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Die Intellektuellen und ihr Lieblingsmörder

Prominente französische Schriftsteller und Intellektuelle sprechen von einer zweiten "Dreyfus-Affäre". Es geht um den mutmaßlichen italienischen Ex-Terroristen Cesare Battist, der in seinem Heimatland in Abwesenheit verurteilt wurde. Präsident Mitterand hatte ihm sicheres Asyl zugesichert, vor zwei Jahren jedoch wurde dem Auslieferungsantrag der italienischen Behörden stattgegeben. Battisti kam in Auslieferungshaft und floh. Jetzt muss der Europäische Gerichtshof über Recht und Unrecht dieses Verfahrens entscheiden.

Von Jürgen Ritte |
    Die französische Archäologin Fred Vargas, in Deutschland auch bekannt als Autorin erfolgreicher Kriminalromane, spricht von einer zweiten "Dreyfus-Affäre", der in die Jahre gekommene Barde Georges Moustaki packt für ihn seine Gitarre wieder aus, prominente Schriftsteller wie Daniel Pennac oder Philippe Sollers haben ihre Solidarität bekundet, der Philosoph Bernard Henri-Lévy glaubt seiner Regierung die Prinzipien eines Rechtsstaats in Erinnerung rufen zu müssen, ja selbst konservative Pariser Stadträte sind für ihn schon auf die Straße gegangen, während die französische Presse, je nach Lager, ihre Geschütze in Stellung bringt. Grund für solche Aufregung ist der Fall des italienischen Ex-Terroristen Cesare Battisti.

    Seit seiner Ankunft in Frankreich im Jahre 1990 betätigt auch er sich nebenberuflich als Autor von Kriminalromanen. Ein gutes Dutzend davon, oftmals mit stark autobiographischem Einschlag, hat er inzwischen in namhaften Verlagshäusern wie etwa Gallimard vorgelegt. Hauptberuflich betätigte er sich als Concierge in einem Pariser Wohnhaus des 9. Arrondissements, verheiratet ist er auch – mit einer Französin – und Vater zweier Kinder. Ein unauffälliges, friedfertiges, bürgerliches Leben, wie auch die zuständigen französischen Behörden noch vor drei Jahren befanden, als sie Battistis Antrag auf Einbürgerung positiv bewerteten.

    Dann aber holte ihn unversehens eine Vergangenheit wieder ein, die sich wie ein Kapitel aus jenem düsteren Romanzo criminale liest, den Italien in den siebziger Jahren durchlebte: Als führendes Mitglied der "bewaffneten Proletarier für den Kommunismus", so der Name der terroristischen Splittergruppe, war Battisti 1979 in Italien verhaftet und wegen angeblicher Beteiligung am Mord an einem Mailänder Juwelier zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Kurz nach seiner Verurteilung gelang Battisti im Oktober 1981 die Flucht nach Mexiko. Doch damit nicht genug: 1993 verurteilte ihn ein Mailänder Gericht in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft wegen Mordes in vier Fällen. Alle vier Morde, unter anderem an einem Polizisten und einem Gefängniswärter, gehen auf die Jahre 1978 und 1979 zurück.

    Grundlage für diese Verurteilung waren allerdings nur die Aussagen eines ehemaligen Kampfgefährten Battistis, der sich aufgrund einer auch in den Augen des Europäischen Gerichtshofs zweifelhaften Kronzeugenregelung – wie sie später auch in Mafia-Prozessen Anwendung fand – durch die Belastung Battistis erhebliche Strafmilderungen sichern konnte.

    Dass Battisti seit 1990 unbehelligt in Frankreich leben konnte, liegt an einem Versprechen des damaligen Staatspräsidenten François Mitterrand, der 1985 allen nach Frankreich geflohenen Italienern mit linksterroristischer Vergangenheit, sicheres Asyl gewährte – freilich nur, insofern sie der Gewalt abschworen; die französischen Justiz bekräftigte 1991 das präsidiale Versprechen bekräftigte und lehnte ein Auslieferungsansinnen der italienischen Regierung in Sachen Battisti ab.

    Genau dieses Versprechen aber hat vor zwei Jahren die französische Regierung gebrochen, als sie einem erneuten Antrag der italienischen Behörden stattgab und Battisti vorübergehend in Auslieferungshaft nahm. Ein Skandal, bei dem französische und italienische Behörden auch nicht vor der Produktion falscher Beweisstücke zurückgeschreckt seien, so Fred Vargas, die von Battistis Unschuld überzeugt ist und dessen Flucht im Sommer 2004 gut heißt. Bernard Henri-Lévy, der sich über Schuld und Unschuld Battistis nicht äußern will und sich gegen jeden Verdacht, er zeige sich milde gegenüber einem Terroristen, verwahrt, beharrt darauf, dass ein Staat sein Wort nicht geben und brechen könne, wie es ihm politisch gerade passe. Als in Abwesenheit Verurteilter habe Battisti zudem in Italien keinen Anspruch auf einen neuen und fairen Prozess.

    Beide, Vargas und Lévy, steuern Vor- beziehungsweise Nachwort zu Battistis soeben eingetroffener Flaschenpost aus dem Irgendwo bei. In "Ma Cavale", was man mit "Auf der Flucht" übersetzen könnte, beteuert Battisti seine Unschuld an den Morden, gesteht aber als ehemaliges Mitglied einer bewaffneten Gruppe seine politische Verantwortung für diese Verbrechen ein. Der Blick geht zurück in die schwer entwirrbaren siebziger Jahre in Italien, wo Geheimdienste, rechtsextreme und linksextreme Attentäter, konspirative Logen und zweifelhafte Militärs ihr blutiges Spiel spielten. Erstmals auch belastet Battisti ehemalige Mitkämpfer und desolidarisiert er sich von den anderen italienischen Exilanten.

    Als Sympathiewerbung überzeugt das Buch auf den ersten Blick allerdings nicht unbedingt. Die reichlich ausfabulierte Erzählung von seiner Flucht macht dem Romanautor wohl alle Ehre, lässt den Helden, dessen Aufenthalt irgendwo in Südostasien verortet wird, aber nicht gerade strahlend aussehen. Aber vielleicht soll uns gerade das von seiner Ehrlichkeit überzeugen.

    Die Fortsetzung folgt in den nächsten Wochen: der Europäische Gerichtshof wird über die Rechtmäßigkeit der Auslieferungsbewilligung befinden. Außerdem entschied vor zehn Tagen das zuständige französische Verwaltungsgericht, dass einer Einbürgerung Battistis nichts mehr im Wege stehe. Dann könnte er womöglich in seine Pariser Concierge-Loge zurückkehren und weitere Kriminalromane schreiben. Auf die Wahrheit über das, was 1978 und 1979 wirklich geschah, werden wir aber wohl noch lange warten müssen…