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Die Krimikolumne

Es ist der Mann, der den Flug der Wörter kreuzte und dabei selbst ein bisschen fliegen lernte, und er heißt Heinrich Steinfest. Steinfest ist ein in Australien geborener Österreicher, der mittlerweile in Stuttgart lebt und bei Piper alljährlich einen seiner immer aberwitziger werdenden Krimis veröffentlicht. Dieses Jahr: "Mariaschwarz", Steinfests zwölfter, aber vor allem grandioser Kriminalroman.

Von Andreas Ammer |
    Die Welt ist aus den Fugen!

    Denn so wie Banken zusammenbrechen und Parteien sich in den Ruin stürzen ...

    ... so verschwinden auch Menschen in schwarzen Gewässern, die vor Ungeheuern wimmeln ...

    ... oder ein Mann stößt seine Frau von der Klippe, aber als er von der mörderischen Tat heimkehrt, rekelt sie sich lüstern vor dem Kamin

    ... ein noch besseres Comeback hat nur Richard Stark

    Wer verdammt ist Richard Stark?

    Das verrät gleich: die herbstliche Krimi-Kolumne.

    Wurde auch langsam wieder Zeit.

    ... flucht gleich zu Beginn

    ... unser Rezensent.

    Da Wort hat der Rezensent und er behauptet als einziger Mensch auf der Welt:

    Es ist ein gutes Jahr.

    Denn es gibt wahnsinnig viele, wahnsinnig gute Krimis in diesem wahnsinnig interessanten Herbst.

    Zwei aber ragen heraus.

    Einer noch mehr als der andere, denn er ist noch wahnsinniger und noch besser als alles, was sonst in diesem Jahr geschrieben wurde.

    Es ist der Mann, der den Flug der Wörter kreuzte und dabei selbst ein bisschen fliegen lernte, und er heißt Steinfest, Heinrich Steinfest.

    Steinfest ist ein in Australien geborener Österreicher, der mittlerweile in Stuttgart lebt und bei Piper alljährlich einen seiner immer aberwitziger werdenden Krimis veröffentlicht,

    Dieses Jahr: "Mariaschwarz", Steinfests zwölfter, aber vor allem grandioser Kriminalroman.

    Aber was heißt hier Kriminalroman! "Mariaschwarz" ist ein spannender Krimi, ein überbordend barockes Erzählwerk, ein hochphilosophisches Traktat, eine grandiose Stilübung voller origineller Einfälle und Wendungen

    Ich finde, jetzt übertreibt er, unser Rezensent.

    Es ist mein Buch des Jahres!

    ... jubelt unser Rezensent hingegen jetzt schon über "Mariaschwarz" von Heinrich Steinfest, erschienen als Hardcover bei Piper.

    Welterklärungsformel sollte eigentlich auf dem Buch stehen.

    Jetzt mal mit der Ruhe: Worum geht es eigentlich?

    "Mariaschwarz" ist ein dunkles Gewässer in einem dunklen Teil von Österreich. Darin spiegelt sich - so glauben die Anwohner - das ganze Weltall, darin könnte - glaubt Vinzent Olander - seine Ziehtochter verschwunden sein, darin könnte - glauben die Wissenschaftler - ein Ungeheuer leben, darin wird - als die Wissenschaftler anfangen zu forschen - ein Skelett gefunden ...

    ... daraufhin tritt Inspektor Lukastik auf den Plan, den wir schon aus anderen Steinfest-Krimis kennen.

    Lukastik hat eigene Ermittlungsmethoden. Er kümmert sich mehr um Löcher in Wänden und Spielzeugfiguren auf Regalen als um richtige Spuren, hat aber dadurch einerseits ungeahnten Erfolg, andererseits findet er so die Liebe seines Lebens, die ausgerechnet in seiner Schwester besteht.

    Womit wir bei dem wären, was man früher "postmodern" genannt hätte, heutzutage aber einfach "höchst intelligent" bezeichnet werden kann.

    Denn - ohne dass dadurch die Lesbarkeit betroffen wäre - wird aus dem famosen Krimi "Mariaschwarz" gleichzeitig ein literaturhistorisches Vexierspiel. Kulminiert doch auch der österreichische, aber unvollendete Epochenroman "Der Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil in einer Schwesternleibe, die dort als Ideal und Erlösung beschrieben wird.

    Derart schreibt Steinfest nicht nur Weltliteratur zu Ende, sondern rettet nebenbei die Welt, wie sein Kommissar Lukastik das am Ende natürlich auch tut.

    Wahnsinn!

