Ein Labor des Universitätsklinikum Ulm: Auf einem Bildschirm erscheint ein kleines, klumpiges Etwas. Dann: die Darstellung einer in sich zusammengekrümmten Figur mit überdimensionalem Schädel und deutlich ausgebildeten Ärmchen und Füßchen.
"Im frühen Stadium können solche Bilder eher kleinen Kaulquappen oder Fischen ähneln, während in späteren Stadien der Versuch unternommen wird, schon ein fertiges Gesicht herauszuarbeiten."
Das Objekt der Darstellung ist, so Professor Heiner Fangerau, Direktor des Institutes für Geschichte, Philosophie und Ethik der Medizin am Uniklinikum Ulm, dasselbe: Nämlich ein menschlicher Embryo; die Bilder hat ein Computer auf der Basis einer Ultraschall-Untersuchung erarbeitet. Der einzige Unterschied: der Zeitpunkt der Aufnahme – einmal im frühembryonalen Stadium, das zweite Mal ein paar Monate später. Mit den beiden Bildern verbindet der Betrachter aber ganz unbewusst ein jeweils unterschiedliches Menschenbild: Während der mit Gliedmaßen und Gesicht erkennbare Embryo einem Menschen ähnelt, assoziieren viele ganz unbewusst mit dem frühembryonalen Lebewesen etwas anderes:
"Genau das ist der Punkt: Diese Erinnerung, diese Ähnlichkeit zum Tier soll verdeutlichen, das Menschen und Tier gewissermaßen miteinander verwandt sind und das vielleicht an die Würde des Menschen andere Ansprüche gestellt werden im frühen Stadium als im späten Stadium der embryonalen Entwicklung."
Dieses simple Beispiel macht klar: Bilder in der Medizin haben häufig einen manipulativen Charakter: Soll der Mensch als ein dem Tier ähnliches Wesen gezeigt werden, eignet sich die frühembryonale Aufnahme vorzüglich dafür. Will man zeigen, dass der Mensch etwas Einzigartiges ist, eignen sich Embryonen im fortgeschrittenen Stadium viel eher dazu. Die Wahl des Zeitpunktes, aber auch der Aufnahmetechnik hat somit Einfluss auf das philosophische Menschenbild, das mit der Aufnahme unbewusst assoziiert wird:
"Die Theorie, die man in ein Bild von vornherein reinsteckt, bestimmt das Ergebnis dieses Bildes am Ende mit. Das, was Sie am Schluss sehen wollen, was sie gelernt haben zu sehen, müssen Sie schon in die Bildproduktion eine gewisse Idee hinein bringen."
So der Ulmer Medizinethiker Heiner Fangerau. Das Beispiel zeigt: Bilder in der Medizin können eine Macht entfalten, die weit über den ursprünglichen Diagnosezweck hinausgehen. Dies aufzuzeigen und die dahinter stehenden Mechanismen zu beschreiben, ist eine wichtige Aufgabe, die sich die Wissenschaftler am neu gegründeten Zentrum für Medizin und Gesellschaft gestellt haben. Dabei offenbart sich die Macht medizinischer Bilder vielfältig – beispielsweise auch dann, wenn sie, ursprünglich für wissenschaftliche und Diagnosezwecke entwickelt, zweckentfremdet werden. Beispiel: die Gehirnforschung. Dort untersuchen die Wissenschaftler, welche Art von gehirnorganischen Veränderungen zu aggressivem Verhalten führen – gehirnorganische Veränderungen, die durch bildgebende Verfahren wie beispielsweise der Kernspintomografie sichtbar gemacht werden können. Die Gefahr besteht allerdings, so der Neurologe Robert Lindenberg von der Harvard Medical School Boston, in der 'Zweckentfremdung':
"..beispielsweise am Flughafen, um schon mit einem 'Scan', das ist zwar bislang noch Science-Fiction, aber um eben schon beim Eintritt im Flughafen durch solch einen Scan aggressive Gedanken zu erkennen und diese Leute in besondere Art und Weise durch die Sicherheitskontrollen zu führen. Dies wäre eine Zweckentfremdung medizinischer Diagnostik, die eng mit bildgebenden Verfahren zusammenhängt, wenn man postuliert, eine bestimmte Sauerstoffkonzentration in einer bestimmten Hirnregion, die ein bestimmtes Bild erzeugt, geht einher mit erhöhter Aggressivität. Das wäre etwas, was man mit Bildern transportieren könnte."
