26. September 2023
Die internationale Presseschau

Themen sind die jüngsten Gefechte im Kosovo, das Gipfeltreffen der Pazifikinseln in Washington und die Vertreibung tausender Armenier aus der Kaukaus-Region Berg-Karabach durch Aserbaidschan.

Menschen, unter ihnen Kinder und ein älterer Mann im Rollstuhl, stehen an einem Unterstand. Im Hintergrund ein Reisebus.
Bewohner der Enklave Berg-Karabach bei ihrer Ankunft in der armenischen Provinz Sjunik (picture alliance / dpa / TASS / Alexander Patrin)
Der Schicksal der Armenier sei mit dem Ukraine-Krieg besiegelt worden, heißt es in der norwegischen Zeitung DAGBLADET. "Tausende Armenier aus Berg-Karabach haben bereits ihre Häuser verlassen, und die meisten von ihnen haben keine Illusion, was eine Rückkehr betrifft. Sie hatten keine Chance gegen moderne aserbaidschanische Waffen und russische Machtlosigkeit. Nun sind ethnische Vertreibungen zu befürchten, während die Weltgemeinschaft wenig anderes tun kann als zuzusehen. Dabei waren die Armenier seit Beginn des 20. Jahrhunderts bereits Opfer eines Völkermords durch die Türkei, und sie waren Stalin ausgeliefert, der die historische armenische Landschaft Berg-Karabach in den 30er Jahren Aserbaidschan übergab. Das verarmte Armenien steht nun vor einem enormen Flüchtlingsproblem", unterstreicht das DAGBLADET aus Oslo.
Zur Haltung Russlands im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan heißt es in der britischen TIMES: "Die Armenier rechnen damit, dass Moskau, das in einen langen, kostspieligen Krieg mit der Ukraine verwickelt ist, keine Lust auf einen weiteren Krieg an seiner Peripherie hat. Die Lektion für Russlands frühere Verbündete ist klar: Solange Russland mit seinem blutigen Feldzug gegen Kiew beschäftigt ist, hat es weder die Energie noch die Kapazitäten, um Angriffe anderswo zu verhindern. Zwei ranghohe US-Beamte, darunter die Leiterin von USAID sind bereits in Armenien gelandet. Ziel ihrer Mission war es, neben der Beurteilung der unmittelbaren Bedürfnisse von 120.000 Armeniern auf der Flucht, Russlands Grenzen als Verbündeter aufzuzeigen", erklärt die Londoner TIMES.
Nach Ansicht der niederländischen Zeitung DE VOLKSKRANT muss die EU Aserbaidschan ausbremsen. "Die EU will mit diplomatischer Unterstützung der USA zwischen den beiden Ländern vermitteln. Ziel ist es, eine endgültige Friedensregelung zu erreichen, in der alle offenen Fragen geklärt werden. Ironischerweise bezieht die EU seit kurzem einen Teil des Gases, das sie nicht mehr von Moskau kaufen wollte, aus Baku. Ungeachtet dieser Verhandlungen beider Länder mit der EU und teilweise auch mit Russland ist seit mehr als einem Jahr klar, dass Aserbaidschan die Gespräche mit dem Messer in der Hand führt. Seine massiven Menschenrechtsverletzungen könnten ein Vorbote für noch schlimmere Gewalt sein, wenn Aserbaidschans Ambitionen nicht eingedämmt werden. Die EU wird nun beweisen müssen, dass ihre Außenpolitik mehr umfasst als ihre neue Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Baku", fordert DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Hören Sie nun Kommentare zu den Gefechten im Kosovo. Die österreichische Zeitung DER STANDARD ist alarmiert: "Der jüngste Anschlag einer organisierten kriminellen Gruppe auf die kosovarische Polizei im Norden des Kosovo offenbart, dass die Zeichen auf Eskalation stehen. Die serbischen Terroristen, die schwer bewaffnet und wie Soldaten gekleidet einen Polizeibeamten erschossen, wollten ganz offenbar, dass die Lage noch instabiler wird. Die serbische Regierung behauptet, nichts damit zu tun zu haben, und beschuldigt gleichzeitig die kosovarische Regierung, ein Pogrom an Serbinnen und Serben im Kosovo durchzuführen. Diese Lügen und diese Inszenierung kennt man aus den 1990ern. Ganz offensichtlich ist, dass keine Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo erwünscht ist", meint der Wiener STANDARD.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ist der Ansicht: "Die EU hat ein Autoritätsproblem auf dem Balkan. Brüssel und die anderen Hauptstädte müssen Belgrad und Pristina sehr schnell klarmachen, was sie zu tun haben. Brüssel und die EU als Ganzes müssen mit allen diplomatischen und finanziellen Druckmitteln die beiden Seiten zur Umsetzung der gemachten Versprechen bringen. Kosovo steht bereits unter Sanktionen. Wenn Belgrad seine Haltung nicht schnell ändert, sind Strafmaßnahmen auch gegen Serbien angebracht", analysiert die Schweizer NZZ.
