Wie alles hat auch das angeblich Offensichtliche seine Schattenseite. Das zeigt sich nach Meinung der Kölner Medienwissenschaftlerin Irmela Schneider schon in der Herkunftsgeschichte des Wortes "Evidenz". Cicero meinte mit "evidentia" noch ein rhetorisches Stilmittel. Danach sollte ein Redner seinem Publikum einen Sachverhalt möglichst klar vor Augen führen, um seine Zuhörer zu überzeugen. Indem Evidentia – wörtlich übersetzt: das, was aus sich selbst heraus leuchtet" – jeden Widerspruch lähmt, wird sie bei Cicero zu einem Trick des Redners. Und das Trickreiche, Listige – darauf wollten die Initiatoren mit dem Titel ihrer Tagung anspielen – haftet der Rede vom Eindeutigen bis heute an. Schließlich soll ein Hinweis darauf, dass etwas "evident" ist, eigene Erkenntnisse oder das eigene Handeln rechtfertigen. Um glaubwürdiger zu wirken, griff man schon immer gern auf Zeugen und Zahlen zurück. Die Medienwissenschaftlerin Isabell Otto wies hier allerdings auf ein typisches Dilemma von Statistiken hin: entweder die Zahlen unterschlagen individuelle Besonderheiten - oder aber sie konzentrieren sich umgekehrt zu sehr auf den Einzelnen, wodurch allgemeingültige Aussagen unmöglich werden.
Wie Politiker neuerdings auch schon reine Spekulationen zu kriminologischen "Fakten" aufpeppen, zeigte daneben der Berliner Kulturwissenschaftler Tom Holert am Fall des Irakkriegs. Um den Militärschlag gegen Saddam Hussein zu begründen, brachte die US-Regierung den Begriff der "evidence" ins Spiel, des juristischen Beweises also. Auf diese Weise, so Holert, wurden die UN-Inspektoren in die Rolle polizeilicher Ermittler gedrängt. Aus Weltpolitik wurde rhetorisch ein Kriminalfall. Tom Holert:
Es ist auffällig, dass so eine gewisse Vergerichtlichung der Weltpolitik stattfindet. Dass man auch in der Wahl der Begriffe, in dem Vokabular sich zunehmend auf kriminalistisches Terrain bewegt und den Feind als Schurken, als Verbrecher, kennzeichnet und dem eben mit kriminalistischen, forensischen Methoden auf die Schliche gekommen werden muss.
Als die UN-Truppen keine Indizien für Massenvernichtungswaffen finden konnten, kehrte die US-Regierung nach Holert die Begründung für eine Beweislast entscheidend um. Nicht der Fund von Indizien sprach plötzlich für einen Einmarsch im Irak. Man leitete vielmehr gerade aus der Tatsache, dass man noch keine Waffen gefunden hatte, die Notwendigkeit für einen Präventiv-Schlag ab. Angesichts dieser rhetorischen Raffinesse, erweist sich der Zweifel als die verlässlichere Kategorie. Der Karlsruher Medienphilosoph Boris Groys ging in diesem Sinne sogar noch einen Schritt weiter. Ausgehend von Descartes und Husserl erklärte er den Zweifel per se zum Einzigen, was überhaupt "evident" genannt werden darf:
Zweifel und Evidenz haben die gleiche Quelle. Sie sind im Wesentlichen identisch. Was ich machen wollte: Ich wollte eben diese innere Komplizenschaft zwischen Zweifel und Evidenz demonstrieren. Wir vergessen, dass die eigentliche Quelle der Evidenz der Verdacht selbst ist oder der Zweifel selbst ist. Das ist das einzige, was evident ist, die Tatsache, dass wir zweifeln.
