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"Die Macht der Finsternis"

Zu Lebzeiten schon für seine Werke bewundert, war Leo Tolstoi auch religiöser Sektierer und Kritiker der Amtskirche. Nächstenliebe war für ihn keine hohle Formel. Von 1886 stammt "Die Macht der Finsternis" - es geht um Schwangerschaft, Kindsmord und ein reuiges Geständnis.

Von Michael Laages | 22.05.2011
    Gewiss käme "Die Macht der Finsternis” in voller, fünfaktiger Pracht nicht aus mit den 90 Fernsehspielminuten, die der Berliner Aufführung letztlich geblieben sind - aber anders als sonst oft, speziell bei den übermäßig komprimierten Klassiker-Bearbeitungen, mit denen sich Michael Thalheimer einen sehr speziellen Ruf erwarb in der ersten Liga des deutschen Regietheaters, werden auch Tolstoi-Spezialisten vermutlich nicht gar so viel vermissen bei dieser 'Macht der Finsternis'. In dieser Verdichtung hat das monströse Drama sicher eher gewonnen - wenn auch die Frage weithin unbeantwortet blieb, wozu wohl gerade dieser Theatertext hier und heute nützlich und nötig sein könnte.

    Das Programmheft weist allerdings auf eine interessante Parallele hin - der legendäre russische Theaterreformer Konstantin Stanislawski wollte Tolstois tiefschwarzes Erstlingsdrama zeitgleich mit Maxim Gorkis dramatischem Debüt "Kleinbürger” aufführen; da, bei Gorki, waren die vorrevolutionären Verwerfungen innerhalb spießigster Bürgerlichkeit zu besichtigen, hier, bei Tolstoi, die allemal ähnlich zwanghafte, noch schmerzlichere Schlacht der Seelen auf einem Horror-Hof der altbäuerlichen Traditionen ... Stanislawskis kluger Dramaturgen-Gedanke ist gerade in Berlin gut nachvollziehbar, denn auch Gorkis "Kleinbürger” sind ja derzeit hier zu sehen - am Deutschen Theater und in Jette Steckels grandioser Inszenierung.

    Thalheimer zeichnet die verzweifeltere Welt; nichts und niemand ist grundsätzlich gut auf dem Hof des alten, hinfälligen Bauern Pjotr: er kujoniert alle, dafür betrügt die Frau ihn mit dem Knecht und besorgt sich von dessen Mutter Gift, um den Alten zu beseitigen. Derweil macht sich der Neue in ihrem Bett auch an die Tochter heran, schwängert sie sogar - das Kind muss (unter wiederum tätiger Mithilfe der bösen Schwiegermutter) sterben. Bei der Hochzeit (ob mit Mutter oder Tochter, bleibt angemessen unklar) verfällt Nikita, der lebenslang immer nur gierige Knecht, im Grunde ein moderner Hedonist, in eine allumfassende Beichte - jetzt hat er keine Angst mehr, als stünde er vor dem Jüngsten Gericht; wenn irgendetwas -sagt Tolstoi hier- diese ganz und gar von Gott verlassene Welt noch retten könnte, dann Glaube und rückhaltlose Wahrheit. Aber wer will die schon hören.

    Natürlich ist Tolstoi auch in diesem Drama der ewige Gottsucher - die einzige halbwegs freundlich gezeichnete Figur aber, Nikitas Vater Akim, ist hier ein vor lauter Rückwärtsgewandtheit derart weltfremder, ein vor lauter Gottesfurcht derart lächerlicher Zeitgenosse, dass er zum Gegenentwurf wirklich nicht taugt - Thalheimer zeigt die Alternativlosigkeit des Dramas vor allem in der einzigen irgendwie aktuellen Szene, wo Akim sich ratlos fragt, wie sich Geld denn selbstzeugend vermehren kann, durch Zinsen auf dem Sparkonto.

    Der folgende groteske Dialog über die unverändert gültigen Regeln des Bank-Wesens war dann aber auch schon das einzige Bemühen um Aktualität an der "Schaubühne”. Mit Olaf Altmanns Bühne zeigt Thalheimer viel eher eine Welt zeitlos-ferner Zwänge - durch zwei niedrige Gänge auf halber Höhe in der Bühnenwand, so niedrig, dass darin nur gebücktes Gehen oder Kriechen möglich ist, gelangt das Personal ins Sterbe- und später Wohn-Zimmer des Hofes; ein Rattenloch irgendwo in der Unter- oder Zwischen-Welt. Einziger Nachteil dieser an sich ziemlich fabelhaften Bühne: Altmann hatte ähnlich "gebücktes Leben” ehedem abendfüllend im Deutschen Theater beschworen, für Thalheimers Hauptmann- und "Ratten”-Inszenierung ... das ist nicht soooo lange her! Ob es wirklich klug ist, derart ähnliche Bühnen-Ideen ausgerechnet in derselben Stadt zu wiederholen?

    Die fundamentale Bosheit in Tolstois Ratten-Welt sucht und findet Thalheimer in ziemlich eindrucksvoll forcierter Emotion, es wird viel geschrien, gezetert und geschimpft; jeder und jede gegen jeden und jede.


    Diese Stimmung aufgeheiztester Gefühlsexzesse funktioniert in der Tat ziemlich lange ziemlich gut; wenn der Methodiker Thalheimer auch in dieser Spielhaltung wiederum relativ wenig Variationen zulässt - so ist das halt bei ihm. Durch die Festlegung auf einen Grund-Ton aber schleichen sich alsbald Ermüdungserscheinungen ein, wie engagiert sich das überwiegend sehr junge Ensemble auch in diese altrussische Geisterbeschwörung stürzen mag. Alle tragen zu Beginn ihrer jeweiligen Szenen grell und grotesk bemalte Stoff-Vorhänge wie Schleier vor dem Gesicht, so wachsen die Kostüme von Katrin Lea Tag ins Monströse; und Bert Wrede Musik mischt massiv atmosphärisches Akkordeon mit wuchtig pulsierenden E-Gitarren - die Abstraktion einer Monstre-Tragödie ist und bleibt also abendfüllend allgegenwärtig.

    Was aber durchaus die richtige Entscheidung gegenüber Stück und Text gewesen sein mag, verschärft auch nach 90 Minuten die Frage nach dem "Warum” - "Die Macht der Finsternis” jedenfalls wird sich trotz allem konservativen Furor wohl nicht wirklich festsetzen können in den Spielplänen deutscher Bühnen.