    Und um dem geneigten Hörer eine kleine Ahnung vom Sprach- und Gedankenwitz des Heinrich Steinfest zu geben, brechen wir hier ein Gesetz der Krimikolumne und zitieren eine Passage aus dem Werk.
    Um einen Informanten zu treffen muss sich der Kommissar das Buch "Alte Meister" von Thomas Bernhard kaufen. Heutzutage kein einfaches Unterfangen: Zitat Seite 240:

    "Einen Thomas Bernhard zu kaufen, fiel zwischenzeitlich in die Kategorie des Exzentrischen und des Gestrigen. Man wurde dann behandelt wie jemand, der am Mond lebte. Beziehungsweise wie jemand, der noch immer glaubte, dass einst Leute aus Amerika auf diesem Mond gelandet waren. Ja, Thomas Bernhard kaufen, das war wie Äpfel essen, ohne sie vorher zu waschen, oder Schuhe zum Schuster bringen, anstatt sie wegzuschmeißen, oder ein gebrauchtes Fernsehgerät erstehen oder für gutmütige Frauen schwärmen. So war das."

    Und unser Rezensent weiß, was Sie, liebe Hörer, jetzt tun müssen!

    Einen Steinfest kaufen!

    Denn "Mariaschwarz" von Heinrich Steinfest, erschienen als Hardcover im Piper-Verlag ist laut unserem Rezensenten:

    ... mit einiger Sicherheit nicht nur der beste Krimi, sondern das beste Buch des Jahres. Große Literatur!

    Eines haben wir bei all der Lobhudelei fast schon vergessen:

    Das andere Buch, das fast so gut ist wie der Steinfest.

    Es ist das Buch eines Wiedergängers. Eines Super-Klassikers, eines Vergessenen, eines Krimi-Virtuosen. Und der Name ist:

    Stark, Richard Stark, ein Pseudonym,

    ... zusammengesetzt aus Richard wie Widmark und Stark so wie er schreiben will.

    Eigentlich heißt Richard Stark Donald E. Westlake. Westlake ist ein zu allem entschlossener Unerhaltungsschriftsteller. Er ist heute 75 Jahre alt und begann Ende der fünfziger Jahren damit, unter dem Namen Edwin West Softpornos zu schreiben. Angeblich gab es Jahre in denen er 46 Geschichten schrieb. Immer mit anderen Ermittlern, immer knapp und hart, immer leidlich erfolgreich. Über ein Halbdutzend Pseudonyme benutzt Westlake. Niemand weiß genau wie viele Bücher er geschrieben hat, aber es sind weit über hundert.

    1962 schreibt Westlake zum ersten Mal eine Geschichte um den Berufsverbrecher Parker. Parker ist schnörkellos, intrigant, stets gewaltbereit und stets bemüht aus einer Situation das größtmögliche Kapital zu schlagen

    Darin ähnelt Parker seinem Autor: Wenn der Zeitgeschmack sich änderte, erfand Westlake unter anderem Namen andere Helden.

    Aber keiner war so knallhart wie Parker: Nachdem Westlake 23 keine Parker-Geschichte geschrieben hatte und noch länger auch in Deutschland keinen Verlag für seine Stories gefunden hatte, kehrte er 1998 zu seinem fiesesten Charakter zurück.

    Und jetzt hat der ehrwürdige Zsolnay-Verlag mit "Fragen Sie den Papagei" den Altmeister wieder ausgegraben und siehe da:

    Er ist grandios!

    Auf der ersten Seite ist Parker ist auf der Flucht. Ein Überfall, der nicht gut endete. Ein ganzer Ort sucht ihn. Parker wählt die beste Tarnung: Er mischt sich als Freiwilliger unter die Suchkommandos. Währenddessen plant er mit dem einen, der ihn erkannte, den nächsten Coup. Zusammen werden sie die Kasse einer Rennbahn rauben. Parker aus Gier, sein neuer, braver Partner einfach aus Rache an seinem früheren Arbeitgeber.

    Schnörkellos, skupellos, direkt hin und wieder auch brutal sind die Krimis von Richard Stark. Sozusagen das Gegenteil von Steinfest, aber fast genauso gut.

    Am Ende ist nicht nur der Titel gebende Papagei von "Fragen Sie den Papagei", von Richard Stark, erschienen bei Zsolnay tot, aber der Leser ist um eine atemlose Erfahrung reicher. Herr Rezensent, bitte schreiten Sie zur Tat:

    Wenn Literatur knallen könnte, dann wäre dieses Buch ein "Big Bang".

    Wer sich danach für den anderen, den "klassischen" Donald E Westlake interessiert, für den ist in der Reihe "Hard Case Crime" bei Rotbuch der Band "Mafiatod" von 1962 neu erschienen.

