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Die Hetzkampagnen "sind manchmal wirklich frustrierend"

Im neuen ungarischen Parlament wird eine Partei sitzen, die nicht nur gegen die Roma-Minderheit hetzt. Sondern auch gegen die rund 100.000 Juden, die heute in Ungarn leben.

Von Andrea Mühlberger | 26.04.2010
    In einem alternativen Klub in der Budapester Altstadt, dort, wo früher das jüdische Getto war, lässt Adam Schönberger mit Freunden musikalisch seinen Frust raus. Der 30-jährige Sohn eines Rabbiners leitet den alternativen Jugendclub "Siraly". Viele junge Leute stehen noch unter dem Schock des 17-Prozent-Erfolgs von Jobbik. Im neuen ungarischen Parlament wird eine Partei sitzen, die nicht nur gegen die Roma-Minderheit hetzt. Sondern auch gegen die rund 100.000 Juden, die heute in Ungarn leben.

    "Ich war sehr beunruhigt über die Anfänge dieser Neonazi-Partei. Doch inzwischen habe ich mich fast schon daran gewöhnt – obwohl es schrecklich und enttäuschend ist, dass so viele für Jobbik gestimmt haben. Aber das war keine Überraschung ... "

    … meint Adam Schönberger. Als nach der politischen Wende 1989 viele Ungarn ihr Judentum wiederentdeckten und offen zeigten, habe auch der Antisemitismus wieder begonnen. Die Verteufelung des jüdischen Kapitals und die Behauptung, die Juden wollten Ungarn aufkaufen und zu einer israelischen Kolonie machen – solche radikalen Sprüche von Jobbik kommen besonders bei jungen Neonazis so gut an. Adam Schönberger macht dafür das Bildungssystem verantwortlich:

    "Sogar an unserer jüdischen Schule hatten wir dieselben, miesen Geschichtsbücher, in denen es nur um die nationalen Errungenschaften der Ungarn geht. Aber die Roma - immerhin zehn Prozent der ungarischen Bevölkerung – kommen so gut wie gar nicht vor. Der Holocaust wird auf einer halben Seite abgehandelt. Die Folge sind natürlich große Wissenslücken über die Minderheiten. Kombiniert mit nationalistischer Bildung verursacht das dann eben eine Sache wie Jobbik."

    Falls das gesellschaftliche Klima sich nach dem historischen Rechtsruck bei der Parlamentswahl weiter verschlechtert, wird Adam die Koffer packen und sich einen Ort suchen, an dem er als Jude nicht angepöbelt wird.

    "Du lebst nicht in Ungarn wegen der mediterranen Küste oder der hohen Berge. Hier gibt es gar nichts – nur versmogte Städte mit riesigen Wohnanlagen oder Provinz-Dörfer. Wir haben hier früher wegen der liberalen Atmosphäre gewohnt, wir hatten alle Freiheiten. Sollte es das alles nicht mehr geben, werde ich natürlich weggehen. Denn dann wird das hier ein sehr ungemütliches Land sein."

    Nach dem Ende des Kommunismus lag in dem Viertel rund um das ehemalige Getto Aufbruchsstimmung in der Luft. In die maroden Bürgerhäuser aus dem 19. Jahrhundert zogen alternative Klubs, Cafés, Theater und koschere Restaurants. Auch die Synagogen füllten sich mit jungen Leuten, die sich für ihre jüdischen Wurzeln interessierten. Diese Neugierde hat in den letzten Jahren wieder nachgelassen. Stattdessen ist der Antisemitismus immer stärker zu spüren.

    "Die Hetzkampagnen und Holocaust-Leugner sind manchmal wirklich frustrierend. Ohne meine Arbeit und meinen Einsatz für die jüdische Community würde sich kaum etwas ändern. Natürlich ist das ein sehr langsamer Prozess, weil ich eine 1000-jährige Ignoranz besiegen muss, bei der Antisemitismus von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde. Aber Schritt für Schritt gelingt es uns, zu vermitteln, dass das Judentum einiges zu bieten hat!"

    Zsuzsa Fritz leitet das jüdische Kulturzentrum "Balint-Haus". Eine Anlaufstelle für verschiedene Organisationen und Berufsgruppen aller Altersklassen – nicht nur für Juden. Heute steht israelischer Volkstanz auf dem Programm.
    Vor dem Zweiten Weltkrieg war jeder Vierte in der Eine-Millionen-Einwohner-Stadt Budapest Jude. Viele starben in den Gaskammern der Nazis. Wer überlebte und nicht auswanderte, begriff bald, dass es im Kommunismus vorteilhaft war, seine jüdische Identität zu unterdrücken. Nach der politischen Wende erlebte das Judentum eine Renaissance. Zsuzsa Fritz setzt sich täglich dafür ein, dass die Community zu ihrer früheren Vitalität zurückfindet. Den Kampf gegen die Rechtsextremen von Jobbik hält sie noch lange nicht für verloren:

    "Wahrscheinlich bin ich völlig naiv und idealistisch. Aber ich glaube fest daran, dass es auch eine Zukunft für Juden in Europa gibt. Und deshalb bin ich hier. Es gab hier eine wunderschöne, jüdische Community und ich fühle mich verantwortlich, die Tradition weiterzuleben und die große Lücke zu füllen."