11. Mai 2024
Die internationale Presseschau

Heute steht der Eurovision Song Contest im Mittelpunkt, dessen Finale von Protesten gegen das Teilnehmerland Israel überschattet wird. Außerdem geht es um die US-Waffenlieferungen an Israel und um die Europareise des chinesischen Präsidenten.

Die Fahnen des Eurovision Song Contests wehen vor dem historischen Rathaus.
Das ESC-Finale in Malmö ist heute eines der Themen in der internationalen Presseschau. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
Die französische Zeitung LIBERATION kommentiert, der Eurovision Song Contest falle in diesem Jahr auf einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt. "Die ganze Welt hält den Atem an wegen der Verhandlungen - oder eher Verhandlungsversuche - zwischen Israel und der Hamas über eine Waffenruhe in Gaza, wo die Bomben der israelischen Armee schon mehr als 33.000 Palästinenser getötet haben sollen. Die Israelis sind nach wie vor traumatisiert vom Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem mehr als 1.000 ihrer Landsleute ermordet und zahlreiche weitere als Geiseln genommen wurden. Weder Israels Premier, der in Korruptionsaffären verstrickt ist, noch die militärische Führung der Hamas haben ein Interesse daran, dass der Krieg endet. Und derjenige, der als Friedensrichter fungieren könnte - der US-Präsident - befindet sich in einem schwierigen Wahlkampf", analysiert die LIBERATION aus Paris.
"Israel ist zum Kampf um Europas besten Song angetreten, obwohl seine Regierung seit Monaten die Bevölkerung in Gaza bombardiert", schreibt die schwedische Zeitung DALA-DEMOKRATEN aus Falun. "Zehntausende Zivilisten sind Netanjahus Rache für den Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober zum Opfer gefallen. Jetzt rückt Israel sogar auf Rafah vor, das bislang noch als halbwegs sicherer Ort im Gazastreifen galt. Weltweit nehmen die Proteste zu, auch in Malmö. Es ist heuchlerisch, dass dort heute eine Vertreterin aus Israel auftreten darf."
"Die europäischen Fernsehzuschauer haben für die Teilnahme Israels am Finale gestimmt", hebt VERDENS GANG aus Oslo hervor. "Vielleicht dachten manche wirklich nur an die Musik. Nicht alle finden alles politisch. Aber es sind wohl kaum die künstlerischen Qualitäten allein, die Israel zu einem der Favoriten gemacht haben. Stimmen für die israelische Sängerin Eden Golan sind auch ganz sicher keine Unterstützung für Netanjahu und seinen Krieg. Sie selbst dürfte sich auch kaum über die Vereinnahmung durch ihren Premier freuen, der in Israel so unbeliebt ist wie im Rest der Welt", meint die norwegische Zeitung VERDENS GANG.
"Malmö und Israel: Das ist eine explosive Paarung", schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. "Die drittgrößte Stadt Schwedens gehört zu den Städten mit dem höchsten Anteil an muslimischer Bevölkerung in Europa. Seit dem 7. Oktober sind antiisraelische Kundgebungen dort an der Tagesordnung. Die Lage ist angespannt. Die israelische Sängerin Eden Golan erhielt Todesdrohungen, lange bevor sie nach Schweden reiste. Auf Anraten des israelischen Geheimdienstes verlassen sie und ihre Crew das Hotelzimmer nur für die Auftritte. Begleitet von Personenschützern und einem Helikopter, der über ihnen kreist. Seit Anfang Woche gleicht Malmö einer belagerten Stadt", stellt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG fest und schließt: "Unpolitisch war der Eurovision Song Contest nie. Aber jetzt ist er zur antiisraelischen Kundgebung geworden."
Auch der russische KOMMERSANT befasst sich mit der Lage in Malmö. "Um die Ordnung in der Stadt aufrechtzuerhalten, sind nicht nur schwedische, sondern auch dänische und norwegische Polizisten im Einsatz. Die israelischen Behörden warnten ihre Bürger bereits vor Reisen nach Malmö. Auch für den heutigen Tag des Finales ist ein weiterer Protestmarsch geplant. Generell gilt: Egal wie sehr die Europäische Rundfunkunion darauf beharrt, dass es beim Eurovision Song Contest keinen Platz für Politik gibt – die internationale Situation diktiert ihre eigenen Regeln", heißt es im KOMMERSANT aus Moskau.