... und somit den Sicherheitsbediensteten am Flughafen einen Anhaltspunkt über zur Randale neigende Fluggäste liefern würde. Angesichts der permanenten Sicherheitsdebatte als Reaktion auf terroristische Bedrohungslagen sei ein solches Szenario nicht allzu weit hergeholt, sagen die Experten in Ulm – und legen nach, dass es auch Aufgabe der Mediziner sei, vor solchen Formen von Zweckentfremdung medizinischer Bilder zu warnen. Allerdings sei dies, so Robert Lindenberg ein wenig resigniert,
" ... ein Gebrauch von einer Entwicklung, gesellschaftlich gewollt oder nicht gewollt, die wir nicht beeinflussen können, die wir hinnehmen müssen. Gut finde ich es trotzdem nicht!"
Überhaupt ist aus ethischer Sicht längst nicht alles gut, was auf Röntgenfolien und Bildschirmen so alles glänzt. Will heißen: Nicht alles, was sich aus dem menschlichen Körper heraus bildlich darstellen lässt, ist im Sinne des Patienten. Robert Lindenberg:
"Zufallsbefunde, pathologische Zufallsbefunde bei medizinischer Forschung zu Bildgebung sind ein besonderes Problem, weil die Probanden vielleicht gar nicht wissen wollen, dass sie krank sind. Es gibt Menschen, die wollen das gar nicht wissen. Denen geht es besser, wenn sie's nicht wissen. Und da ist es ein Punkt, dass man den Leuten ihr Recht auf Nicht-Wissen lässt."
... was allerdings in der Praxis häufig nicht so einfach ist: Erscheint auf einer Kernspin-Darstellung, die wegen eines ganz anderen Krankheitsbildes gefertigt wurde, plötzlich ein Tumor, nach dem der Arzt eigentlich gar nicht gesucht hat, stellt sich die Frage: Wie damit umgehen, beispielsweise dann, wenn dieser Tumor zu 100 Prozent tödlich ist? Hier stellen die Chancen, die moderne Bildverfahren in der Medizin mit sich bringen, auch hohe Anforderung an das Verantwortungsbewusstsein des Arztes.
Röntgenbilder, Computertomografie, Kernspin, Ultraschall, und das alles in immer feineren Raster – je genauer die bildgebenden Verfahren in der Medizin arbeiten, desto besser auch die Diagnosemöglichkeiten. Doch ist das wirklich so? Die Präzision der medizinischen Bilder hat auch ihre Tücken, weil sich viele Ärzte allzu sehr auf sie verlassen, meint Professor Heiner Fangerau vom Ulmer Institut für Geschichte, Philosophie und Ethik in der Medizin:
"Ein ganz spannender Punkt mit der medizinischen Bildgebung ist, dass die ganz klassischen medizinischen Verfahren, nämlich den Patienten zu befragen, eine körperliche Untersuchung durchzuführen, schnell in Gefahr laufen, durch ein Bild oder eine Bildgebung umgangen zu werden, dass man quasi als Abkürzung gleich auf die Unmittelbarkeit des Bildes setzt, zeigt mir doch ein Bild, was dem Patienten fehlt. Und man spart sich alle andere Diagnostik. Anders als ein langes Gespräch mit dem Patienten, wo er vielleicht auch noch Dinge erzählt, die zeitraubend sind und für die Krankheit erst einmal irrelevant sind, ich sag's jetzt mal überspitzt, anders ist ein Bild ein sofort unmittelbares, wahrnehmbares, sichtbares dargestelltes Stück Diagnostik. Und der Versuch besteht immer darin, über diese bildgebenden Verfahren all die anderen etwas schwierigeren Untersuchungsformen zu umgehen. Das ist eigentlich eine Gefahr."
Schon in der medizinischen Ausbildung müssten die angehenden Ärzte lernen, sich dieser Gefahr bewusst zu werden. Es geht um Abwägung, in welchem Verhältnis medizinische Bilder zu all den übrigen Diagnosemethoden stehen sollen. Gerade dieses Beispiel zeige sehr deutlich, wie wichtig es ist, sich bei Bildern aus der Medizin auch über die ethischen Fragen nachzudenken, meint Professor Heiner Fangerau. Er sieht die Beschäftigung mit den Bildern aus der Medizin daher sinnvoll eingebettet in die generellen Fragestellungen, denen das neu gegründete Ulmer "Zentrum für Medizin und Gesellschaft" nachgeht:
"Medizin ist nicht nur Chemikalien zusammen schütten und schauen: Was passiert? Sondern Medizin ist immer auch Interaktion mit Menschen und auf großem Niveau Interaktion mit der Gesellschaft. Und ein Zentrum 'Medizin und Gesellschaft' kann genau diese Lücke zwischen medizinischer Grundlagenforschung, der Anwendung am einzelnen Patienten, und der Einbettung einer bestimmten Medizinform in der Gesellschaft schließen."
