, unsichtbare Forschungsobjekt von Martin Beyer, das dieser mithilfe des extrem niedrigen Drucks erzeugen kann: das sogenannte "Nanowasser".

    "Wir beschäftigen uns schon seit zehn Jahren mit Nanotröpfchen, das heißt, jeder Tropfen ist ein Nanometer groß, das entspricht einem Millionstel Millimeter. Und ein Wassertropfen dieser Dimension hat nur noch um die 50 Wassermoleküle. Das heißt, das ist so wenig, dass man sich fragen muss, ist das noch Wasser?"

    Denn obwohl auch Nanowasser nur aus H2O-Molekülen besteht, hat es andere Eigenschaften als gewöhnliches Wasser. So können in den Tröpfchen chemische Reaktionen ablaufen, die unter normalen Bedingungen gar nicht oder nur mit sehr hohem Energieaufwand möglich wären. Ein Beispiel, das Martin Beyer jüngst untersucht hat, ist besonders attraktiv: Ihm ist es gelungen mithilfe der Nanowassertröpfchen aus dem Treibhausgas Kohlendioxid eine gefragte Chemikalie herzustellen: Methansäure, besser bekannt unter dem Namen:

    "Ameisensäure, weil sie tatsächlich durch Extraktion von Ameisenkörpern gewonnen wurde."

    Und zwar indem man die Namensgeber der begehrten Säure massenhaft kochte oder auspresste. Denn Waldameisen produzieren die ätzende Flüssigkeit in ihren Körpern, um sich bei Gefahr vor Feinden zu schützen. Jeder, der sich schon mal in einen Ameisenhaufen gesetzt hat, kennt diese Art der Verteidigung, die auch von einigen Käfern, Quallen und Pflanzen wie etwa der Brennnessel angewandt wird. Industriell hergestellte Säure wird heutzutage zum Desinfizieren, zum Enteisen von Landebahnen auf Flugplätzen oder zum Imprägnieren von Leder eingesetzt. Selbst Brennstoffzellen in Laptops und anderen Geräten könnten in Zukunft mit Ameisensäure betrieben werden. Dafür müssen dann allerdings – so erklärt Martin Beyer - keine Ameisen mehr sterben.

    "Es wird jetzt aus Kohlenmonoxid und Methanol hergestellt. Und das sind beides Stoffe, die man natürlich auch anders gebrauchen kann."

    Im Gegensatz zu dem Chemiekonzern BASF, der auf diese Weise 200.000 Tonnen Ameisensäure jährlich herstellt, braucht Martin Beyer für seine Ameisensäureproduktion lediglich das mehr als ausreichend vorhandene Kohlendioxid sowie seine winzigen Wassertröpfchen. Die sind der eigentliche Clou. Denn zum einen liefern sie die notwendige wässrige Umgebung. Ohne die ließe sich das Kohlendioxid gar nicht negativ aufladen und damit für weitere Reaktionen vorbereiten. Zum anderen aber sind die Tröpfchen so klein, dass das negativ aufgeladene Kohlendioxid nicht gleich wieder mit dem nächstbesten Wassermolekül reagieren kann, wie es im gewöhnlichen Wasser der Fall wäre. Das reaktiv gemachte CO2-Molekül ist quasi in den Nanotröpfchen gefangen. Martin Beyer kann dann von außen das noch fehlende Wasserstoffatom hinzufügen. Fertig ist die Ameisensäure. Der Haken: Zu sehen ist die von Martin Beyer hergestellte Ameisensäure genauso wenig wie seine Nanowassertröpchen.

    "Für jede Reaktion brauchen Sie einen Nanotropfen, und der kann natürlich nicht beliebig viel Kohlendioxid pro Minute umsetzen. Man braucht ja, um sichtbare Mengen Ameisensäure herzustellen, um die 10 hoch 23 Ameisensäure-Moleküle. Und das sind verdammt viele und die schafft ein einzelner Nanotropfen nicht so gut."

    Mit der klimafreundlichen Säureproduktion, die tonnenweise Kohlendioxid verbraucht, wird es im Labor von Martin Beyer also erstmal nichts werden. Bis es soweit ist, müsste erst ein Verfahren entwickelt werden, mit dem Nanotropfen in großer Zahl zur Verfügung gestellt werden können. Und das, so schätzt Martin Beyer, wird wohl noch zehn bis 20 Jahre dauern. Oder anders formuliert:

    "Wäre schön, wenn wir das noch erleben. Aber es ist nicht voraussehbar."