    Was kann da noch kommen?

    Steinfests Bücher sind deshalb so gut, weil sie einen Grundzug des Krimis auf die Spitze treiben: die Übertreibung. Selbst so freundliche, scheinbar realitätsbesessene Autoren wie Simenon ...

    ... auf dessen bei Diogenes erscheinende Gesamtausgabe aller Maigret-Krimis unser Rezensent nicht müde wird hinzuweisen: Gerade ist der 29. Band erschienen: "Maigret in New York", ein Krimi aus dem Jahr 46, in dem Simenon - nachdem er selbst New York besucht hatte - seinen pensionierten Helden ebenfalls in die Südbronx schickt. Nicht unbedingt Simenons bester Maigret, denn mit Bandenkriminalität tut sich der feine Psychologe Maigret etwas schwer, aber selbst ein mittelmäßiger Maigret ist noch besser als ein herausragender Eifel- oder Allgäu-Krimi.

    Ende des Exkurses, weiter im Text. Wir waren beim Stilmittel der "Übertreibung.

    Ich wiederhole: Selbst so freundliche, scheinbar realitätsbesessene Autoren wie Simenon übertreiben ja die Wirklichkeit durch ihre dauernden Morde und deren andauerne Aufklärbarkeit.

    Ein großer Übertreiber, fast schon ein Aufschneider ist der deutsche Autor Thor Kunkel, der vor gut 4 Jahren die Feuilletons aufmischte als er - Jahre vor Jonathan Litell - in dem Roman "Endstufe" SS-Offiziere und Pornoindustrie kurz schloss, weshalb sein Roman erst vom Verlag zurückgewiesen und dann - nach Erscheinen bei einem anderen - von der Literaturkritik zerrissen wurde.

    Thor Kunkel schien sich von diesem Skandal nicht zu erholen. 4 Jahre gab es kein Buch von ihm, jetzt erschien eines, das sich liest, als ob es in 4 Wochen geschrieben worden sei.

    Thor Kunkel "Kuhls Kosmos", stilecht erschienen im Berliner "pulp masters" Verlag, der unbestritten die scheußlichsten Cover der ganzen Buchbranche macht.

    Kunkel hat für seinen Krimi zumindest halb das Sujet gewechselt. Es geht am Rande immer noch um die Pornoindustrie, aber eben nicht mehr unterm Hakenkreuz, sondern etwas passender um die in Nassau/Bahamas. Dorthin ist Kuhl aus seinem Kamerun genannten Frankfurter Kiez geflüchtet. Mit einigem Geld, aber auch einigem Blut am Stecken.

    Ein gutes Buch, ein freches Buch, ein dreckiges Buch.

    ... meint unser Rezensent zu Kunkels "Kuhls Kosmos", erschienen im "pulp master-Verlag. Denn egal ob es gewollt ist oder nicht,

    - unser Rezensent ist sich da nicht ganz sicher -

    Kunkel schafft es bravourös, auf der Schmutz-Kante zwischen Schmuddelliteratur und größenwahnsinniger Übertreibung zu balancieren. Da hat jemand, der an einem obszönen NS-Roman grandios scheiterte, sein Genre gefunden.

    Und obendrein ist Kunkels "Kuhls Kosmos" - wie jeder gute Krimi - voll von schönsten Wahrheiten, die dann klingen wie, Zitat:

    "Öl, Scheiße und Lügen schwimmen nur deshalb immer oben, weil sie coole Schwimmwesten haben: Angst, Neid und Gier."

    So ein Satz - und darin spiegelt sich die Gefahr von Kunkels Roman - klingt klasse, ist aber natürlich ein völliger Schmarren.

    Andererseits wagt Kunkel aber auch wilde Stilexperimente. So etwa wenn der Roman mit der - vom ermittelnden Kommissar philosophisch kommentierten - Disco-Plattensammlung des Tatopfers aufhört, mit Hilfe derer die Psychologie der Figuren erschlossen wird. Das hat was!

    Das hat was, wenn ich mir auch nicht sicher bin, was!

    ... urteilt unser Rezensent über "Kuhls Kosmos" von Thor Kunkel, erschienen im pulp masters Verlag.

    Zum Ende noch ein theoretischer Beweis, dass die schönsten Stil- und Gedankenexperimente im Krimigenre passieren: Pierre Bayard veröffentlichte im letzten Jahr im Verlag Kunstmann die Rezensentenbibel "Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat". Jetzt wagt sich der französische Literaturprofessor Pierre Bayard an einen Klassiker des Genres: Conan Doyles "Der Hund der Baskervilles", mithin - laut Wikipedia - der meistgelesene Roman aller Zeiten.