Nach Groys ist der Zweifel – anders als bei Husserl - kein Übergang mehr, um auf den wahren und wesentlichen Kern der Dinge vorzustoßen. Er bezeichnet vielmehr den Virus, mit dem jedes Phänomen generell infiziert ist. Diese Deutung aber klang den meisten Tagungsteilnehmern dann doch zu resignativ. Irmela Schneider jedenfalls plädiert für eine Beschwörungsformel von "Evidenz" fernab des Zweifels, auch wenn es gültige Gewissheiten auf Dauer natürlich nie geben kann:
Wenn man sich nur auf den Zweifel konzentriert, kann er sehr stumpf werden, paralysierend, lähmend wirken. Deshalb sage ich: wir haben beides. Wir haben die Evidenz und wir haben den Zweifel. Evidenz würde ich als eine Fragefigur erklären, es ist ein Telos, das nie erreicht werden kann, aber immer angestrebt werden muss.
Wie Politiker neuerdings auch schon reine Spekulationen zu kriminologischen "Fakten" aufpeppen, zeigte daneben der Berliner Kulturwissenschaftler Tom Holert am Fall des Irakkriegs. Um den Militärschlag gegen Saddam Hussein zu begründen, brachte die US-Regierung den Begriff der "evidence" ins Spiel, des juristischen Beweises also. Auf diese Weise, so Holert, wurden die UN-Inspektoren in die Rolle polizeilicher Ermittler gedrängt. Aus Weltpolitik wurde rhetorisch ein Kriminalfall. Tom Holert:
Es ist auffällig, dass so eine gewisse Vergerichtlichung der Weltpolitik stattfindet. Dass man auch in der Wahl der Begriffe, in dem Vokabular sich zunehmend auf kriminalistisches Terrain bewegt und den Feind als Schurken, als Verbrecher, kennzeichnet und dem eben mit kriminalistischen, forensischen Methoden auf die Schliche gekommen werden muss.
Als die UN-Truppen keine Indizien für Massenvernichtungswaffen finden konnten, kehrte die US-Regierung nach Holert die Begründung für eine Beweislast entscheidend um. Nicht der Fund von Indizien sprach plötzlich für einen Einmarsch im Irak. Man leitete vielmehr gerade aus der Tatsache, dass man noch keine Waffen gefunden hatte, die Notwendigkeit für einen Präventiv-Schlag ab. Angesichts dieser rhetorischen Raffinesse, erweist sich der Zweifel als die verlässlichere Kategorie. Der Karlsruher Medienphilosoph Boris Groys ging in diesem Sinne sogar noch einen Schritt weiter. Ausgehend von Descartes und Husserl erklärte er den Zweifel per se zum Einzigen, was überhaupt "evident" genannt werden darf:
Zweifel und Evidenz haben die gleiche Quelle. Sie sind im Wesentlichen identisch. Was ich machen wollte: Ich wollte eben diese innere Komplizenschaft zwischen Zweifel und Evidenz demonstrieren. Wir vergessen, dass die eigentliche Quelle der Evidenz der Verdacht selbst ist oder der Zweifel selbst ist. Das ist das einzige, was evident ist, die Tatsache, dass wir zweifeln.
Nach Groys ist der Zweifel – anders als bei Husserl - kein Übergang mehr, um auf den wahren und wesentlichen Kern der Dinge vorzustoßen. Er bezeichnet vielmehr den Virus, mit dem jedes Phänomen generell infiziert ist. Diese Deutung aber klang den meisten Tagungsteilnehmern dann doch zu resignativ. Irmela Schneider jedenfalls plädiert für eine Beschwörungsformel von "Evidenz" fernab des Zweifels, auch wenn es gültige Gewissheiten auf Dauer natürlich nie geben kann:
Wenn man sich nur auf den Zweifel konzentriert, kann er sehr stumpf werden, paralysierend, lähmend wirken. Deshalb sage ich: wir haben beides. Wir haben die Evidenz und wir haben den Zweifel. Evidenz würde ich als eine Fragefigur erklären, es ist ein Telos, das nie erreicht werden kann, aber immer angestrebt werden muss.