Gerd Breker: Einmal im Jahr erhebt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eine so genannte Haushaltsumfrage. Vereinfacht gesagt wird zusammengefasst, wie es denn den Menschen in diesem Lande wirtschaftlich ergeht. Im Moment wird an einer solchen Veröffentlichung für den Herbst noch gearbeitet, aber einige Fakten sind schon bekannt. Am Telefon begrüße ich nun Gert Wagner, Forschungsdirektor beim DIW und auch mit diesem Zahlenwerk befasst.
Guten Morgen, Herr Wagner!
Gert Wagner: Guten Morgen!
Breker: Ein Ergebnis lautet, die Einkommensunterschiede in Deutschland waren noch nie so hoch wie heute. Der Unterschied zwischen arm und reich noch nie so groß. Woran macht man das fest?
Wagner: An den Einkommen, die den Haushalten zur Verfügung stehen und da ist die Ungleichheit in der Tat so groß wie nie, seitdem wir das messen. Wir messen das seit 1984. Wer nun von diesen Leuten arm ist und reich ist, das ist eine viel, viel schwierigere Frage. Da gibt es auch Zahlen, das ist aber naturgemäß wertbeladen. Denn das sind ja wertbeladene Begriffe Armut und Reichtum. Was man aber auf jeden Fall sagen kann ist, dass die Ungleichheit gestiegen ist.
Breker: Man unterscheidet ja offenbar zwischen hohen Einkommen, mittleren Einkommen und geringem Einkommen. Wie sind denn da die Entwicklungen. Verlaufen die parallel?
Wagner: Die verlaufen im Wesentlichen parallel. Allerdings ist es so, dass die ganz niedrigen Einkommen, die sind in den letzten Jahren stärker angestiegen oder der Anteil ist stärker gewachsen als der Anteil der ganz hohen Einkommen. Der ist auch ein bisschen gewachsen, allerdings nicht so stark wie der der niedrigsten Einkommen.
Breker: Wie definieren wir eigentlich, wie definiert diese Studie Armut?
Wagner: Wir definieren das so, wie das international üblich ist. Haushalte die weniger als 60 Prozent des so genannten bedarfsgewichteten Einkommens haben, die werden als arm bezeichnet. Sie merken schon, dieser Begriff, bedarfsgewichtetes Einkommen, das ist ein statistischer Begriff, der nicht unbedingt mit dem, was wir im Portemonnaie haben, vergleichbar ist.
Breker: Wie viele Menschen sind in diesem Sinne dann arm in unserem Land?
Wagner: Wenn man West- und Ostdeutschland zusammen nimmt, sind das 17 Prozent. Das ist allerdings, wie gesagt, ein statistischer Begriff, der für internationale Vergleiche gemacht wurde. Wenn man das vergleicht mit denen, die Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II beziehen, das sind viel, viel weniger. Das ist die Größenordnung von etwa fünf Prozent. Und das zeigt Ihnen diese Spanne, wie schwer es ist, das was wir lebensweltlich als Armut bezeichnen, tatsächlich in statistische Begriffe zu fassen. Deswegen sprechen wir bei den 17 Prozent von einer Armutsrisikoquote, um zu vermeiden, dass gesagt wird, das ist unmittelbar Armut. Das ist letztendlich ein Indikator für niedrige Einkommen, für Einkommensungleichheit, aber nicht unbedingt für das, was wir im Alltag als Armut bezeichnen würden.
Breker: Herr Wagner, Sie haben gerade gesagt, wenn wir Ost und West zusammen nehmen. Sind die Entwicklungen in Ostdeutschland und in Westdeutschland unterschiedlich?
Wagner: Die Entwicklungen sind in den letzten Jahren gleich, aber die Niveaus sind unterschiedlich. Diese Armutsrisikoquote liegt in Westdeutschland bei etwa 16 Prozent und in Ostdeutschland bei über 20 Prozent. Also in Ostdeutschland ist mehr als jeder Fünfte von Armut gefährdet.
Breker: Wenn wir diesen Anteil unserer Bevölkerung nehmen, knapp ein Fünftel der Menschen, die nicht angemessen am gesellschaftlichen Leben Teil haben können. Was bedeutet das konkret? Können die nicht ins Internet, können die sich kein Theater leisten, können die nicht ins Kino? Was ist das?
