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Die Keime, die aus der Kälte kamen

Bakterien sind mehr als hartnäckig. Sie können ohne Sauerstoff überleben, sich von Schwefel ernähren und offenbar sogar Jahrtausende im ewigen Eis überdauern. In der Antarktis haben Wissenschaftler eine Lebensgemeinschaft entdeckt, die ihr Dasein in extrem salzigem Wasser fristet - und das vermutlich schon seit etwa 2800 Jahren.

Von Christine Westerhaus | 27.11.2012
    Temperaturen von minus 13 Grad Celsius, kein Licht, kein Sauerstoff. Wir Menschen würden solche Bedingungen kaum länger als ein paar Minuten überleben. Nicht so die Bakterien, die US-amerikanische Forscher nun entdeckt haben. Sie leben mitten in einem See, von dem die Wissenschaftler ursprünglich angenommen hatten, dass er komplett gefroren ist.

    "Wir haben den See mit einem Radar untersucht und es sah so aus, als wäre in der Mitte des Sees Wasser. Bei Probebohrungen haben wir in etwa 14 Metern Tiefe tatsächlich flüssiges Wasser gefunden. Es ist sehr salzig und gefriert deshalb nicht. Wir gehen davon aus, dass die Lebensgemeinschaft, die wir in dieser Salzlake entdeckt haben, seit etwa 2800 Jahren keinen Kontakt mehr zur Atmosphäre gehabt hat, weil sie von einer etwa 27 Meter dicken Eisschicht bedeckt ist."

    Schon 2002 hatten Peter Doran von der Universität von Illinois in Chicago und seine Kollegen bei Probebohrungen Bakterien entdeckt. Sie befanden sich im Sediment dieses "Lake Vida" genannten Sees. In den Jahren 2005 und 2010 bohrten sich die Forscher dann direkt in die Regionen vor, in denen sie flüssiges Wasser vermuteten. Darin entdeckten sie eine bunte, wenn auch recht unproduktive Bakteriengemeinschaft. Die Salzlake, in der die widerstandsfähigen Mikroben ihr Dasein fristen, enthält neben Kohlenstoff vor allem Wasserstoff, gelöste Metalle und Stickstoffverbindungen. Die Forscher versuchen nun genauer zu verstehen, wie die Bakterien aus dieser ungewöhnlichen Mischung die Energie für ihren Stoffwechsel gewinnen.

    "Die Geochemie in der Salzlake ist sehr interessant. Wir denken, dass die Bakterien Stickstoffverbindungen, aber vor allem auch Wasserstoff als Energiequelle nutzen. Derzeit wissen wir zwar noch sehr wenig darüber, wie diese Art der Energieproduktion in einer solch kalten Umgebung funktioniert, aber es ist auf jeden Fall faszinierend."

    Alison Murray arbeitet als Mikrobiologin am US amerikanischen Desert Research Institute. Sie hat sich die Mitglieder der unterkühlten Lebensgemeinschaft genauer angesehen.

    "Eine sehr interessante Beobachtung war, dass viele extrem kleine Zellen in dieser Gemeinschaft leben. Diese Mikroben sind nur in etwa so groß, wie die kleinst möglichen lebensfähigen Zellen. Sie besitzen zwar DNA, aber wir denken nicht, dass sie aktiv sind. Die größeren Zellen sind es aber und wir konnten bei ihnen sogar eine sehr langsame Eiweißproduktion nachweisen."

    Warum viele der Zellen in diesem Miniformat existieren, ist unklar. Alison Murray vermutet aber, dass die Organismen ihre Größe an die extremen Bedingungen angepasst haben, unter denen sie leben.

    "Wir haben sehr viel Zeit damit verbracht, über dieses Phänomen nachzudenken. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Organismen von diesem Zustand wieder erholen können."

    Alison Murray geht deshalb davon aus, dass die kleinen Zellen eine Art Überdauerungsstadium sind - ähnlich wie die Sporen, die manche Bakterienarten bilden. In diesem Zustand sind die Tiefkühl-Bakterien womöglich in der Lage, Jahrtausende bei Minusgraden zu überdauern. Das bietet natürlich auch Raum für Spekulationen. Alison Murray und ihr Kollege Peter Doran halten es für möglich, dass das Leben in diesem Dämmerzustand auch auf anderen Planeten existiert haben könnte.

    "Unsere Ergebnisse zeigen, dass man ein solches Ökosystem nicht einfach auslöschen kann, in dem man es herunterkühlt. Es kann also sein, dass solche Organismen Eiszeiten in Europa oder Amerika sogar unter den Eismassen überdauern. Und damit haben wir eine gute Verbindung zum Mars und wie das Leben dort ausgesehen haben könnte. Dass es dort Wasser gegeben hat, ist klar. Die Frage ist nur, wie stabil und wie warm es war."