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Die Kunst des Vergrößerns

Die älteste erhaltene Lupe besteht aus Bergkristall und stammt aus der Zeit um 700 vor Christus. Doch irgendwie ging in den Jahrhunderten danach das Wissen um die Vergrößerungswirkung gekrümmter Glasflächen verloren. Erst im späten Mittelalter wurden die ersten Brillen gebaut, noch viel länger dauerte es bis die ersten wissenschaftlichen Instrumente aus speziellen Linsen gefertigt wurden.

Von Kay Müllges | 30.08.2005
    Theoretisch begann die Sache schon im hohen Mittelalter. Damals schrieb der gelehrte und in der Optik bewanderte Mönch Roger Bacon:

    "Wir können durchsichtigen Körpern eine solche Gestalt geben und sie in solcher Weise in Bezug auf unser Gesicht und die gesehenen Objekte anordnen, dass wir ein Ding nahe und in der Ferne sehen können."

    Nahes und fernes sehen zu können, Kleines und Großes, das war zu Bacons Zeiten allerdings noch Vision. Erst mehr als dreihundert Jahre später wurde sie Wirklichkeit. Am 30. August 1590 präsentierte der Brillenmacher Hans Janssen das erste Mikroskop, das er gemeinsam mit seinem Sohn Zacharias gebastelt hatte.

    Ihr Gerät sah aus wie das Fernrohr eines Piraten in alten Filmen und war aus einer Sammel- und einer Zerstreuungslinse zusammengesetzt. Eine Sammellinse verkleinert Gegenstände, eine Zerstreuungslinse vergrößert sie. Durch die geschickte Zusammenstellung dieser Linsen erschienen Gegenstände im Mikroskop der Janssens dreimal näher und neunmal größer. Nach dem Tode seines Vaters führte Zacharias Janssen die Werkstatt weiter.

    Im Jahr 1608 präsentierte er auf der Messe in Frankfurt ein von ihm entwickeltes sogenanntes holländisches Fernrohr, das durch Änderung des Linsenabstandes auch als Mikroskop verwendet werden konnte. Das wird heute in der Fachliteratur oft auch als galileisches Fernrohr bezeichnet, denn es war kein geringerer als der Begründer der modernen Wissenschaft, der ein Jahr nach Janssen ein auf dessen Entwicklung beruhendes Teleskop dem staunenden Dogen von Venedig präsentierte.

    "Ich, Galileo Galilei, Eurer durchlauchtigsten Hoheit untertänigster Diener, unablässig und mit jedwedem Eifer darauf bedacht, nicht nur seine Pflichten zu erfüllen, sondern auch mit nützlichen Erfindungen Eurer Durchlaucht außergewöhnliche Dienste zu leisten, wird bei Euch vorstellig mit einem neuartigen Instrument."

    Der Doge dankte es seinem untertänigsten Diener, indem er sein Professorengehalt verdoppelte. Doch Galilei ging es nicht nur um den materiellen Vorteil, sondern auch um die Wissenschaft. Er entdeckte die Ringe des Saturns, einige Jupitermonde und die Sonnenflecken und bestätigte die ketzerische These des Kopernikus, dass nicht die Erde, sondern die Sonne im Mittelpunkt der Welt stehe. Sein Freund Johannes Faber bedachte ihn dafür mit einem Hymnus:

    "Preiset Vespucci und lasset Kolumbus gepriesen sein!
    Wahrlich jeder bahnte sich seinen Weg durch die unbekannte See.
    Doch Du allein, Galileo, offenbartest dem Menschengeschlecht
    Die Rangfolge der Gestirne,
    Neue Ordnungen im Himmel!
    Welch kühne Tat, die diamant’nen Himmelsfesten
    Zu durchdringen mit zerbrechlichem Kristall.
    Glücklich, denen vergönnt, die hehre Statt der Götter
    Zu schauen, Galileo, durch Dein Glas."

    Doch durch Galileis Glas ließen sich eben nicht nur die Stätten der Götter, sondern auch ganz kleine Strukturen schauen. Freilich litten die frühen zweilinsigen Mikroskope ebenso wie die Fernrohre unter minderwertigem Glas und mangelhafter Schleiftechnik. Diesen Mangel beseitigte erst ein weiterer Holländer, der Tuchhändler Antony van Leeuwenhoek aus Delft. Er verwendete für seine Mikroskope eine einzige, winzige Glasperle als Linse.

    Das stärkste seiner erhaltenen Geräte wird im Museum der Universität Utrecht aufbewahrt. Es hat eine 266-fache Vergrößerung und ein Auflösungsvermögen von 1,35, das heißt der Benutzer kann zwei nur 0,00135 Millimeter voneinander entfernt liegende Punkte einzeln erkennen. Mit seiner Hilfe konnte der wissenschaftliche Autodidakt Leeuwenhoek Dinge sehen, die noch nie ein menschliches Auge zuvor gesehen hatte.

    Er war der erste Mensch der je ein Bakterium sah, er beschrieb die Faserstruktur der Augenlinse und entdeckte die Spermien in der männlichen Samenflüssigkeit. Das war natürlich ein delikates Thema und um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen schrieb er in einem Brief an die Royal Society:

    "Was ich beobachte ist nur die Natur. Nicht indem ich mich etwa sündhaft selbst beschmutze, sondern als eine natürliche Konsequenz aus dem ehelichen Beischlaf."

    Leeuwenhoeks Untersuchungen markieren den Höhepunkt der frühen Mikroskopie. Heute ist aus dem zweilinsigen Prototyp der Janssens eine ganze Armada leistungsstarker Beobachtungsgeräte für die Wissenschaft geworden. Längst gibt es nicht mehr nur unterschiedliche Typen von Lichtmikroskopen, sondern auch Elektronenmikroskope. Und mit dem Rasterkraftmikroskop können Physiker einzelne Atome nicht nur beobachten, sondern sogar bewegen.