    Pierre Bayards neues Buch heißt: "Freispruch für den Hund der Baskervilles. Hier irrte Sherlock Holmes" und Bayard führt darin den äußerst vergnüglichen Nachweis, dass die Literaturszene seit dem Erscheinen von Doyles Meisterwerk Zeuge eines Justizirrtums geworden sei. Nicht der Hund, sondern ganz jemand anderes sei der wahre Mörder gewesen. Sherlock Holmes habe sich geirrt, seine Methode sei äußerst zweifelhaft.

    Gegen solche literarischen Justizirrtümer helfe die neue Disziplin der "Kriminalkritik". Was aber ist "Kriminalkritik"? - Wir zitieren Seite 69:

    "Zahlreiche in der Literatur erzählte Morde sind gar nicht von denjenigen begangen worden, denen sie zur Laast gelegt werden. In der Literatur wie im richtigen Leben entkommen die wirklichen Verbrecher nicht selten den Ermittlern (...). Die Kriminalkritik, eine Verfechterin der Gerechtigkeit, will der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen."

    Die von Bayard enthüllte Wahrheit im Falle der Baskervilles ist beeindruckend. Die Krimigeschichte muss neu geschrieben werden. Es gibt einen neuen Mörder und Sherlock Holmes ist vielleicht gar selbst einer. Bayard kann es beweisen.

    Manchmal spürt man Bayards Buch an, dass es von einem theoriefesten Literaturprofessor geschrieben wurde, der gerne etwas abseitige Gedanken entwickelt. Über weite Strecken ist es aber ein wunderbares Spiel um Realität und Fiktion, um wahres Fan-tum und alternative Welten. Schreiten Sie zum Lobe, Herr Rezensent:

    Man bekommt Lust, in jedem Krimi die wahren Mörder zu finden.

    Und das - lernen wir von Pierre Bayards Buch "Freispruch für den Hund der Baskervilles", erschienen bei Kunstmann - muss nicht immer der Mörder sein, der uns vom Autor präsentiert wird.

    Halt, das kann noch nicht alles gewesen sein!

    Denn der Herbst hat so gute Bücher hervorgebracht, dass es schade ist auf all das zu verzichten.

    Und deshalb noch 3 Kurzempfehlungen in der letzten Minute:

    Nummer 1 Tom Binding, Cliffhanger, marebuchverlag.

    Ein Mann stößt seine Frau in einer windigen Nacht von der Klippe, kommt nach Hause und findet eben diese Frau liebestoll auf dem heimischen Teppich vor.

    Aber wen hat er von der Klippe gestoßen?

    Ein wahrhaft britischer Roman, bitterböse und höchst unterhaltsam. Schneller, weiter!

    ColinCollerill, Dr. Siri und seine Toten, Manhattan

    Mit Sicherheit der exotischste Ermittler des Jahres: Dr. Siri ist eigentlich Arzt im Ruhestand in der Demokratischen Volksrepublik Laos. 1975, nach der Machtübernahme der Kommunisten wird er zum einzigen Leichenbeschauer des jungen Staates ernannt.

    Ganz großer britischer Spleen. Weiter, eines noch!

    Wir hören auf mit einem Klassiker, dem größten aller Klassiker, zumindest einer neuen Biographie über ihn: Edgar Allan Poe.

    Poe, Am Rande des Malstromes, heißt eine neue Biographie, von Hans-Dieter Gellert, die bei C.H.Beck erschienen ist. Keine neuen Quellen, aber ein origineller Essay über ein rätselhaftes Leben. Ein Buch mit dem man sich rechtzeitig auf das Poe Jahr 2009 mit dem 200. Geburtstag des Krimi-Erfinders vorbereiten kann.

    ... und für all diejenigen, die unserem Rezensenten nicht glauben, dass Heinrich Steinfest der größte Schriftsteller deutscher Zunge ist und nicht finden, dass Richard Stark derzeit der beste Schundschriftsteller von jenseits des Atlantiks ist, dem empfehlen wir auch dieses Mal wie schon seit 18 Jahren:

    Besprochene Bücher:

    Pierre Bayard, Freispruch für den Hund der Baskervilles, Kunstmann
    Tim Binding, Cliffhanger, marebuch
    Hans-Dieter Gelfert, Edgar Allan Poe, C.H.Beck
    Thor Kunkel, Kuhls Kosmos, pulp master 27
    Georges Simenon, Maigret in New York, diogenes 23827
    Richard Stark, Fragen Sie den Papagei, Zsolnay
    Heinrich Steinfest, Mariaschwarz, Piper
    Danald E. Westlake, Mafiatod, Rotbuch Krimi Hard Case Crime