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Die neue Metropole

Paris schottet sich ab von seinen Vorstädten. Im Zentrum leben nur rund zweieinhalb Millionen Menschen, umgeben von einem Autobahnring. In den zum Teil sehr trostlosen Vorstädten hingegen leben über zehn Millionen Menschen. In der Ausstellung "Grand Paris" werden Ideen präsentiert, wie sich diese Spaltung überwinden ließe.

Von Björn Stüben |
    Es gibt solche und solche Staatspräsidenten. Die einen meinen es sich in Zeiten prall gefüllter Kassen leisten zu können, pharaonische Bauwerke in ihrer Hauptstadt errichten zu lassen, die anderen profilieren sich lieber als aufgeklärte Visionäre, die sich mit namhaften Baumeistern und Stadtplanern umgeben, und diese in Zeiten leeren Staatskassen bitten, Architekturutopien für die Hauptstadt zu produzieren, die nur auf dem Papier greifbar werden.

    Francois Mitterand baute und Nicolas Sarkozy denkt in großen Dimensionen. Zehninternationale Architektenteams, unter ihnen auch Sir Richard Rogers und Jean Nouvel, haben sich in seinem Auftrag Gedanken zu "Grand Paris", zum "Großraum Paris" gemacht und führen jetzt in einer Ausstellung in der Cité de l'architecture die Ergebnisse vor. Finn Geipel, Architekturprofessor an der Technischen Universität in Berlin, der selber mehrere Jahre in der französischen Hauptstadt gelebt hat, charakterisiert die Metropole Paris aus der Sicht des Urbanisten:

    "Paris ist, glaube ich, insofern wirklich einzigartig, dass es einen extrem kompakten, eigentlich sehr kleinen Kern gibt, hundert Quadratkilometer, der strahlt, kulturell strahlt, ökonomisch strahlt, sozial und politisch. Da herum diese Peripherie und diese Peripherie macht praktisch 95 Prozent der Fläche aus. Da wohnen 80 Prozent, die eben in diesem Großraum wohnen, die wohnen also nicht in Paris, sondern die wohnen in der Banlieue. Wie kann eigentlich das transformiert werden, dieses strahlende Paris mit seiner Banlieue in eine Metropole mit 10 bis 12, vielleicht 13 oder 14 Millionen Personen am Horizont von 2040."

    Das etwa zweieinhalb Millionen Einwohner zählende Paris schottet sich mit seinem Autobahnring von den ausufernden, nicht selten herunter gekommenen "banlieues", den Vorstädten ab. Und mit dem chronisch überlasteten Nahverkehrsnetz haben vor allem die knapp neun Millionen Vorstädter tagtäglich zu kämpfen. Die eingeladenen Architektenteams bieten Lösungen. Wird irgendwann eine elegante Magnetschwebebahn hoch über dem Pariser Autobahnring ihre Runden ziehen? Könnte eine 140 Kilometer lange, vollautomatisierte Untergrundbahn den Großraum Paris besser erschließen? Gehört die Monotonie der Wohnblöcke in den Vorstädten bald der Vergangenheit an, weil es möglich wird, ganz individuelle Balkon- und Terrassenmodule nach Belieben den Fassaden anzufügen? Eine Tendenz ist allen Visionen eigen, nämlich den Großraum zu entzerren, neue Stadtzentren schaffen und die Dominanz der Kernstadt Paris brechen zu wollen. Finn Geipel über die Metropole der Zukunft:

    "Ich glaube, die Metropole der Zukunft muss auch in ihrer banlieue, ihre Peripherie neue Modelle von Dichte entwickeln. Neu warum? Einfach deshalb, weil es nicht darum geht, tabula rasa zu machen. Es geht auch nicht darum, schöne neue Ökosiedlungen zu machen wie das überall gemacht wird, sondern es muss verdichtet werden im Bestehenden. Ich glaube die Metropole der Zukunft entwickelt sich auf der Metropole von heute. D.h. sie sollte sich eigentlich nicht mehr weiter ausdehnen, im Gegenteil. Auf diesem Bestehenden verdichtet sie sich an bestimmten Polen."

    Hochhäuser dominieren einige Entwürfe. Doch sie sind nicht abweisend, sondern begrünt, asymmetrisch oder von Windrädern bekrönt. Sie stehen an und sogar im Wasser.
    Natur drängt in den Stadtraum und klimaschutzgerechte Elektrofahrzeuge und Fahrräder bestimmen das Bild der Innenstädte. Das Team von Finn Geipel widmet sich einem Element, an dem der Pariser Großraum reich ist, dem Wasser:

    "Es gibt innerhalb der Metropole neue Parks, das sind im Prinzip neue, wirklich ganz starke natürliche Räume, die schon existieren, die momentan nur einfach zerfasert sind und irgendwo auch wieder zwischen Infrastrukturen liegen. Und was das alles eigentlich verbindet, das war eine sehr intensive Beschäftigung mit den ganzen Flüssen in und um Paris. Es gibt 1400 km von Fluss- und Bachläufen, die zum großen Teil aber gar nicht mehr im Bewusstsein sind, aufgrund dessen, dass es ein Gesetz gibt seit einigen Jahren, was es nicht mehr erlaubt, am Ufer zu entwickeln, am Ufer zu bauen. Genau daran haben wir gearbeitet, dass es natürlich Typologien gibt, mit denen wir da bauen können, mit denen wir da auch phantastische Räume kreieren könnten und sie endlich wieder zurückholen, und sie fast wie ein Rückgrat nehmen für die Transformation der Metropole."

    Bei seiner Eröffnungsrede lässt Nicolas Sarkozy keine Zweifel aufkommen. Ihm ist es ernst mit "Grand Paris": das titanische Untergrundbahnprojekt werde in Angriff genommen, 70.000 neue Wohnungen geschaffen, eine TGV-Linie nach Le Havre gebaut. Groß-Paris brauche schließlich auch einen Hafen. Ökologie schreibe man fortan groß. Eine Millionen Bäume sollten bald um den die Umwelt belastenden Großflughafen Roissy herum gepflanzt werden. Kosten und politische Kompetenzstreitigkeiten standen jedoch nicht auf der Tagesordnung.