27. Februar 2023
Die internationale Presseschau

Thematisiert werden unter anderem das Flüchtlingsunglück vor der italienischen Küste und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Außerdem geht es um die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende im Bundestag und die damit verbundene Erhöhung des Verteidigungsetats.

Bundesverteidigungsminister Pistorius steht in Tarnkleidung vor einem Mikrofon. Hinter ihm ein getarnter Panzer. v
Bundesverteidigungsminister Pistorius fordert mehr Geld für die Ausstattung der Bundeswehr. (AFP / RONNY HARTMANN)
Die Wehrfähigkeit Deutschlands habe sich keinen Deut verbessert, meint die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. "Die Zeitenwende bei der Bundeswehr relativiert sich, noch ehe sie wirklich umgesetzt werden kann. Doch ist mit dem Geld wenigstens bereits etwas passiert? Die Antwort lautet: nein. Doch es gibt Pläne der Bundeswehr, wofür es ausgegeben werden soll. Der größte Teil - 41 Milliarden Euro - geht an die Luftwaffe für Kampfjets, Helikopter, Drohnen und Flugabwehrsysteme. So steht die Politik nach wie vor in einem über Jahrzehnte gewachsenen Dschungel der Rüstungsbeschaffung. Er ist das Ergebnis politischer Ziellosigkeit und Halbherzigkeit - über drei Jahrzahnte war Rüstung als Teil der Sicherheitsvorsorge in Deutschland kein relevantes Thema", beklagt die Schweizer NZZ.
Die russische Zeitung ROSSIJSKAJA GASETA kommentiert die von der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Journalistin Alice Schwarzer initiierte Kundgebung "Aufstand für den Frieden" in Berlin: "Sahra Wagenknecht und ihre Gleichgesinnten haben etwas geschafft, was im modernen Deutschland fast unmöglich schien: Sie vereinten Anhänger sowohl rechter als auch linker politischer Ansichten zur Unterstützung ihrer Anliegen am Brandenburger Tor. Unter den Beteiligten selbst sorgt eine solche Vereinigung zwar noch immer für heftige ideologische Auseinandersetzungen, doch möglicherweise bildet sich hier eine parteiübergreifende Antikriegsfront", schreibt die ROSSIJSKAJA GASETA aus Moskau.
In der Wiener Zeitung DER STANDARD heißt es: "An der Politik der Ukraine gab es immer viel zu kritisieren, aber selten war der Unterschied zwischen Demokratie und Tyrannei so deutlich zu sehen wie heute zwischen Kiew und Moskau, zwischen Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin. Dass das außerhalb der westlichen Welt so wenig wahrgenommen wird, ist ernüchternd. Ob eine klare Niederlage Russlands in diesem furchtbaren Krieg der Demokratie außerhalb Europas einen frischen Aufwind geben wird, ist unsicher. Aber ein Sieg für Putin wäre jedenfalls eine Ernüchterung für demokratische Bewegungen in aller Welt und ein Signal an autoritäre Politiker, dass im 21. Jahrhundert Macht doch stärker ist als Recht. Und das darf nicht geschehen", fordert die österreichische Zeitung DER STANDARD.
Die WASHINGTON POST kommentiert Berichte über die systematische Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland: "Die gewaltsame Überführung von Kindern von einer Gruppe in eine andere ist in der Völkermordkonvention von 1948 verboten. Die Entführung von Kindern gehört nach Einschätzung der Vereinten Nationen zu den sechs schweren Verstößen gegen Kinder in bewaffneten Konflikten. Letztlich werden internationale Gerichte ein Urteil fällen müssen. Die Verbündeten der Ukraine, die Vereinigten Staaten und Europa, könnten jedoch bereits jetzt Maßnahmen gegen Beamte in Russland ergreifen, die für die Verschleppung verantwortlich sind", hebt die WASHINGTON POST hervor.
Die kanadische Zeitung THE GLOBE AND MAIL weist darauf hin, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen kaum Wirkung zeigen: "Auch heute, ein Jahr nach der Invasion und der Verhängung von Sanktionen, ist das Alltagsleben der Russen weitgehend davon unbeeinflusst. Die Cafés und Bars in St. Petersburg sind noch geöffnet, das Leben in Moskau sieht so aus wie in den letzten zwei Jahrzehnten, und die Russen strömen immer noch an die türkischen Strände. Für russische Dissidenten, die nach der Invasion nach Istanbul geflohen sind, ist das ein frustrierender Anblick. Sie sind verblüfft über den ständigen Strom russischer Touristen, die die Einkaufsviertel und Mittelmeerstrände füllen und scheinbar nicht wissen, welchen Schaden Putin dem Land zufügt", erklärt THE GLOBE AND MAIL aus Toronto.
