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Film der Woche: "The Irishman"
Die Mafia-Welt als düsteres Epos

Der Mafia-Killer Frank Sheeran steht im Mittelpunkt von Martin Scorseses neuem dreieinhalb Stunden langem Epos "The Irishman". Darin wirkt die Welt der Gangster nicht mehr glamourös oder anziehend. Es geht um die dunkle Seite des Menschen, um Verrat, Reue und Trauer.

Von Hartwig Tegeler | 12.11.2019
Szene aus dem Film "The Irishman" mit Al Pacino als Jimmy Hoffa und Robert De Niro.
Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa (Al Pacino) lässt sich von dem Auftragskiller "The Irishman" beschützen (picture alliance / Netflix)
Ein alter, weißhaariger Mann im Rollstuhl im Altersheim, der seine Geschichte als Auftragskiller der Mafia zu erzählen beginnt: das Anfangsbild. Das Schlussbild: der alte, weißhaarige Mann im Rollstuhl, der den Pater, mit dem er gebetet hat, bittet, die Tür ein wenig aufzulassen. Wie ein kleines Kind, das Angst vor den Monstern der Nacht hat. Ein jammervolles Bild. Dann fährt die Kamera weg und lässt Frank Sheeran allein zurück in der Hölle der Einsamkeit und Vergeblichkeit. Abspann.
Jahrzehnte in der Mafia. Martin Scorsese erzählt die Geschichte vom Mafia-Auftragskiller Frank Sheeran als eine mörderische von der Gier nach der Macht. Übrigens mit einer Art digitaler Verjüngung der Hauptdarsteller Robert De Niro, Joe Pesci und Al Pacino; eine Technik, die nicht perfekt wirkt, aber vollkommen nebensächlich wird angesichts der Wucht des Films.
Skrupelloser Auftragsmörder
Sheeran begeht in den 1950ern kleine Diebstähle, wird gefasst und von einem Mafia-Anwalt rausgehauen; der stellt auch die Verbindung zu Russell Bufalino, dem Chef des organisierten Verbrechens in Pennsylvania, her. Sheeran ist nun der Mann - um im Jargon zu reden -, der "Häuser streicht". Symbol für Mord, wenn das Blut der Opfer an die Wand spritzt. Bufalino seinerseits bringt nun Frank mit dem Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa zusammen, der mit der Mafia verbandelt ist.
"Hallo, mein Freund, wie geht es dir?", fragt Bufalino Hoffa. "Ich reich' den Hörer mal weiter an den Jungen von dem ich dir erzählte." "Schön, dich kennenzulernen", meint Jimmy Hoffa zu Frank, "ich habe gehört, du streichst Häuser".
Auftragsmorde - ja, bestätigt Frank am Telefon; und er betreibe auch seine eigene Zimmerei. Soll heißen: Er entsorgt auch die Leichen. Jimmy Hoffa, dessen Leibwächter und Freund er wird, den bringt Frank später im Auftrag der Mafia um. Daran erinnert er sich als alter Mann im Rollstuhl; erinnert auch die Rolle, die die Mafia beim Aufstieg und der Ermordung von John F. Kennedy gespielt hat. So wird "The Irishman" auch zur Parabel auch über den historischen Prozess, in dem das organisierte Verbrechen Einfluss auf die Politik in den USA genommen hat. Im Zentrum: Frank Sheeran, den Robert De Niro spielt.
Keine Faszination für die Mafia-Welt
"Es war der Charakter, der mich anzog", sagt Martin Scorsese. "Sein Hintergrund ist die Geschichte. Hat Frank Sheeran alles getan, was er behauptet? Viele Leute würden das bestreiten. Aber in dieser Figur spiegelt sich die Welt des organisierten Verbrechens, und in ihr wiederum zeigt sich US-amerikanische Geschichte", meint Scorsese.
"The Irishman" ist aber auch ein Kontrapunkt zu den großen Scorsese-Gangsterepen der vergangenen Jahrzehnte - "Casino", "Good Fellas" oder "Departed". Da verlieh der Filmemacher den Mafiosi immer auch etwas Faszinierendes. Ein Beispiel: In der Eingangsszene von "Departed" von 2006 treibt Jack Nicholson als irischer Gangster in einem Imbiss Schutzgeld ein, demütigt den Besitzer, belästigt dessen junge Tochter und wird vom jungen Colin auf dem Barhocker - später Bandenmitglied - aufgrund seiner brutalen Aura von Macht und Gewalt hemmungslos bewundert. Genauso der junge Henry in "Good Fellas", der immer Gangster sein wollte:
"Da war mein Platz, das wusste ich. Für mich bedeutete es, jemand zu sein in einer Gegend voller Niemande."
Eindrucksvolles düsteres Epos
Von der moralischen Ambivalenz gegenüber den Gangstern, die bei Scorsese immer mitschwang, ist in "The Irishman" nichts mehr zu spüren. Einmal läuft Frank Sheeran mit seiner Tochter wutschnaubend zum Gemüsehändler, der Peggy unangemessen behandelt hat. Er prügelt den Mann aus seinem Laden, tritt ihn auf der Straße zusammen. Doch Peggy zeigt keine Bewunderung für die Macht ihres Vaters, seine Gewalttätigkeit. Im Gegenteil: Sie ist angewidert und wird sich als Erwachsene ganz von ihm abwenden.
Wenn es in "The Irishman" eine Figur gibt, die als moralischer Kontrapunkt stehen kann, dann ist es diese Frauenfigur. Sie komplettiert das düstere Bild dieser - Doris Dörrie hat das Personal der Scorsese-Gangsterepen einmal treffend so bezeichnet -, das düstere Bild dieser "hochtoxischen Männer", die töten, zerstören, lügen, verraten, um am Ende, zerstört, vernichtet, vollkommen entleert im Altersheim im Rollstuhl sitzen und – wie kleine Kinder - den Pater zu bitten, die Tür doch einen kleinen Spalt aufzulassen.
In "The Irishman" reflektiert Martin Scorsese so auch selbstkritisch das eigene Werk und hat ein eindrucksvolles düsteres Epos über das Böse geschaffen.