"Im frühen Stadium können solche Bilder eher kleinen Kaulquappen oder Fischen ähneln, während in späteren Stadien der Versuch unternommen wird, schon ein fertiges Gesicht herauszuarbeiten."
Das Objekt der Darstellung ist, so Professor Heiner Fangerau, Direktor des Institutes für Geschichte, Philosophie und Ethik der Medizin am Uniklinikum Ulm, dasselbe: Nämlich ein menschlicher Embryo; die Bilder hat ein Computer auf der Basis einer Ultraschall-Untersuchung erarbeitet. Der einzige Unterschied: der Zeitpunkt der Aufnahme – einmal im frühembryonalen Stadium, das zweite Mal ein paar Monate später. Mit den beiden Bildern verbindet der Betrachter aber ganz unbewusst ein jeweils unterschiedliches Menschenbild: Während der mit Gliedmaßen und Gesicht erkennbare Embryo einem Menschen ähnelt, assoziieren viele ganz unbewusst mit dem frühembryonalen Lebewesen etwas anderes:
"Genau das ist der Punkt: Diese Erinnerung, diese Ähnlichkeit zum Tier soll verdeutlichen, das Menschen und Tier gewissermaßen miteinander verwandt sind und das vielleicht an die Würde des Menschen andere Ansprüche gestellt werden im frühen Stadium als im späten Stadium der embryonalen Entwicklung."
Dieses simple Beispiel macht klar: Bilder in der Medizin haben häufig einen manipulativen Charakter: Soll der Mensch als ein dem Tier ähnliches Wesen gezeigt werden, eignet sich die frühembryonale Aufnahme vorzüglich dafür. Will man zeigen, dass der Mensch etwas Einzigartiges ist, eignen sich Embryonen im fortgeschrittenen Stadium viel eher dazu. Die Wahl des Zeitpunktes, aber auch der Aufnahmetechnik hat somit Einfluss auf das philosophische Menschenbild, das mit der Aufnahme unbewusst assoziiert wird:
"Die Theorie, die man in ein Bild von vornherein reinsteckt, bestimmt das Ergebnis dieses Bildes am Ende mit. Das, was Sie am Schluss sehen wollen, was sie gelernt haben zu sehen, müssen Sie schon in die Bildproduktion eine gewisse Idee hinein bringen."
So der Ulmer Medizinethiker Heiner Fangerau. Das Beispiel zeigt: Bilder in der Medizin können eine Macht entfalten, die weit über den ursprünglichen Diagnosezweck hinausgehen. Dies aufzuzeigen und die dahinter stehenden Mechanismen zu beschreiben, ist eine wichtige Aufgabe, die sich die Wissenschaftler am neu gegründeten Zentrum für Medizin und Gesellschaft gestellt haben. Dabei offenbart sich die Macht medizinischer Bilder vielfältig – beispielsweise auch dann, wenn sie, ursprünglich für wissenschaftliche und Diagnosezwecke entwickelt, zweckentfremdet werden. Beispiel: die Gehirnforschung. Dort untersuchen die Wissenschaftler, welche Art von gehirnorganischen Veränderungen zu aggressivem Verhalten führen – gehirnorganische Veränderungen, die durch bildgebende Verfahren wie beispielsweise der Kernspintomografie sichtbar gemacht werden können. Die Gefahr besteht allerdings, so der Neurologe Robert Lindenberg von der Harvard Medical School Boston, in der 'Zweckentfremdung':
"..beispielsweise am Flughafen, um schon mit einem 'Scan', das ist zwar bislang noch Science-Fiction, aber um eben schon beim Eintritt im Flughafen durch solch einen Scan aggressive Gedanken zu erkennen und diese Leute in besondere Art und Weise durch die Sicherheitskontrollen zu führen. Dies wäre eine Zweckentfremdung medizinischer Diagnostik, die eng mit bildgebenden Verfahren zusammenhängt, wenn man postuliert, eine bestimmte Sauerstoffkonzentration in einer bestimmten Hirnregion, die ein bestimmtes Bild erzeugt, geht einher mit erhöhter Aggressivität. Das wäre etwas, was man mit Bildern transportieren könnte."