Wagner: Nein, das bedeutet das eben genau nicht. Der Anteil ist in den letzten Jahren gewachsen, weil einfach die Ungleichheit der Einkommen zugenommen hat. Zum Teil auch deswegen, weil die oberen Einkommen eben angestiegen sind. Aber ein nennenswerter Teil der Leute mit niedrigem Einkommen, der kann ins Internet, der kann auch ins Kino gehen. Ob man das macht oder nicht, hängt auch von der Bildung ab, ja nicht nur von dem, was man finanziell in der Tasche hat. Und die Gruppe von 17 Prozent oder eben fast 20 Prozent ist ja offensichtlich so groß, dass sich dahinter ganz, ganz unterschiedliche Lebenssituationen verbergen. Der Anteil der 17 Prozent, der wird auch sehr schnell wieder zurückgehen, wenn die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung besser wird. Das ganze ist ein Ergebnis der lang anhaltenden Arbeitslosigkeit, insbesondere in Ostdeutschland. Wir werden in dem Moment, wenn jüngere Leute wieder Erwerbsarbeit finden, sofort wieder einen Rückgang der so genannten Armutsrisikoquote messen. Das war in den 1990er Jahren bis zum Jahr 2000 auch der Fall. Da hatten wir eine günstige wirtschaftliche Entwicklung und damals ging die Armutsrisikoquote zurück und es spricht überhaupt nichts dafür, dass dieser Mechanismus jetzt plötzlich nicht mehr gilt, dass wir jetzt im 21. Jahrhundert in einer Welt leben, wo eine gute, wirtschaftliche Entwicklung nicht auch dieses Armutsrisiko zurückführen wird. Das wird passieren und dann werden etliche Leute ein höheres Einkommen haben und sie werden eben nicht mehr so gefährdet sein wie jetzt.
Breker: Sie haben die hohe Arbeitslosigkeit angesprochen Herr Wagner. Gibt es andere, Menschen gemachte Faktoren für diese Entwicklung?
Wagner: Ja, Alleinerziehung. Wenn Alleinerziehende nicht erwerbstätig sein können, weil es an Kinderbetreuung fehlt, dann führt das zu etwa 50 Prozent Wahrscheinlichkeit zu Einkommensarmut und das ist eine ganz wesentliche Gruppe Alleinerziehende, die ein sehr, sehr hohes Armutsrisiko hat. Das ist nun eindeutig eine Menschen gemachte Sache. Scheidungen im Übrigen auch. Auch Scheidungen sind mit einem Armutsrisiko verbunden, das oft sehr schnell dann wieder verschwindet und wenn nämlich dann die beiden getrennten Partner beide erwerbstätig sind, beide ein eigenes Einkommen nach der Scheidung haben, dann ist in der Regel die Armut überwunden.
Breker: Im Deutschlandfunk war das Gert Wagner. Er ist Forschungsdirektor beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Herr Wagner vielen Dank für diese Gespräch!
Guten Morgen, Herr Wagner!
Gert Wagner: Guten Morgen!
Breker: Ein Ergebnis lautet, die Einkommensunterschiede in Deutschland waren noch nie so hoch wie heute. Der Unterschied zwischen arm und reich noch nie so groß. Woran macht man das fest?
Wagner: An den Einkommen, die den Haushalten zur Verfügung stehen und da ist die Ungleichheit in der Tat so groß wie nie, seitdem wir das messen. Wir messen das seit 1984. Wer nun von diesen Leuten arm ist und reich ist, das ist eine viel, viel schwierigere Frage. Da gibt es auch Zahlen, das ist aber naturgemäß wertbeladen. Denn das sind ja wertbeladene Begriffe Armut und Reichtum. Was man aber auf jeden Fall sagen kann ist, dass die Ungleichheit gestiegen ist.
Breker: Man unterscheidet ja offenbar zwischen hohen Einkommen, mittleren Einkommen und geringem Einkommen. Wie sind denn da die Entwicklungen. Verlaufen die parallel?
Wagner: Die verlaufen im Wesentlichen parallel. Allerdings ist es so, dass die ganz niedrigen Einkommen, die sind in den letzten Jahren stärker angestiegen oder der Anteil ist stärker gewachsen als der Anteil der ganz hohen Einkommen. Der ist auch ein bisschen gewachsen, allerdings nicht so stark wie der der niedrigsten Einkommen.
Breker: Wie definieren wir eigentlich, wie definiert diese Studie Armut?
Wagner: Wir definieren das so, wie das international üblich ist. Haushalte die weniger als 60 Prozent des so genannten bedarfsgewichteten Einkommens haben, die werden als arm bezeichnet. Sie merken schon, dieser Begriff, bedarfsgewichtetes Einkommen, das ist ein statistischer Begriff, der nicht unbedingt mit dem, was wir im Portemonnaie haben, vergleichbar ist.
Breker: Wie viele Menschen sind in diesem Sinne dann arm in unserem Land?