"Der Balkan balanciert wieder zwischen Krieg und Frieden", titelt die russische Zeitung KOMMERSANT und schreibt: "Der Westen versucht zu verhindern, dass die Situation eskaliert und bemüht sich, den Verhandlungsprozess zwischen Belgrad und Pristina über die Normalisierung ihrer Beziehungen zu retten. Bereits am Sonntag trafen Abgesandte aus verschiedenen westlichen Ländern des Balkans in der Region ein. Der Vorfall im Kosovo zwingt die Region, sich zwischen Krieg und Frieden zu entscheiden. Die Weltgemeinschaft wünscht sich Stabilität. Dies ist auch ein klares Signal an die serbische Führung: Belgrad muss Teil der Lösung des Problems werden – und nicht Teil des Problems sein", betont der KOMMERSANT aus Moskau.
Zum nächsten Thema: zur Migrationspolitik in der EU. Dazu schreibt die spanische Zeitung EL PAIS aus Madrid: "Das Fehlen einer effektiven gemeinsamen Strategie stellt die EU auf eine harte Probe. Zurzeit liegt die Zahl der Migranten und Asylbewerber so hoch wie seit2015 nicht mehr, als Deutschland mit einer historischen Entscheidung die Tore vor allem für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge öffnete. Es muss aber eine realistische und humane Lösung gefunden werden, damit die radikale Rechte das Phänomen nicht mehr für sich nutzen und gleichzeitig die Realität ausblenden kann: Europa kann sich nicht zum Komplizen eines humanitären Dramas machen und benötigt Zuwanderung", hebt EL PAIS aus Madrid hervor.
Die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN sieht die Migrationspolitik im Nachbarland Schweden als gescheitert an: "Lange war es völlig unmöglich, das Tempo der Einwanderung zu kritisieren, ohne als fremdenfeindlich abgestempelt zu werden. Inzwischen ist die Stimmung in Schweden gekippt. Im letzten Wahlkampf lieferten sich die großen Parteien ein Wettrennen um die drakonischsten Methoden, um die Bandenkriminalität in den Griff zu bekommen. Am schlimmsten ist das für rechtschaffene und hart arbeitende Menschen in Schweden, unabhängig davon wo sie geboren sind. Sie haben nicht um eine segregierte Gesellschaft oder darum gebeten, ohne Anlass durchsucht oder abgehört zu werden. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, einen Gedanken an die Aufnahmefähigkeit des liberalen Sozialstaats zu verschwenden?". fragt AFTENPOSTEN aus Oslo.
Nun in die USA. In Washington findet derzeit das Gipfeltreffen des Pazifischen Inselforums statt. US-Präsident Biden hat den Inselstaaten unter anderem zusätzliche Hilfe im Kampf gegen den Klimawandel zugesichert. Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO ist skeptisch: "Fraglich ist ob diese Charmeoffensive am Ende auch wirklich den Bedürfnissen dieser Länder gerecht wird. In den Zeiten des Kalten Krieges waren Melanesien, Mikronesien und Polynesien für Washington von strategischer Bedeutung gewesen, aber danach hat man diese Inselgruppen eher vernachlässigt. Stattdessen sollten sich Australien und Neuseeland verstärkt um sie kümmern.Nachdem China in den vergangenen Jahren seine Zusammenarbeit mit Papua-Neuguinea intensiviert hat, fürchten die USA nun, dass ihre hegemoniale Stellung im Südpazifik weiter erodieren könnte", schreibt die Zeitung JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
In einem Gast-Kommentar der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN ist zu lesen: "Chinas Offensive im Pazifik ist bemerkenswert. Die Salomonen beispielsweise zeigen nun ihre deutliche China-Neigung: Der kleine Inselstaat lässt sich von China nicht nur beim Hafenbau helfen, sondern auch bei polizeilicher Aufrüstung oder Übungen, oder sogar im Bereich der Meereskunde. Auch andere pazifische Inselnationen bekommen vergleichbare Unterstützungen aus der Volksrepublik. Die USA scheinen angefangen zu haben, sich dagegen zu wehren. Washington müsste sich vieles einfallen lassen und kluge Ideen sammeln, um im Rennen zu bleiben", bilanziert die Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio, mit der die internationale Presseschau endet.