Dienstag, 16. April 2024

12. Mai 2023
Die internationale Presseschau

Kommentiert werden der Nahost-Konflikt und die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei. Zunächst geht es aber um die Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland.

12.05.2023
Der Kopf der Rakete Storm Shadow, darunter eine Missile, bzw. das Fernlenkgeschoss.
Die Ukraine hat Raketen des Typs Storm Shadow von Großbritannien geliefert bekommen. (AFP / BEN STANSALL)
Großbritannien liefert Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow mit einer Reichweite von mehr als 250 Kilometern. Dazu schreibt die niederländische Zeitung DE TELEGRAAF: "Damit gehen die Briten weiter als die Amerikaner, die bisher nur Raketen mit einer Reichweite von 80 Kilometern geliefert haben. Auch bei der Entsendung von Panzern war London führend. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges haben die Briten die Ukraine tatkräftiger als andere europäische Länder unterstützt. Unterdessen ringt der Westen immer noch mit der Bitte Kiews um Kampfjets. Die mutige Entscheidung Großbritanniens zum Einsatz der Raketen verdient Nachahmung", meint DE TELEGRAAF aus Amsterdam.
Der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz blickt auf die ukrainisch-deutschen Beziehungen: "Der ukrainische Präsident und der Kanzler reden regelmäßig miteinander. Nur in Berlin ließ sich Selenskyj bisher nicht blicken, anders als in Washington, London, Paris, Warschau oder Den Haag. Sollte der ukrainische Präsident am Wochenende nun also Deutschland besuchen, wie allenthalben erwartet, aus Sicherheitsgründen aber nicht bestätigt wird, würde er damit auch ein politisches Bekenntnis abgeben: dass die Ukraine Deutschland mittlerweile traut und für ihr Überleben auf Berlin angewiesen ist. In der Sache ist dieses Vertrauen längst gerechtfertigt", urteilt der TAGES-ANZEIGER aus Zürich.
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE notiert: "Die Dimensionen sind monströs: In der Ukraine ist eine Fläche, zweimal so groß wie Österreich, mit Minen verseucht, darunter mit PFM-1, also mit 'Schmetterlingsminen', wie sie die Sowjets schon vor vier Jahrzehnten in Afghanistan gelegt haben. Diese Minen sind oft grün und sehr klein, man sieht sie kaum, aber ihre Sprengkraft ist stark genug, um Kinder zu töten und Erwachsene zu verstümmeln. Solang Krieg herrscht, soll Österreichs Bundesheer nicht bei der Minenräumung helfen. So hat es Verteidigungsministerin Tanner entschieden. In Frontnähe ist das verständlich, aber in zivilen Gebieten Hunderte Kilometer hinter der Front, wo einmal Schlachtfeld war, aber jetzt nur noch Minenfeld ist? Das Bundesheer hat viele Defizite, aber das Minenräumen zählt zu seinen Stärken. Wer hier rasche Hilfe verwehrt, sollte es gut begründen können", findet DIE PRESSE aus Wien.
Nun zu den türkischen Wahlen. Die Zeitung KARAR aus Istanbul führt aus: "Noch zwei Tage, dann werden Erdogan und die AKP verlieren. Weil sie die Justiz in ihrem Sinne politisiert haben, und in der Türkei quasi kein Recht mehr gesprochen wird. Weil Erdogan sich zum Wirtschaftsweisen erklärt und damit das Land in den Ruin geführt hat. Weil die Menschen zunehmend verarmen und die Korruption allgegenwärtig ist. Weil es inzwischen keine freie Presse mehr gibt. Auch im Ausland steht für Erdogan die Ampel auf Rot. Er hat sich zu sehr an Russland angenähert und damit das Vertrauen des Westens verloren. Die Argumente, warum die Ära Erdogan zu Ende gehen muss, sind lang. Die Menschen in der Türkei wollen Bürger eines glücklichen Landes sein. Nur noch zwei Tage, dann wird Erdogan gehen", hofft KARAR.
Völlig anderer Meinung ist die regierungsnahe Zeitung YENI SAFAK, die ebenfalls in Istanbul erscheint: "Warum Erdogan? Weil er ermöglicht hat, dass Gläubige wieder in der Hagia Sophia beten können. Weil er alle Verbote gegen die Kurden aufgehoben hat. Weil er sich für die Sache der Palästinenser eingesetzt und syrischen Flüchtlingen Sicherheit geboten hat. Weil unter Erdogan die türkische Wirtschaft jährlich im Durchschnitt um fünf Prozent gewachsen ist. Weil er Krankenhäuser, Wohnungen, Schulen, Tunnel und Brücken hat bauen lassen. Das Ansehen der Türkei ist weltweit gestiegen. Man kann nicht alle Gründe aufzählen, die für Erdogan sprechen", unterstreicht YENI SAFAK aus Istanbul.
