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Die letzte Diktatur Europas

Die Opposition lebt gefährlich in Weißrussland, und wer so kurz vor der Präsidentschaftswahl öffentlich Kritik am autoritären Regime Alexander Lukaschenkos übt, steht schon mit einem Bein im Gefängnis. Das musste auch der Präsidentschaftskandidat und Chef der Sozialdemokratischen Partei, Alexander Kosulin erfahren. Er wurde mehrere Stunden von der Polizei festgehalten. Kosulin ist einer von vier Oppositionskandidaten bei der Wahl am 19. März. Von den lautstarken Forderungen nach einer demokratischen Wahl berichtet Isabella Kolar.

    Sie rufen den Namen ihres Helden: Alexander Milinkewitsch, der Präsidentschaftskandidat der vereinigten demokratischen Opposition in Weißrussland. Er geht mit seiner Frau Hand in Hand an der Spitze eines langen Zuges von über 1500 Menschen immer voran. Die Gesichter von Studenten und Rentnern, von Betuchten und Arbeitslosen auf der Allee der Sieger im Zentrum von Minsk strahlen an diesem Abend. Eine Jeansrevolution wünschen sie sich, Fahnen aus Jeansstoff wehen den zahllosen Kameras der KGB-Männer in zivil entgegen, die die Menschen filmen. Kontrolle über das oppositionelle Volk und Schläge für deren Protagonisten: Erst am Vortag ist ein anderer Kandidat der Opposition, der Sozialdemokrat Alexsander Kosulin zusammengeschlagen worden. Ivan Rak, sein Vertrauter, war dabei:

    "Wir werden zusammen gegen die Willkür und Gesetzeslosigkeit von Präsident Lukaschenko protestieren. Heute hat kein Kandidat außer Lukaschenko die Möglichkeit, mit seinen Wählern zu sprechen. Es ist schrecklich, was passiert. Aber die Leute haben heute keine Angst mehr. Wir haben die Schnauze voll von diesem Regime."

    Alexander Milinkewitsch ist am vergangenen Donnerstag noch einmal davongekommen: Das aus ganz Weißrussland zu seiner Wahlveranstaltung zusammengezogenen Militär begnügte sich damit, den Demonstrationszug bewaffnet mit Schlagstöcken, Schildern und Gasbomben auseinanderzujagen. Staatsgewalt gegen einen offiziell registrierten Oppositionskandidaten und seine Anhänger, Milinkewitsch hat sich daran gewöhnt:

    "Unsere Aktivisten werden festgenommen. Im ganzen Land gibt es Hunderte von Fälle, dass diejenigen, die unser Programm oder mein Porträt verteilen, einfach festgesetzt werden. Dies ist ein Land der totalen Gesetzeslosigkeit. Hier wird es keine Wahlen geben. Die Mächtigen möchten nur Wahlen imitieren. Unser Ziel ist es nicht, bei den Zahlen, die die offizielle Wahlkommission veröffentlicht, zu siegen, sie werden eine Lüge sein. Unser Ziel sind die Menschen und ihr Bewusstsein. Wir benutzen die Wahlen für eine Kampagne. Wir haben die Menschen auch aus den Regionen dazu aufgerufen, am 19. März auf die Straßen von Minsk zu gehen. und wir werden ihnen dort die realen Resultate dieser Wahlen verkünden."

    Die Folge eine Revolution? Daran glauben vor Ort die Wenigsten. Zu perfekt funktioniert das Terrorsystem der Angst und Zensur des Alexander Lukaschenko, des amtierenden Präsidenten Weißrusslands: Immer wieder verschwanden in den letzten Jahren oppositionelle Politiker und Journalisten, ihre Namen kennt das ganze Land. Der Chef persönlich in der vergangenen Woche in Minsk auf einer Propagandaveranstaltung mit 2500 Deputierten aus allen Landesteilen:

    "Die starke Macht des Staates, eine starke Sozialpolitik und das Volk als Stütze - das ist das ganze Geheimnis unseres Erfolges. Das weißrussische Volk weiß aus eigener Erfahrung, dass hinter Revolutionen, egal welche Farbe sie haben, nur dunkle Mächte stehen können."

    Olga Karatch saß schon des öfteren im Gefängnis, ihr wurde mit Vergewaltigung gedroht und ihren Job als Lehrerin ist sie auch los - denn sie ist so eine "dunkle Macht". Mit 28 Jahren ist sie die jüngste Deputierte in einem Stadtparlament in Weißrussland und die einzige nichtstaatliche in Witebsk, 300 Kilometer nordöstlich von Minsk. Ihr Ziel: Kampf der politischen Passivität.

    "Innerhalb von zwölf Jahren hat jeder auf die eine oder andere Art versucht mit Lukaschenko zu kämpfen. Sogar die, die sich jetzt in seiner Umgebung befinden. Faktisch jeder Weißrusse. Und faktisch hat jeder verloren. Einer der Gründe für die Passivität ist diese Angst, dass man nicht gewinnen kann, dass sowieso nichts dabei herauskommt: Egal, was ich tue, ich werde verlieren."

    Doch noch haben nicht alle resigniert. In einem zu einer Art oppositioneller Nationalhymne Weißrusslands gewordenen Lied der verbotenen Rockgruppe NRM heißt es: "Dies ist meine Heimat, ich bin bereit für Deine Freiheit zu sterben." Die, die am vergangenen Donnerstag im Zentrum von Minsk "Es lebe Weißrussland" riefen, hoffen trotzdem, das alles ganz anders kommt.