27. August 2024
Die internationale Presseschau

Neben der Lage in Nahost beschäftigen sich die Kommentare mit den sogenannten Sittengesetzen der Taliban in Afghanistan. Auch die Festnahme des Gründers des Messengerdienstes Telegram, Durow, in Frankreich ist ein Thema. Im Mittelpunkt steht jedoch weiterhin der Anschlag in Solingen.

Blumen liegen in Solingen auf dem Boden. Daneben stehen Grablichter. Eine Hand hält eine weiße Kerze und zündet sie an.
Der Messerangriff von Solingen ist weiterhin ein Thema in vielen ausländischen Zeitungen. (Gianni Gattus / dpa / Gianni Gattus)
Mit Blick auf den mutmaßlichen Attentäter beobachtet die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA, es werde darüber "diskutiert, warum der Syrer so lange in Deutschland bleiben konnte, obwohl er schon längst hätte abgeschoben werden sollen. Das erste EU-Land, in dem der Täter von Solingen registriert wurde, war Bulgarien. Und dorthin hatte er zur Asylantragsbearbeitung zurückgeschickt werden sollen. Der Mann ging jedoch den deutschen Beamten aus dem Weg, und als die gesetzliche Frist für seine Abschiebung abgelaufen war, wurde ihm ein subsidiärer internationaler Schutzstatus gewährt – die meisten Flüchtlinge in Deutschland haben diesen Status", notiert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.
Der Solinger Anschlag sei Wasser auf die Mühlen der Opposition, insbesondere der rechtsradikalen AfD, heißt es in der belgischen Zeitung DE TIJD: "Die Migrationskrise 2015 war das Sprungbrett für die Partei, die seitdem immer wieder Unzufriedenheit schürte. Auch diesmal ließ sie sich die Gelegenheit nicht entgehen. Alice Weidel, die Co-Vorsitzende der AfD, rief zu einem Moratorium in der Migrationspolitik auf und forderte einen sofortigen Einwanderungs-, Aufnahme- und Einbürgerungsstopp für fünf Jahre. Die AfD macht lautstark auf sich aufmerksam, denn am Sonntag finden in Sachsen und Thüringen Wahlen statt. Und die rechtsextreme Partei hat gute Chancen, in beiden Bundesländern zu gewinnen", hebt DE TIJD aus Brüssel hervor.
Das LUXEMBURGER WORT hinterfragt die Forderung einiger Politiker nach der Einrichtung weiterer Waffenverbotszonen wie auf der Hamburger Reeperbahn: "Erfüllen sie tatsächlich ihren Zweck? Oder lenken sie nur von den eigentlichen Problemen ab und dienen Hardlinern zur Profilierung? Das Hamburger Beispiel zeigt, dass Waffenverbotszonen ihrer Bestimmung kaum gerecht werden. Ein Bericht des Hamburger Senats aus dem Jahr 2016 stellt fest: 'Analog zu der deliktischen Verteilung ist die Verteilung der Tatmittel im Betrachtungszeitraum relativ konstant.' Im Klartext: Trotz Waffenverbots kommen bei Straftaten nur unwesentlich weniger Waffen zum Einsatz." So weit das LUXEMBURGER WORT und so viel zu diesem Thema.
Die Lage in Nahost ist Thema in der türkischen Zeitung HÜRRIYET. Sie bemerkt zum jüngsten Raketenangriff der Hisbollah auf Israel, dieser sei "zum Teil eine Demonstration, um die eigene Bevölkerung zufrieden zu stellen. Wichtig ist aber, dass der Hisbollah-Führer Israel nicht den Krieg erklärt hat. Das bedeutet, dass die Hisbollah eine kontrollierte Spannung aufrechterhalten wird. Zu dem befürchteten Krieg zwischen der Hisbollah und Israel wird es aber nicht kommen. Die Politik des Iran, keinen Krieg mit Israel zu führen, ist richtig, denn das würde bedeuten, in die Falle Netanjahus zu tappen", betont HÜRRIYET aus Istanbul.
Die panarabische Zeitung AL QUDS wirft ein: "Der Umstand, dass die Hisbollah über 340 Raketen auf israelische Militärstandorte abgefeuert und Israel darauf mit einer ausgesprochen begrenzten, kaum sichtbaren Antwort reagiert hat, zeigt, wie sehr sich das Kräfteverhältnis und die Spielregeln in der Region geändert haben. So reichten im Jahr 2021 wenige aus dem Gazastreifen auf Israel abgeschossene Raketen, um einen mehrtägigen Krieg auszulösen", lesen wir in AL QUDS, die in London erscheint.
Auch die israelische Zeitung THE JERUSALEM POST vermutet: "Der Iran will wahrscheinlich keinen umfassenden Krieg beginnen. Er versucht, einen Angriff auf Israel zu vermeiden. Dies könnte mit den Positionen Russlands und Chinas zusammenhängen. Dagegen würde ein israelischer Präventivschlag den Iran deutlicher in die Lage der legitimen Selbstverteidigung versetzen."