"Es ist die spannendste Wahl in der jüngeren Geschichte der Türkei", bemerkt das norwegische DAGBLADET aus Oslo: "Erdogan steht seit 20 Jahren an der Spitze seines Staates. Während der letzten Jahre hat er an Popularität eingebüßt, es aber geschafft, seine Macht zu erhalten. Aber schon 2018 erlangte der Präsident nur einen knappen Sieg, und diesmal könnte er tatsächlich verlieren."
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO merkt an: "Für Erdogan wird es bei seinem Rennen um die dritte Amtszeit eng. In den Umfragen hat er kaum noch Vorsprung gegenüber seinem Mitbewerber Kilicdaroglu um die Präsidentschaft. Der Verzicht des dritten Bewerbers Ince steigert die Gewinnchance des Oppositionsführers noch einmal. Wird die Türkei mit einem möglichen Sieg Kilicdaroglus einen neuen Weg einschlagen? Seine Außenpolitik jedenfalls dürfte den USA und Europa zugewandter sein. Von Russland lossagen wird er sich jedenfalls nicht können oder wollen. Zu stark ist die türkische Abhängigkeit von der russischen Energie", gibt JIEFANG RIBAO aus Schanghai zu bedenken.
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG ist zu lesen: "Für manche ist Erdogan schlicht 'the devil you know' – der Teufel, den man kennt. Vor allem ist es mit einem wütenden Autokraten wie ihm viel einfacher, das leidige Thema des EU-Beitritts-Prozesses auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Eine demokratische Türkei, die die richtigen Schritte unternimmt, dürfte Brüssel zum jetzigen Zeitpunkt schwer überfordern. Fürchtet sich die EU gar vor einem möglichen Präsidenten Kilicdaroglu? Das wäre töricht. Kilicdaroglu hat den Wählerinnen und Wählern visafreies Reisen in Europa in Aussicht gestellt. Dafür müsste er unter anderem die rigorosen Anti-Terror-Gesetze entschärfen, wie Brüssel fordert. Die EU sollte sich dann ebenfalls an ihr Versprechen halten und dem Land entgegenkommen. Eine Bevölkerung, die ihren Autokraten aus dem Amt wählt, hätte es verdient", stellt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG klar.
Nun noch Stimmen zum Nahost-Konflikt. Die dänische Zeitung POLITIKEN erläutert: "Die palästinensische Miliz 'Islamischer Dschihad' beschießt Israel mit Raketen und Granaten, Israel antwortet mit Luftangriffen. Niemand weiß, wann das ein Ende nimmt – und ob. Aber es weiß auch niemand, wann das Ganze eigentlich angefangen hat. Reichen die Wurzeln bis 2007 zurück, als Israel und Ägypten den Gazastreifen abriegelten? So behauptet es die Hamas. Immer wieder hat Israel Anführer der Hamas oder des Islamischen Dschihad getötet, aber es kamen ständig neue nach. Die palästinensischen Angriffe schweißen die Israelis zusammen, aber das gilt auch für die Bewohner im Gazastreifen. Die Hamas hat Truppen im südlichen Libanon aufgebaut und arbeitet dort mit der Hisbollah-Miliz zusammen, die mit dem Iran verbündet ist. Wenn alle Gegner gleichzeitig angreifen, droht ein umfassender Krieg“, befürchtet POLITIKEN aus Kopenhagen.
Die Zeitung LA RAZON aus Mexiko-Stadt wirft ein: "Bei dem aktuellen Konflikt spielt die politische Rivalität zwischen Hamas und Islamischem Dschihad eine wichtige Rolle. Die Hamas kontrolliert den Gazastreifen, unterstützt aber nicht die Operationen des Dschihad – zumindest noch nicht. Die getöteten Dschihad-Akteure waren keine zentralen Anführer, weshalb auch die Motive Israels im Unklaren bleiben. Warum hat man Anführer aus der zweiten Reihe getötet und damit den Konflikt angeheizt? Denkbar wäre, dass die Regierung unter dem Druck ultrarechter Kräfte steht. Auch könnten die drastischen Mittel Israels in direkter Verbindung zu den Protesten gegen die Justizreform stehen. Aber in jedem Fall war die Eliminierung von Dschihad-Anführern ein riskantes Manöver, denn wenn die Gewalt eskaliert – und danach sieht es aus - wird es auch der Hamas zunehmend schwerfallen, sich aus dem Konflikt herauszuhalten."