Die kleine Lucy ist 10 Monate alt. Sie hat keine Angst vor Wölfen. Ist quasi mit ihnen aufgewachsen: Ihre Mutter nimmt sie mit in die Gehege, seit sie 2 Monate alt ist. Im Tragetuch auf dem Rücken.
"Solange sie an mir festkleben kann, ist alles in Ordnung. Und ich brauche mir während der Arbeit keine Sorgen zu machen, wenn sie bei mir ist. Mit einem Kind, das schon laufen kann, würde ich nicht zu den Wölfen hineingehen auch wenn wahrscheinlich nichts passieren würde. Aber Lucy läuft noch nicht, sie sitzt auf meinem Rücken wie auf einem Pferd."
Genevieve Carbone ist gewissermaßen die Chefin des Tierparks. Anfang dreißig, Pagenschnitt, schwarze Haare, dicke Intellektuellenbrille, die sie sich immer wieder mit dem Handrücken die Nase hochschiebt. Mit dem rechten. Denn im linken Arm hält sie, natürlich: Lucy. Zwei Monate nach der Geburt hat die temperamentvolle junge Frau die Stelle im Wolfspark angetreten. Für die Verhaltensforscherin und Wolfsexpertin war es die Traumstelle. Und das ist es bis heute.
"Meine Aufgabe ist es, die Wölfe zu beobachten. Das ist doch schonmal ziemlich gut als Arbeit.
Ich muss sehen, ob es ihnen gut geht, und versuchen, eine Lösung zu finden, wenn etwas offensichtlich nicht so gut läuft. Der Wolf ist ein sehr sensibles Tier, das leicht in Streß gerät – überhaupt eingesperrt zu sein ist für die Tiere schon ein Streßfaktor. Das kann ich nicht ändern – aber ich versuche, daß es ihnen in den Gehegen so gut geht wie möglich. Und daß sie sich möglichst so verhalten können, wie es ihre Natur ist."
20 Wölfe sind im Park, aus drei europäischen Zoos: Prag, Riga und Kopenhagen. Genevieve Carbone war bei der Ankunft jedes einzelnen Tiers dabei. Hat beobachtet, ob die Tiere zueinander passen, ob sie in der Lage sind, Rangfolgen zu bilden innerhalb der Meute.
"Wenn man täglich mit den Tieren zu tun hat, lernt man sie verstehen, zumindest ein bißchen. Der Wolf ist ein soziales Tier,die Kommunikation funktioniert über Mimik und Gestik. Untereinander, aber auch mit uns: wenn man sich länger mit ihnen beschäftigt, merkt man tatsächlich, daß sie den Ausdruck auf deinem Gesicht lesen können. Und ich habe manchmal wirklich den Eindruck, daß sie mich verstehen: sie kneifen die Augen zusammen, oder sie öffnen sie, sie runzeln die Stirn – alles, was wir Menschen auch machen."
Nach jedem Besuch im Gehege schreibt sie einen Bericht. Dokumentation ist alles, sagt Genevieve Carbone. Sie schiebt sich die Brille zurecht, entschuldigt sich und greift zum Walkie Talkie: Morgane, Tierpflegerin und Teampartnerin, will wissen, ob sie mit der Kindergruppe zur Aussichtsplattform gehen darf.
Sie sind zu dritt im Team – und wechseln sich ab mit den täglichen Rundgängen durch die Gehege. Immer zurselben Uhrzeit und immer in derselben Richtung, damit die Tiere nicht überrascht werden. Heute ist Genevieve an der Reihe, sie schlingt das Tuch um den Rücken, bindet Lucy fest und hängt sich das Fernrohr um den Hals.
