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Die "Lüge" vom dritten Arm

Neurowissenschaft.- Wo sitzt das linke Bein, wo welcher Finger? Das menschliche Gehirn kennt den Körper ganz genau und legt quasi Karten zu den jeweiligen Gliedmaßen an. Allerdings kann man es auch täuschen: Forscher haben der "menschlichen Schaltzentrale" nun einen dritten Arm vorgegaukelt.

Von Michael Lange |
    Der Neurowissenschaftler Henrik Ehrsson vom Karolinska Institut in Stockholm weiß wie es sich anfühlt, drei Arme zu haben.

    "Es ist ein interessantes, faszinierendes, angenehmes Gefühl. Natürlich weiß ich, dass der dritte Arm nicht echt ist. Ich weiß, dass ich eigentlich nur eine rechte Hand besitze, aber ich kann die zweite rechte Hand nicht einfach wegdenken."

    Die Illusion einer zweiten rechten Hand gelang durch einen einfachen Versuch. Die Forscher verwendeten dabei einen rechten Arm aus Gummi. Sie forderten ihre insgesamt 150 Probanden auf, ihren eigenen rechten Arm daneben auf die Tischplatte zu legen. Dann streichelten sie mit einer kleinen Bürste mehrfach über die Finger. Immer parallel, genau im gleichen Moment, die gleichen Finger, die gleiche Region der menschlichen Hand und der Gummi-Hand.

    "Wir bieten dem Gehirn der Testperson zwei gleichartige Gliedmaßen an. So zwingen wir das Gehirn zur Entscheidung: Welcher Arm gehört zu mir? Und überraschenderweise entscheidet sich das Gehirn nicht, sondern akzeptiert die beiden rechten Arme und Hände als Teil des eigenen Körpers. Insgesamt also: drei Hände."

    Einen Stock aus Holz, eine Computer-Maus oder einen Fuß aus Gummi akzeptierte das Gehirn der Probanden übrigens nicht. Die Gummi-Hand musste ähnlich aussehen, wie eine natürliche Hand. Dabei machte es nichts aus, dass die Testpersonen auf den ersten Blick die Kunsthand von der eigenen Hand unterscheiden konnten.

    Im Kernspin-Tomografen stellten die Forscher fest, dass für den dritten Arm keine zusätzlichen Nervenzellen im Gehirn benötigt werden. Vielmehr haben sich die für den rechten Arm zuständigen Nerven neu verschaltet. Sie sind nun für zwei rechte Arme und zwei rechte Hände verantwortlich. Der Nachweis, dass die künstliche Hand für das Gehirn tatsächlich zum Körper gehört, gelang dem Team von Henrik Ehrsson mit einem Stresstest.

    "Wir bedrohten die Hand mit einem Messer, das wir schnell auf die Hand zubewegten. Dabei maßen wir mit Elektroden die Stressreaktion an der Haut der Probanden. Und tatsächlich steigerte sich die Schweißbildung der Haut, wie bei der echten Hand, sobald sich das Messer oder eine Nadel der Gummi-Hand näherte."

    Viele Amputierte haben Probleme mit ihren Prothesen. Bisher haben Ärzte ihren Patienten stets empfohlen, die Prothese als Ersatz für ein amputiertes Körperteil zu begreifen. Besser wäre es, laut Hendrik Ehrsson, die Prothese als zusätzliches Körperteil zu verstehen.

    Ein dritter Arm wäre zum Beispiel für Schlaganfall-Patienten, die einen eigenen Arm nicht mehr bewegen können, eine große Hilfe. Ihr Gehirn könnte die Prothese steuern und dennoch den eigenen gelähmten Arm weiterhin als Körperteil akzeptieren. Und Henrik Ehrsson denkt noch weiter.

    "Wenn Sie das Gehirn austricksen, könnte es auch einen Roboterarm als Teil des menschlichen Körpers wahrnehmen. So etwas wäre nützlich, um große Lasten zu heben oder die beiden natürlichen Hände anderweitig zu unterstützen."

    In wenigen Jahrzehnten könnte der Gebrauch eines dritten Armes selbstverständlich sein. Unsere Gehirne jedenfalls würden sich problemlos daran anpassen.