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Die neue Stimme der Verbraucher

Verbraucherzentrale Bundesverband - kurz vzbv - das ist, wie die Organisation in ihrer Eigendarstellung schreibt, die Stimme der Verbraucher gegenüber der Politik, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit. An der Spitze dieses Verbandes gibt es nun einen Wechsel. Der bisherige Vorstand Edda Müller geht. Es folgt Gerd Billen.

Von Dieter Nürnberger | 31.07.2007
    Als Edda Müller, die über sechs Jahre den Verbraucherzentrale Bundesverband führte, in der vergangenen Woche verabschiedet wurde, gab sie ihrem Nachfolger folgenden Ratschlag mit auf den Weg: Der neue Vorstand dürfe keine Angst haben, sich auch hin und wieder unbeliebt zu machen. Gerd Billen tritt offiziell morgen sein neues Amt an - und der Ratschlag trifft bei ihm durchaus ins Schwarze:

    "Ich glaube, ich kann sehr unbequem sein. Da, wo ich das für erforderlich halte. Ich habe mich in meiner verbraucherpolitischen Arbeit in der Vergangenheit mit den Bauern angelegt, auch mit einzelnen Unternehmen angelegt. Aber ich sage auch, da, wo ich Dialog für zielführender halte, werde ich auf Dialog und Kooperation setzen. Am Ende muss es die Mischung machen."

    Gerd Billen wurde 1955 geboren. Erste Erfahrungen mit einer Art von Verbraucherpolitik, so merkt er nicht ganz so bierernst an, habe er im Kolonialwarenladen der Mutter gesammelt. Er studierte Sozial-, Ernährungs- und Haushaltswissenschaften in Bonn. Er arbeitete als Journalist und Pressesprecher, er gründete 1985 die Verbraucher-Initiative, er war 12 Jahre lang Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes Deutschland, kurz NABU. Einer, der also durchaus in der politischen Interessenarbeit zu Hause ist. In seinem neuen Job will er vor allem die Stimme der Verbraucher stärken, durch Zusammenarbeit mit der Politik, mit anderen Verbänden und auch mit Unternehmen:

    "Es ist nicht gut, seinen eigenen Frust oder Ärger mit beispielsweise Handyherstellern einfach in sich rein zu schlucken. Ich würde gerne Angebote für Verbraucher und Verbraucherinnen schaffen, so dass aus eigenem Frust, auch politisches Handeln möglich wird."

    Mit Vorgängerin Edda Müller hat Gerd Billen einiges gemeinsam. Beide waren Umweltpolitiker, parallel oder bevor sie sich auch für die Interessen der Verbraucher einsetzten. Und diese Verbindung wird heutzutage immer wichtiger. Nachhaltiger Konsum, gerade im Zeichen des Klimawandels, wird eines der Schlagwörter der künftigen Arbeit von Verbraucherschützern sein. Das reicht von Informationen über sparsames Heizen bis hin zu Aspekten der Abfall- oder Verkehrspolitik. Die Rolle des Verbrauchers werde dadurch wachsen - ein Global Player in einem umfassenden Wirtschaftsraum, der längst nicht mehr an den Grenzen halt macht:

    "Wir können weltweit reisen, wir kaufen weltweit Produkte ein, wir sind großer Nutznießer günstiger Angebote. Auf der anderen Seite gibt es gleichzeitig eine zunehmende Individualisierung. Man muss sich heutzutage um die eigene Altersvorsorge kümmern, ich muss auch überlegen, welche Krankenkasse für mich und meine Kinder die Richtige ist. Ein bisschen ist dies der Fluch der Verantwortung, auch der Fluch der Freiheit, der uns einholt. Wir alle müssen mehr und können auch mehr in freier Verantwortung entscheiden. Das heißt aber, dass für Verbraucherpolitik ein neues, großes Aufgabenfeld entsteht. Da sehe ich auch große Chancen."

    Als Billen 2005 den Posten als Geschäftsführer des Naturschutzbundes aufgab, wechselte er zu einem großen Unternehmen. Er kümmerte sich beim Handelsriesen "Otto" um Umwelt- und Gesellschaftspolitik. Er schaute sich Produktionsabläufe genauer an, die heute in der globalisierten Welt immer wichtiger werden. Arbeitsbedingungen vor Ort, oft in der so genannten Dritten Welt - diese Kenntnisse, so Billen, könne er auch im neuen Job bestens gebrauchen:

    "Wie tickt ein Unternehmen? Was bedeutet es, wenn ein Unternehmen ganz natürlich Gewinne erwirtschaften muss? Wie wird gearbeitet, wie werden die Personen gesteuert, welche Ziele werden vorgegeben? Ich habe bei "Otto" auch gelernt, wo die Handlungschancen in einem Unternehmen sind. Wo gibt es auch Grenzen, wo gibt es Schwierigkeiten?"

    Die Verbraucherpolitik habe in den vergangenen Jahren erheblich an Einfluss gewonnen, sagt er. Klar sei aber auch, dass die Interessen der Industrie und des Handels deutlich stärker und politisch auch einflussreicher vertreten werden. Doch wachsen auch die Aufgaben der Verbraucherschützer. In den kommenden Wochen schon will Gerd Billen das Interesse auf den Strommarkt lenken:

    "Wir werden uns intensiv mit dem Thema Strompreise beschäftigen. Was können Verbraucher tun, um im Alltag Strom zu sparen? Wo gibt es preiswerte Stromanbieter? Natürlich spielt auch eine Rolle, wie klimaverträglich der Strom einzelner Anbieter ist. Hier wird ein erstes aktives Handlungsfeld von mir liegen."

    Da kommt also einiges auf den neuen Mann an der Spitze der Verbraucherverbände in Deutschland zu. Auch organisatorisch, denn vor allem in einzelnen Bundesländern liegt vieles im Argen. Bundesweit werden derzeit pro Jahr rund zehn lokale Beratungsstellen geschlossen. Obwohl der Bedarf an Information bekanntlich eher steigt.