"Das sind die allerschönsten Momente, bei diesen ruhigen Spaziergängen fühle ich mich sehr privilegiert. Die Vögel singen, und ich bin den Wölfen ganz nah. Ich halte immer an derselben Stelle an – auch das, um die Tiere nicht unnötig zu beruhigen. Wir haben sie nämlich gestern schon sehr stören müssen: die Welpen, die vor ein paar Wochen geboren sind, mußten geimpft und untersucht werden. Zu viert sind wir den ganzen Tag durchs das Gehege gelaufen, um sie einzufangen – es hat Stunden gedauert, bis wir das geschafft haben. Aber da kommen sie: sie sind alle da, guten Morgen Wölfe! Marquise, Chaussette, Shadow, Discrete. Na komm her, Chaussette, ruhig. Na komm. Ah und da sind die kleinen, darum sind die Tiere so unruhig: die Wölfchen sind draußen, eins, zwei, das kleine Weibchen winselt ein bisschen."
Genevieve redet auf ihren Rundgängen immer mit den Wölfen, mit leiser, ruhiger Stimme.
"Dass sie so still sind, das finde ich am faszinierendsten. Du läufst durch das Gehege, drehst dich um und auf einmal steht er hinter dir, der Wolf, du hast ihn nicht kommen hören. Auch wenn sie spielen oder herumtoben, machen sie das völlig geräuschlos, wie Geister. Ich finde das bewundernswert, denn wir Menschen machen so einen Krach mit unseren großen Füßen, wenn wir durch den Wald laufen."
Genevieve verabschiedet sich: sie muss ins Büro, den Bericht schreiben. Und Lucy stillen, die Kleine hat Hunger und quengelt. Die Kunst des Schleichens, sagt Genevieve auf dem Weg zum Ausgang, trägt sicher zum Mythos um den Wolf bei. Daß er sich sozusagen unsichtbar machen kann. Das ist faszinierend und furchterregend zugleich.
"Man hasst ihn und gleichzeitig liebt man ihn. Und immer ist Leidenschaft und Gefühl im Spiel – daß jemand ganz neutral über den Wolf spricht, das kommt sehr selten vor. Beim Thema Wolf kochen sehr schnell die Emotionen hoch. Die einen sind für, die anderen gegen ihn. Aber daran ist nicht der Wolf schuld."
"Solange sie an mir festkleben kann, ist alles in Ordnung. Und ich brauche mir während der Arbeit keine Sorgen zu machen, wenn sie bei mir ist. Mit einem Kind, das schon laufen kann, würde ich nicht zu den Wölfen hineingehen auch wenn wahrscheinlich nichts passieren würde. Aber Lucy läuft noch nicht, sie sitzt auf meinem Rücken wie auf einem Pferd."
Genevieve Carbone ist gewissermaßen die Chefin des Tierparks. Anfang dreißig, Pagenschnitt, schwarze Haare, dicke Intellektuellenbrille, die sie sich immer wieder mit dem Handrücken die Nase hochschiebt. Mit dem rechten. Denn im linken Arm hält sie, natürlich: Lucy. Zwei Monate nach der Geburt hat die temperamentvolle junge Frau die Stelle im Wolfspark angetreten. Für die Verhaltensforscherin und Wolfsexpertin war es die Traumstelle. Und das ist es bis heute.
"Meine Aufgabe ist es, die Wölfe zu beobachten. Das ist doch schonmal ziemlich gut als Arbeit.
Ich muss sehen, ob es ihnen gut geht, und versuchen, eine Lösung zu finden, wenn etwas offensichtlich nicht so gut läuft. Der Wolf ist ein sehr sensibles Tier, das leicht in Streß gerät – überhaupt eingesperrt zu sein ist für die Tiere schon ein Streßfaktor. Das kann ich nicht ändern – aber ich versuche, daß es ihnen in den Gehegen so gut geht wie möglich. Und daß sie sich möglichst so verhalten können, wie es ihre Natur ist."