... und somit den Sicherheitsbediensteten am Flughafen einen Anhaltspunkt über zur Randale neigende Fluggäste liefern würde. Angesichts der permanenten Sicherheitsdebatte als Reaktion auf terroristische Bedrohungslagen sei ein solches Szenario nicht allzu weit hergeholt, sagen die Experten in Ulm – und legen nach, dass es auch Aufgabe der Mediziner sei, vor solchen Formen von Zweckentfremdung medizinischer Bilder zu warnen. Allerdings sei dies, so Robert Lindenberg ein wenig resigniert,
" ... ein Gebrauch von einer Entwicklung, gesellschaftlich gewollt oder nicht gewollt, die wir nicht beeinflussen können, die wir hinnehmen müssen. Gut finde ich es trotzdem nicht!"
Überhaupt ist aus ethischer Sicht längst nicht alles gut, was auf Röntgenfolien und Bildschirmen so alles glänzt. Will heißen: Nicht alles, was sich aus dem menschlichen Körper heraus bildlich darstellen lässt, ist im Sinne des Patienten. Robert Lindenberg:
"Zufallsbefunde, pathologische Zufallsbefunde bei medizinischer Forschung zu Bildgebung sind ein besonderes Problem, weil die Probanden vielleicht gar nicht wissen wollen, dass sie krank sind. Es gibt Menschen, die wollen das gar nicht wissen. Denen geht es besser, wenn sie's nicht wissen. Und da ist es ein Punkt, dass man den Leuten ihr Recht auf Nicht-Wissen lässt."
... was allerdings in der Praxis häufig nicht so einfach ist: Erscheint auf einer Kernspin-Darstellung, die wegen eines ganz anderen Krankheitsbildes gefertigt wurde, plötzlich ein Tumor, nach dem der Arzt eigentlich gar nicht gesucht hat, stellt sich die Frage: Wie damit umgehen, beispielsweise dann, wenn dieser Tumor zu 100 Prozent tödlich ist? Hier stellen die Chancen, die moderne Bildverfahren in der Medizin mit sich bringen, auch hohe Anforderung an das Verantwortungsbewusstsein des Arztes.
Röntgenbilder, Computertomografie, Kernspin, Ultraschall, und das alles in immer feineren Raster – je genauer die bildgebenden Verfahren in der Medizin arbeiten, desto besser auch die Diagnosemöglichkeiten. Doch ist das wirklich so? Die Präzision der medizinischen Bilder hat auch ihre Tücken, weil sich viele Ärzte allzu sehr auf sie verlassen, meint Professor Heiner Fangerau vom Ulmer Institut für Geschichte, Philosophie und Ethik in der Medizin:
"Ein ganz spannender Punkt mit der medizinischen Bildgebung ist, dass die ganz klassischen medizinischen Verfahren, nämlich den Patienten zu befragen, eine körperliche Untersuchung durchzuführen, schnell in Gefahr laufen, durch ein Bild oder eine Bildgebung umgangen zu werden, dass man quasi als Abkürzung gleich auf die Unmittelbarkeit des Bildes setzt, zeigt mir doch ein Bild, was dem Patienten fehlt. Und man spart sich alle andere Diagnostik. Anders als ein langes Gespräch mit dem Patienten, wo er vielleicht auch noch Dinge erzählt, die zeitraubend sind und für die Krankheit erst einmal irrelevant sind, ich sag's jetzt mal überspitzt, anders ist ein Bild ein sofort unmittelbares, wahrnehmbares, sichtbares dargestelltes Stück Diagnostik. Und der Versuch besteht immer darin, über diese bildgebenden Verfahren all die anderen etwas schwierigeren Untersuchungsformen zu umgehen. Das ist eigentlich eine Gefahr."
Schon in der medizinischen Ausbildung müssten die angehenden Ärzte lernen, sich dieser Gefahr bewusst zu werden. Es geht um Abwägung, in welchem Verhältnis medizinische Bilder zu all den übrigen Diagnosemethoden stehen sollen. Gerade dieses Beispiel zeige sehr deutlich, wie wichtig es ist, sich bei Bildern aus der Medizin auch über die ethischen Fragen nachzudenken, meint Professor Heiner Fangerau. Er sieht die Beschäftigung mit den Bildern aus der Medizin daher sinnvoll eingebettet in die generellen Fragestellungen, denen das neu gegründete Ulmer "Zentrum für Medizin und Gesellschaft" nachgeht:
"Medizin ist nicht nur Chemikalien zusammen schütten und schauen: Was passiert? Sondern Medizin ist immer auch Interaktion mit Menschen und auf großem Niveau Interaktion mit der Gesellschaft. Und ein Zentrum 'Medizin und Gesellschaft' kann genau diese Lücke zwischen medizinischer Grundlagenforschung, der Anwendung am einzelnen Patienten, und der Einbettung einer bestimmten Medizinform in der Gesellschaft schließen."