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio kommentiert: "Derzeit ist eine Zurückhaltung aller Beteiligten besonders wichtig, damit die Lage in Nahost nicht in ein weiteres Chaos gerät. Dazu ist es aber notwendig, vor allem den Gaza-Krieg zu beenden. Die internationale Gemeinschaft darf nicht nachlassen. Sie muss von den Beteiligten Zugeständnisse einfordern, damit eine Waffenruhe möglich wird."
Die chinesische Staatszeitung WENHUIBAO stellt fest, die in Kairo begonnenen Gespräche über eine Waffenruhe im Gazastreifen kämen "nicht vom Fleck, da weder Israel noch die Hamas zum Nachgeben bereit sind. Ein Knackpunkt ist nach wie vor die Kontrolle über den schmalen Landstreifen an der Grenze zu Ägypten, den sogenannten 'Philadelphi-Korridor'. Ungeachtet dessen verbreiten Washingtons Unterhändler nach wie vor Zuversicht, dass eine Einigung erzielt werden kann, ohne jedoch konkreter zu werden." Das war WENHUIBAO aus Schanghai.
Die irische Zeitung THE IRISH TIMES aus Dublin gibt zu bedenken: "Die Gefahr bleibt angesichts der weiterhin ergebnislosen Gespräche über einen Waffenstillstand im Gazastreifen real, und sie wird durch die kriegerische Rhetorik auf allen Seiten aufrechterhalten. Die Gefechte vom Wochenende waren insofern bemerkenswert, als sie auf militärische Einrichtungen abzielten und beide Seiten darauf bedacht waren, die Zahl der zivilen Opfer so gering wie möglich zu halten - ein auffälliger Unterschied zum Krieg in Gaza."
Die norwegische Zeitung ADRESSEAVISEN beschäftigt sich mit der Lage von Frauen in Afghanistan unter der Taliban-Herrschaft: "Die neuen Sharia-Gesetze enthalten unmenschliche Verbote, zum Beispiel zu singen, öffentlich laut zu lesen, fremde Männer auch nur anzusehen oder sich ohne vollständige Verhüllung außer Hauses zu zeigen. Die institutionalisierte Unterdrückung von Frauen in Afghanistan und im Iran zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Bezeichnung 'Apartheid‘ zutrifft", analysiert ADRESSEAVISEN aus Trondheim.
Die spanische Zeitung EL PAIS aus Madrid stellt fest, das fundamentalistische Regime ringe um "internationale Anerkennung und verweist dazu auf seine Rolle bei der Bekämpfung von Terrorismus und Drogenhandel. Bislang unterhalten allerdings nur Nicaragua und China diplomatische Beziehungen zu Kabul, während das Land aufgrund seiner Armut eigentlich ganz besonders auf internationale Hilfe angewiesen ist. Richard Bennett, UNO-Sonderberichterstatter zur Situation in Afghanistan, hat recht, wenn er die institutionelle Unterdrückung von Frauen anprangert und an das Gewissen der Menschen appelliert."
Die ebenfalls in Norwegen erscheinende Zeitung AFTENPOSTEN aus Oslo sieht die internationale Gemeinschaft in einem Dilemma: "Es ist ein schwieriger Balanceakt, wenn man Zugang zu den Menschen haben will, ohne sich mit dem Regime anzulegen. Die Bevölkerung braucht Hilfe, aber das Regime braucht Widerstand. Die Weltgemeinschaft muss Druck auf die Taliban ausüben, damit diese tragische Geschlechter-Apartheid aufhört."
Abschließend Stimmen zur Festnahme des Gründers von Telegram, Durow, in Frankreich. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz hebt hervor, der Messengerdienst überschreite "immer wieder die Grenzen des Gesetzes. Und dafür soll Pawel Durow nun belangt werden. Mit dessen Verhaftung handeln die französischen Behörden im Interesse ihrer Staatsbürger. In westlichen Ländern mit einer funktionierenden Demokratie, wo auch Verlautbarungen von Oppositionellen und Verschwörungstheoretikern von der Meinungsfreiheit geschützt werden, schadet Telegram mehr, als es nützt", findet die NZZ.
Die russische Regierungszeitung ROSSIJSKAJA GASETA vertritt diese Ansicht: "Der Messenger ist populär, die Leute reden in Chats über alles Mögliche - die meisten über ihre Angelegenheiten, Fußball und Kätzchen, aber einige über Drogenhandel, Extremismus und ähnliches. Aber weil die französischen Geheimdienste dieser nicht habhaft werden, und Telegram das Umgehen der Verschlüsselung und das Mitlesen nicht erlaubt, wird Durow zum Komplizen und Helfershelfer erklärt", glaubt ROSSIJSKAJA GASETA aus Moskau zum Ende der internationalen Presseschau.