Die britische TIMES sieht die Proteste in Malmö besonders kritisch. "Welchen Nutzen könnten die Menschen im Gazastreifen wohl davon haben, dass ein Mob eine junge Frau in ihrem Hotelzimmer belagert und sie von der Straße aus bedroht und rassistisch beschimpft? Ihr Verbrechen? Sie singt ein Lied im Namen der Rundfunkanstalt ihres Landes. Eden Golan ist kein Werkzeug des israelischen Staates. Sie ist eine Künstlerin, die versucht, ihren Job zu machen. Es ist sehr traurig, dass der Eurovisionskarneval derartig überschattet wird", beklagt die TIMES aus London.
US-Präsident Biden droht damit, die Waffenlieferungen an Israel weiter einzuschränken, sollte das israelische Militär die Bodenoffensive in Rafah im Gazastreifen beginnen. Hören Sie die KLEINE ZEITUNG aus Österreich: "Der Waffenstopp, der aus so vielen Gründen richtig erscheint, könnte in vielen Bereichen genau das Gegenteil von dem bewirken, was Biden damit beabsichtigt hat. Denn die Aussetzung der Lieferungen beschert der Hamas nicht nur einen Propagandaerfolg, sondern auch einen taktischen Sieg. In den Verhandlungen über eine Feuerpause wird die Hamas nun noch mehr auf Zeit spielen. So zeigt sich vor allem, wie machtlos der mächtigste Mann der Welt im Nahostkonflikt ist", urteilt die KLEINE ZEITUNG aus Graz.
Auch einer der Kolumnisten des britischen GUARDIAN sieht in dem Thema eine nicht zu unterschätzende Tragweite. "Die USA sind Israels wichtigster Verbündeter. Der frühere israelische Ministerpräsident Rabin pflegte zu sagen, dass der wichtigste strategische Trumpf seines Landes nicht die Waffen seien - auch nicht das unbestätigte, aber nicht geleugnete Atomwaffenarsenal - sondern die Beziehungen zu Washington. Und doch hat Washington jetzt innerhalb weniger Wochen zunächst im UNO-Sicherheitsrat kein Veto gegen eine Resolution eingelegt, die Israel blockieren wollte. Die USA halten nun auch zumindest einen Teil ihres Waffenarsenals zurück. Und all das wurde von einem Mann vorangetrieben, der mit einigem Abstand als einer der engagiertesten Israel-Unterstützer gilt, die je im Oval Office saßen." Das war ein Auszug aus dem britischen GUARDIAN.
Die palästinensische Zeitung AL AYYAM geht ebenfalls auf die Pläne für eine Bodenoffensive in Rafah ein. "Damit will die israelische Regierung zeigen, dass ihr strategisches Interesse an erster Stelle steht und sie sich nicht einmal ihrem wichtigsten Verbündeten - den USA - unterwirft. All das setzt US-Präsident Biden auch innenpolitisch massiv unter Druck. Angesichts der Proteste gegen das israelische Vorgehen an den amerikanischen Universitäten spürt er, dass ihm die Zeit davonläuft. Je länger Israel diesen Krieg führt, desto stärker untergräbt das sein Ansehen - und zudem stehen auch noch die Präsidentschaftswahlen an", betont AL AYYAM aus Ramallah.
Nun zum letzten Thema. Die Zeitung LIANHE BAO aus Taiwan blickt auf die Europareise des chinesischen Präsidenten zurück. "Xi Jinping hat bei keinem der Anliegen der Europäischen Union lockergelassen, seien es die Subventionen für die chinesische E-Autobranche oder die Unterstützung Russlands durch Peking im Ukraine-Krieg. Überdies will der chinesische Präsident Ungarn zu einem wichtigen Standort für E-Mobilität aufbauen. Budapest übernimmt im Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Es dürfte also spannend bleiben, wie es mit der Frage eines einheitlichen Kurses der EU gegenüber China weitergeht", vermutet LIANHE BAO aus Taipeh.
"Xis Route Frankreich-Serbien-Ungarn hatte einen Sinn", unterstreicht YENI SAFAK aus Istanbul. "Grob gesagt, stimmen die drei Länder nicht immer mit den allgemeinen politischen Tendenzen des Westens überein. China betrachtet die drei Länder als eine Art Katalysator in seinen Beziehungen zu Europa. China hat auch die Sichtweise von Frankreichs Präsident Macron gestärkt, der häufig die strategische Autonomie der EU betont. Und Serbien und Ungarn sind wichtige Außenposten des chinesischen Seidenstraßenprojekts. Das zeigt auch der Bau einer mehr als 340 Kilometer langen Eisenbahnlinie zwischen Belgrad und Budapest", bemerkt YENI SAFAK aus der Türkei.