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Die italienische "Operacion Puerto"

35 Radprofis, Trainer und Betreuer stehen im Mittelpunkt der jüngsten Antidoping-Razzia in Italien. Betroffen ist vor allem der Rennstall Lampre um den Weltklassesprinter Alessandro Petacchi. Die Spuren führen auch ins Ausland. Italienische Medien gehen bereits von der Dimension der spanischen "Operacion Puerto" aus.

Von Tom Mustroph | 11.04.2010

    Nur 594 Menschen leben laut der letzten statistischen Erhebung im lombardischen Dorf Mariana Mantovana. 593 von ihnen sind landesweit eher unbekannt. Das gilt nicht für Giudo Nigrelli. Der Besitzer der Apotheke "Maria Assunta" verbindet den kleinen Ort zwischen Brescia, Verona und Parma seit Jahrzehnten mit der großen weiten Welt des Profiradsports. Er betreute unter anderem den Radprofi Giuseppe Saronni, der in den 70er- und 80er-Jahren unter anderem zweimal den Giro d'Italia und einen WM-Titel gewann. Der elegante Saronni war zwischen der Ära Fausto Coppis und der Zeit Marco Pantanis der große Held des italienischen Radsports.

    Jetzt leitet Saronni den Rennstall Lampre. Er ist mit Nigrelli weiter eng befreundet. Ihr gutes Verhältnis nahm auch keinen Schaden daran, dass gegen Nigrelli bereits in den 90er-Jahren wegen Dopings ermittelt wurde. Ihr tat ebenso keinen Abbruch, dass beim diplomierten Apotheker während der Razzia von Sanremo im Jahr 2001 Dopingsubstanzen beschlagnahmt wurden. Der Apotheker Nigrelli ist im Radsportmilieu wie auch in der Welt des Pferdesports als kompetenter Schnellmacher und verlässlicher Schweiger bekannt.

    Die Staatsanwaltschaft Mantua betrachtet ihn als Kopf eines internationalen Dopingnetzwerks. Die Verbindungen reichen möglicherweise sogar bis zur einschlägig bekannten Wiener Blutbank Humanplasma. Das vermutet die "Gazzetta dello Sport". In Wien machte unter anderem Bernhard Kohl sein Blut "Tour de France"-tauglich.

    Gegen insgesamt 35 Personen wird in Mantua ermittelt. Die Hälfte von ihnen gehört zu Lampre. Sieben aktuelle und sechs ehemalige Profis, drei sportliche Leiter, ein Masseur und drei Mediziner des Rennstalls werden verdächtigt. Einer der Ärzte, Andrea Andreazzoli, ist mittlerweile zu Team Astana gewechselt. Bei den Lampre-Profis Alessandro Petacchi und Lorenzo Bernucci wurden bei Hausdurchsuchungen Medikamente beschlagnahmt. Im Falle Bernuccis wurde bekannt, dass sich der Blutverdünner Albumin und der Appetitzügler Sibutramin in seinem Besitz befanden. Bernucci musste bereits im Jahr 2007 eine Dopingsperre wegen Sibutramin absitzen. Er wurde von Lampre vorläufig suspendiert.
    Alle anderen Vorwürfe wehrt der Rennstall ab. Das ist Rufmord, behauptet Teamchef Saronni. Nigrelli sei nicht beim Team angestellt, beteuert er. Saronni gab aber zu, dass seine Profis seit Jahren Leistungstests bei Nigrelli durchführten. Außerdem bestellten die Lampre-Ärzte ihre Medikamente ausgerechnet in dessen Dorfapotheke.

    Lampre tue ihm mit diesen Bestellungen einen großen Gefallen, erklärte Nigrelli gegenüber der "Gazzetta dello Sport". Das Dorf sei klein und der Umsatz mit Lampre ökonomisch relevant. Nigrelli arbeitet zudem mit dem Trainer des Ex-Weltmeisters Alessandro Ballan zusammen. Ballan fuhr bis letzte Saison bei Lampre und ist jetzt beim Rennstall BMC Racing unter Vertrag.

    Staatsanwalt Antonio Condorelli will seine Ermittlungen im Mai abschließen. Dann findet auch der Giro d'Italia statt. Startet Lampre dort mit den verdächtigen Fahrern, hat das Klassement nur vorläufigen Wert. Während BMC Racing die von Lampre kommenden Neuzugänge Ballan und Santambrogio getreu des Ethik-Codes der UCI aus dem laufenden Rennbetrieb genommen hat, unternahm Lampre dies bislang nur im Falle des Wasserträgers Bernucci. Diese Strategie erinnert fatal an Spanien. Obwohl dem Spanier Alejandro Valverde im Rahmen von "Operacion Puerto" die Beteiligung am Dopingring des Eufemiano Fuentes nachgewiesen wurde, stellt ihn sein Team Caisse d'Epargne weiterhin auf. Selbst wenn der Dopingring von Mariana Mantovana nicht ganz die Dimension des Netzwerks von Madrid aufweisen sollte, so gibt es doch vielfältige Parallelen. Das Doping-Phänomen ist nicht an Ländergrenzen gebunden.