Wagner: Wenn man West- und Ostdeutschland zusammen nimmt, sind das 17 Prozent. Das ist allerdings, wie gesagt, ein statistischer Begriff, der für internationale Vergleiche gemacht wurde. Wenn man das vergleicht mit denen, die Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II beziehen, das sind viel, viel weniger. Das ist die Größenordnung von etwa fünf Prozent. Und das zeigt Ihnen diese Spanne, wie schwer es ist, das was wir lebensweltlich als Armut bezeichnen, tatsächlich in statistische Begriffe zu fassen. Deswegen sprechen wir bei den 17 Prozent von einer Armutsrisikoquote, um zu vermeiden, dass gesagt wird, das ist unmittelbar Armut. Das ist letztendlich ein Indikator für niedrige Einkommen, für Einkommensungleichheit, aber nicht unbedingt für das, was wir im Alltag als Armut bezeichnen würden.
Breker: Herr Wagner, Sie haben gerade gesagt, wenn wir Ost und West zusammen nehmen. Sind die Entwicklungen in Ostdeutschland und in Westdeutschland unterschiedlich?
Wagner: Die Entwicklungen sind in den letzten Jahren gleich, aber die Niveaus sind unterschiedlich. Diese Armutsrisikoquote liegt in Westdeutschland bei etwa 16 Prozent und in Ostdeutschland bei über 20 Prozent. Also in Ostdeutschland ist mehr als jeder Fünfte von Armut gefährdet.
Breker: Wenn wir diesen Anteil unserer Bevölkerung nehmen, knapp ein Fünftel der Menschen, die nicht angemessen am gesellschaftlichen Leben Teil haben können. Was bedeutet das konkret? Können die nicht ins Internet, können die sich kein Theater leisten, können die nicht ins Kino? Was ist das?
Wagner: Nein, das bedeutet das eben genau nicht. Der Anteil ist in den letzten Jahren gewachsen, weil einfach die Ungleichheit der Einkommen zugenommen hat. Zum Teil auch deswegen, weil die oberen Einkommen eben angestiegen sind. Aber ein nennenswerter Teil der Leute mit niedrigem Einkommen, der kann ins Internet, der kann auch ins Kino gehen. Ob man das macht oder nicht, hängt auch von der Bildung ab, ja nicht nur von dem, was man finanziell in der Tasche hat. Und die Gruppe von 17 Prozent oder eben fast 20 Prozent ist ja offensichtlich so groß, dass sich dahinter ganz, ganz unterschiedliche Lebenssituationen verbergen. Der Anteil der 17 Prozent, der wird auch sehr schnell wieder zurückgehen, wenn die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung besser wird. Das ganze ist ein Ergebnis der lang anhaltenden Arbeitslosigkeit, insbesondere in Ostdeutschland. Wir werden in dem Moment, wenn jüngere Leute wieder Erwerbsarbeit finden, sofort wieder einen Rückgang der so genannten Armutsrisikoquote messen. Das war in den 1990er Jahren bis zum Jahr 2000 auch der Fall. Da hatten wir eine günstige wirtschaftliche Entwicklung und damals ging die Armutsrisikoquote zurück und es spricht überhaupt nichts dafür, dass dieser Mechanismus jetzt plötzlich nicht mehr gilt, dass wir jetzt im 21. Jahrhundert in einer Welt leben, wo eine gute, wirtschaftliche Entwicklung nicht auch dieses Armutsrisiko zurückführen wird. Das wird passieren und dann werden etliche Leute ein höheres Einkommen haben und sie werden eben nicht mehr so gefährdet sein wie jetzt.
Breker: Sie haben die hohe Arbeitslosigkeit angesprochen Herr Wagner. Gibt es andere, Menschen gemachte Faktoren für diese Entwicklung?
Wagner: Ja, Alleinerziehung. Wenn Alleinerziehende nicht erwerbstätig sein können, weil es an Kinderbetreuung fehlt, dann führt das zu etwa 50 Prozent Wahrscheinlichkeit zu Einkommensarmut und das ist eine ganz wesentliche Gruppe Alleinerziehende, die ein sehr, sehr hohes Armutsrisiko hat. Das ist nun eindeutig eine Menschen gemachte Sache. Scheidungen im Übrigen auch. Auch Scheidungen sind mit einem Armutsrisiko verbunden, das oft sehr schnell dann wieder verschwindet und wenn nämlich dann die beiden getrennten Partner beide erwerbstätig sind, beide ein eigenes Einkommen nach der Scheidung haben, dann ist in der Regel die Armut überwunden.
Breker: Im Deutschlandfunk war das Gert Wagner. Er ist Forschungsdirektor beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Herr Wagner vielen Dank für diese Gespräch!