20 Wölfe sind im Park, aus drei europäischen Zoos: Prag, Riga und Kopenhagen. Genevieve Carbone war bei der Ankunft jedes einzelnen Tiers dabei. Hat beobachtet, ob die Tiere zueinander passen, ob sie in der Lage sind, Rangfolgen zu bilden innerhalb der Meute.
"Wenn man täglich mit den Tieren zu tun hat, lernt man sie verstehen, zumindest ein bißchen. Der Wolf ist ein soziales Tier,die Kommunikation funktioniert über Mimik und Gestik. Untereinander, aber auch mit uns: wenn man sich länger mit ihnen beschäftigt, merkt man tatsächlich, daß sie den Ausdruck auf deinem Gesicht lesen können. Und ich habe manchmal wirklich den Eindruck, daß sie mich verstehen: sie kneifen die Augen zusammen, oder sie öffnen sie, sie runzeln die Stirn – alles, was wir Menschen auch machen."
Nach jedem Besuch im Gehege schreibt sie einen Bericht. Dokumentation ist alles, sagt Genevieve Carbone. Sie schiebt sich die Brille zurecht, entschuldigt sich und greift zum Walkie Talkie: Morgane, Tierpflegerin und Teampartnerin, will wissen, ob sie mit der Kindergruppe zur Aussichtsplattform gehen darf.
Sie sind zu dritt im Team – und wechseln sich ab mit den täglichen Rundgängen durch die Gehege. Immer zurselben Uhrzeit und immer in derselben Richtung, damit die Tiere nicht überrascht werden. Heute ist Genevieve an der Reihe, sie schlingt das Tuch um den Rücken, bindet Lucy fest und hängt sich das Fernrohr um den Hals.
"Das sind die allerschönsten Momente, bei diesen ruhigen Spaziergängen fühle ich mich sehr privilegiert. Die Vögel singen, und ich bin den Wölfen ganz nah. Ich halte immer an derselben Stelle an – auch das, um die Tiere nicht unnötig zu beruhigen. Wir haben sie nämlich gestern schon sehr stören müssen: die Welpen, die vor ein paar Wochen geboren sind, mußten geimpft und untersucht werden. Zu viert sind wir den ganzen Tag durchs das Gehege gelaufen, um sie einzufangen – es hat Stunden gedauert, bis wir das geschafft haben. Aber da kommen sie: sie sind alle da, guten Morgen Wölfe! Marquise, Chaussette, Shadow, Discrete. Na komm her, Chaussette, ruhig. Na komm. Ah und da sind die kleinen, darum sind die Tiere so unruhig: die Wölfchen sind draußen, eins, zwei, das kleine Weibchen winselt ein bisschen."
Genevieve redet auf ihren Rundgängen immer mit den Wölfen, mit leiser, ruhiger Stimme.
"Dass sie so still sind, das finde ich am faszinierendsten. Du läufst durch das Gehege, drehst dich um und auf einmal steht er hinter dir, der Wolf, du hast ihn nicht kommen hören. Auch wenn sie spielen oder herumtoben, machen sie das völlig geräuschlos, wie Geister. Ich finde das bewundernswert, denn wir Menschen machen so einen Krach mit unseren großen Füßen, wenn wir durch den Wald laufen."
Genevieve verabschiedet sich: sie muss ins Büro, den Bericht schreiben. Und Lucy stillen, die Kleine hat Hunger und quengelt. Die Kunst des Schleichens, sagt Genevieve auf dem Weg zum Ausgang, trägt sicher zum Mythos um den Wolf bei. Daß er sich sozusagen unsichtbar machen kann. Das ist faszinierend und furchterregend zugleich.
"Man hasst ihn und gleichzeitig liebt man ihn. Und immer ist Leidenschaft und Gefühl im Spiel – daß jemand ganz neutral über den Wolf spricht, das kommt sehr selten vor. Beim Thema Wolf kochen sehr schnell die Emotionen hoch. Die einen sind für, die anderen gegen ihn. Aber daran ist nicht der Wolf schuld."