16. September 2023
Die internationale Presseschau

Themen sind heute unter anderem die Flutkatastrophe in Libyen und die umstrittene Abstimmung im Thüringer Landtag. Außerdem geht es um den Tod der Kurdin Mahsa Amini, der sich heute zum ersten Mal jährt.

Portrait einer Frau, der rote Tränen die wie Blut anmuten, die Wangen herabfließen
Im Iran kommt es seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini immer wieder zu Prostesten. (picture alliance / ROBIN UTRECHT / ROBIN UTRECHT)
Die dänische Zeitung POLITIKEN führt aus: "Heute ist es ein Jahr her, dass die 22-jährige Iranerin Mahsa Amini von der Polizei getötet wurde, nur weil ihr Kopftuch zu locker saß. Ihr tragischer Tod wurde der Startschuss für einen Freiheitskampf unter dem Slogan 'Frau, Leben, Freiheit', der das Regime seither erschüttert. Dieser Kampf wird friedlich weitergeführt, ist aber mit hohen Risiken verbunden. Der Jahrestag von Aminis Tod läutet den Beginn einer neuen Phase ein. Es ist ein Kampf der Iraner, aber die übrige Welt kann und muss das Ihre dazu beitragen", fordert POLITIKEN aus Kopenhagen.
Die schwedische Zeitung EXPRESSEN erklärt: "Viele weitere Menschen sind seither im Iran gestorben, sowohl Frauen als auch Männer, tausende wurden eingesperrt und gefoltert. Trotzdem gehen Frauen im Iran nach wie vor ohne die vorgeschriebene Kopfbedeckung auf die Straße. Sie wissen, welches Risiko sie damit eingehen, zu welchen Übergriffen das Regime fähig ist. Es foltert und tötet seine Bürger, um den Kopftuchzwang aufrechtzuerhalten, ganz so, als wäre die Kontrolle der Kleiderordnung der tragende Balken der gesamten Unterdrückung", notiert EXPRESSEN aus Stockholm.
Die französische Zeitung LE FIGARO kritisiert die Haltung der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber dem Regime in Teheran: "Während die religiöse Diktatur ihre Bevölkerung unterdrückt und massakriert, treibt sie ihre Schritte im internationalen Chaos voran. Russland kauft vom Iran Drohnen für seinen Krieg in der Ukraine, Saudi-Arabien versöhnt sich unter der Schirmherrschaft Pekings mit seinem alten Feind, die Brics-Staaten und die Shanghai-Organisation öffnen ihm die Arme. Sogar der 'große Satan' USA verhandelt über einen Gefangenenaustausch und die Freigabe von sechs Milliarden Dollar. US-Präsident Biden mag den 'Mut' der Demonstranten loben, die Iraner stehen diesem diskreditierten Regime allein gegenüber", kritisiert LE FIGARO aus Paris.
Bei der verheerenden Flutkatastrophe in Libyen sind tausende Menschen ums Leben gekommen. Die panarabische Zeitung AL QUDS AL-ARABY analysiert: "Gerade der Osten des Landes ist mit all seinen Waffen und Militärlagern Bühne einer anmaßenden Machtdemonstration, die sich direkt gegen das Wohl des Landes und der Bürger richtet. In der Summe ist der Einsturz von Dämmen und Brücken ein eklatantes Beispiel für Nachlässigkeit der politischen Akteure. Dies gilt umso mehr, als bereits seit Langem davor gewarnt wurde, dass die Dämme nicht gewartet würden, eine entsprechende Reaktion darauf aber ausblieb. Letztlich muss man sagen, dass es die beiden verfeindeten Gruppen in Libyen und ihre jeweiligen ausländischen Partner waren, die dem Land den Garaus machten", unterstreicht die in London herausgebene Zeitung AL QUDS AL-ARABY.
Die türkische Zeitung CUMHURIYET ist ähnlicher Ansicht: "Fakt ist, dass es Libyen und den Libyern unter dem Diktator Gaddafi viel besser ging als heute. Er hat nur den Fehler gemacht, den Westen insbesondere die USA herauszufordern. Das war eine falsche Politik. Und der größere Fehler war, dass er diesen nicht eingesehen hat und weitergemacht hat. Am Ende wurde er im Rahmen des imperialen Projekts der Vereinigten Staaten getötet. Und damit fing auch der Bürgerkrieg an", betont CUMHURIYET aus Istanbul.
Die Zeitung EL PAIS aus der spanischen Hauptstadt Madrid erklärt: "Die Katastrophe hat auch gezeigt, in was für einem schlechten Zustand die Infrastruktur ist und wie inkompetent die Behörden reagieren. So hätte die Bevölkerung evakuiert werden können, wenn sich eine der Regierungen einen normal funktionierenden meteorologischen Dienst leisten würde. Der Westen sollte daher über die Folgen von Interventionen in Drittstaaten ohne langfristigen Plan nachdenken."