Der Ukraine-Krieg überschattet die Parlamentswahl in Estland, dazu schreibt die schwedische Zeitung AFTONBLADET: "Estland hat eine 300 Kilometer lange Grenze zu Russland, und man weiß, was eine Besetzung durch den großen Nachbarn im Osten bedeutet. Der russische Angriff auf die Ukraine ist deshalb die dominierende Frage bei den Wahlen. Auch hat Estland zuletzt politisch turbulente Zeiten erlebt. Premierministerin Kaja Kallas führt seit Sommer bereits ihre zweite Koalitionsregierung an. Aber man begrüßt in Estland die Pläne Schwedens und Finnlands für einen NATO-Beitritt. Gegen Kriegsende flohen zehntausende Esten vor der roten Armee über die Ostsee nach Schweden – und nun sind wir es, die uns an Estland anhängen wollen, um unsere Sicherheit zu stärken", betont das AFTONBLADET aus Stockholm.
Hören Sie nun Kommentare zum Flüchtlingsunglück vor der italienischen Küste. Die britische Zeitung INDEPENDENT übt harsche Kritik an der Asylpolitik in Europa: "Der tragische Tod von mehr als 60 Flüchtlingen vor der Küste Italiens ist eine fürchterliche Mahnung für die europäischen Staaten - auch für Großbritannien. Abgesehen von einigen Ausnahmen sind die Länder nicht in der Lage, den Menschen, die Sicherheit suchen, diese auch zu gewähren. Die europäischen Staaten werden auch in Zukunft kaum weitere derartigen Tragödien verhindern können, solange sie keine sicheren Wege für die Flüchtlinge aufzeigen. Stattdessen streiten die europäischen Länder darüber, wer diese hilflosen Menschen aufnehmen soll. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich barmherzig gegenüber einer Million Syrern gezeigt. Dieses Beispiel wird leider ignoriert", unterstreicht die Londoner Zeitung INDEPENDENT.
Die Zeitung LA VANGUARDIA aus der spanischen Stadt Barcelona beklagt: "In der EU sind die Reformen der Flüchtlingspolitik seit zwei Jahren in einer Sackgasse. Ziel ist es, die Einwanderung - die wegen der Überalterung und der demografischen Entwicklung notwendig ist - mit Maßnahmen zu verbinden, die den unsicheren und oft von Mafiaorganisationen geförderten Überfahrten ein Ende bereiten. Die Auffassung, dass es sich um ein 'regionales' Problem der Länder Südeuropas handelt, sind nur Vorwände."
Die portugiesische Zeitung JORNAL DE NEGOCIOS aus Lissabon notiert: "EU-Parlamentspräsidentin Metsola hat erneut ihren Finger in die Wunde gelegt und die Mitgliedstaaten aufgefordert, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Europa hat immer mehr Schwierigkeiten, alle Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft am Laufen zu halten, und es braucht endlich neue Regeln für Asyl und Migration, um Verfolgten Schutz zu gewähren und den Schleusern ihre Geschäftsgrundlage zu entziehen."
Abschließend noch zwei Kommentare aus türkischen Zeitungen zu dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet. HABERTÜRK aus Istanbul fordert einen Neuanfang: "Jeder entschlossene Schritt wird dazu beitragen, für die Zukunft besser aufgestellt zu sein. Alles zu verschleiern oder so zu tun, als ob alles nicht so schlimm war, wäre lediglich eine Wiederholung der Fehler. Wir müssen uns fragen, ob Profit wichtiger ist als Menschenleben. Es ist nicht damit getan, ein paar Bauunternehmer vor Gericht zu stellen. Regierung und Politik sind für die schweren Folgen verantwortlich. Aber nicht nur sie, die Bürger sind es ebenso", betont die türkische Zeitung HABERTÜRK.
Die Zeitung EKONOMI aus Istanbul weist darauf hin, dass zahlreiche Menschen innerhalb der Türkei flüchten: "Ein Viertel der 13,4 Millionen Menschen in den Erdbebengebieten haben sich bereits in den Westen des Landes begeben oder planen dies. Die Menschen ziehen zu Verwandten. Zudem haben die Behörden viele Menschen in Hotels oder Feriensiedlungen am Mittelmeer untergebracht, zunächst nur für zwei Monate. Dass sie länger dort bleiben werden, ist jetzt schon klar. Die Türkei sollte sich auf den Wiederaufbau der Städte und die dafür vorgesehenen Kosten von bis zu 50 Milliarden Dollar vorbereiten", empfiehlt die Zeitung EKONOMI aus der Türkei.