Die verheerenden Überschwemmungen seien keine reine Naturkatastrophe, vielmehr sei das unzulängliche Warnsystem für die vielen Opfer verantwortlich, meint die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO. "Auch nach der Katastrophe ist weder die lokale noch die zentrale Regierung in der Lage, entsprechende Rettungs- und Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Die diversen kriminellen Banden stellen das Land vor eine Zerreißprobe. Nicht zuletzt trägt aber auch der Westen mit seiner Einmischung eine Mitschuld für das Desaster in Libyen. Selbst die jetzt zugesagten Katastrophenhilfen aus den USA und Europa sind lächerlich und nur ein Tropfen auf dem heißen Stein", bemängelt HUANQIU SHIBAO aus Peking.
Themenwechsel. Bundesaußenministerin Baerbock war in dieser Woche in den USA, um für weitere Hilfen für die Ukraine zu werben. Dazu schreibt die russische Zeitung KOMMERSANT: "Kiew und seine europäischen Partner sind ernsthaft besorgt über die Stimmung im amerikanischen Kongress, von dem einige Mitglieder Sparmaßnahmen fordern und die Zweckmäßigkeit bezweifeln, der Ukraine ein neues 24-Milliarden-Dollar-Hilfspaket zur Verfügung zu stellen. In Washington war die Ministerin ernsthaft damit beschäftigt, die Stärke der Unterstützung für die Ukraine zu testen. Einige sehr konservative Republikaner drohen damit, die Arbeit der Regierung zu blockieren, wenn sie keine Sparmaßnahmen umsetzt. Es ist offensichtlich, dass der republikanische Vorsitzende des Senats, McConnell, wenig gegen die rechten Republikaner im Unterhaus des Kongresses ausrichten kann", glaubt der Moskauer KOMMERSANT.
In einem Kommentar der NEW YORK TIMES plädiert der Autor für einen Beitritt der Ukraine in die EU: "Sicherlich hat die Europäische Union viele Probleme, die sie tagtäglich zu bewältigen hat. Aber wenn man Europas lange Geschichte des Brudermordes bedenkt, ist die EU ein stilles, wenn auch langweiliges Wunder. Ein Beitritt der Ukraine würde sie nur noch stärker machen. Die sinnvollste und schmerzhafteste Strafe für den russischen Präsidenten Putin und seine Kriegsverbrechen könnte sein, dass dieser dazu verurteilt werden sollte, für den Rest seines Lebens im Kreml zu sitzen, sich vor Putschisten zu verstecken und auf eine Ukraine zu blicken, die ein sicheres und florierendes Mitglied der größten demokratischen, freien Markt- und Reisezone der Welt ist - der EU. Das wäre der Albtraum von Wladimir Putin. Unsere Aufgabe ist es, dazu beizutragen, dass er wahr wird", unterstreicht die NEW YORK TIMES.
Hören Sie nun noch Kommentare zur Verabschiedung eines Gesetzes im Thüringer Landtag mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP. Dazu schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: "Das Dilettieren der Bundesregierung auf vielen Feldern lässt die Rechten in der Gunst der Wähler steigen. Womöglich setzt mit der Erfurter Entscheidung ein Lernprozess ein und beginnt die CDU unter Schmerzen zu begreifen: Souverän ist eine Partei, die sich ihre Agenda nicht vom politischen Gegner bestimmen lässt – weder von der AfD noch von der SPD, den Grünen oder der Linken. Politik befände sich im Stadium fortgesetzter Selbstlähmung, richtete sie all ihr Trachten danach aus, das Gegenteil dessen zu tun, was die AfD will", heißt es in der Schweizer NZZ.
Die Wiener Zeitung DER STANDARD erklärt: "In Deutschland wollen die anderen Parteien die Brandmauer gegenüber der AfD zwar aufrechterhalten. Aber es gelingt nicht immer, auch dort beginnt sie zu bröckeln. In Thüringen ist sie seit soeben, wie Weidel triumphierend auf Social Media schrieb, 'Geschichte'. Gemeinsam haben CDU und AfD im Thüringer Landtag die Senkung der Grunderwerbsteuer durchgesetzt – gegen den Willen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung. Diese Art inhaltlicher Zusammenarbeit mit der sonst so geschmähten Rechten ist in Österreich längst gelebte Praxis. Diese Durchlässigkeit des politischen Systems in Österreich gegenüber einer aggressiven Rechten interessiert Weidel und die AfD. Eine zweifelhafte politische Liaison bahnt sich an. Man mag sich die Konsequenzen nicht ausmalen", warnt DER STANDARD aus Österreich, mit dem die internationale Presseschau endet.