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Die neue und definitiv letzte Choreographie von Amanda Miller für Freiburg

Die amerikanische Tänzerin Amanda Miller hatte für das Freiburger Theater die Zukunft erfunden. Ihre Gruppe Pretty Ugly Dancecompany, ein autarker Zusammenschluss von Tänzern, Musikern, Bühnen- und Kostümbildnern, kam ohne eigene Bühne und ohne Subventionen aus und war international erfolgreich - durch ein System von Kooperationen das seit 1997 mit dem Stadttheater Freiburg feste Form annahm: es gab für die Kompanie einen eigenen Etat, Freiheit für eigene Tourneeplanung, dafür garantierten die Tänzer den Freiburgern vierzig Vorstellungen pro Saison.

Von Christian Gampert |
    Es war ein Abschied. Die Choreographin Amanda Miller heulte ein bisschen, vor Glück über ihre Premiere oder auch vor Traurigkeit - denn in Freiburg geht eine Ära zu Ende. Die "Pretty Ugly Dance Company", seit 7 Jahren die Ballett-Abteilung des Freiburger Thea-ters, wird weggespart und löst sich auf; in Zukunft wird ein dubioses Kooperations-Modell von Freiburg und Heidelberg das Tanztheater übernehmen.

    Die Freiburger Intendantin Amélie Niermeyer hat ihr Tanztheater nicht gerade fanatisch gegen die Sparwut der Stadt verteidigt – ganz schön hässlich. Amanda Miller aber schlug nicht zurück, sondern ver-abschiedete sich ganz entspannt: mit einer Aufführung, die noch ein-mal die Basics, die Möglichkeiten des Körperausdrucks erkundete, das Wesentliche. Fernöstliche Weisheit gegen Sparmaßnahmen: Bezugs-punkte dieses Abends waren das japanische Nô-Spiel und Kleists Auf-satz über das Marionetten-Theater. Es geht also einerseits um das Sichtbarmachen von Emotionen im fernöstlichen Ritual, um gestische Sparsamkeit und den psychischen Abgrund, der in jedem von uns lau-ert; andererseits ist man mit Kleist auf der Suche nach der Anmut, die entweder in der absoluten Unbewusstheit, im Unbewussten zu finden ist oder aber im unendlichen, im idealistisch genannt: göttlichen Be-wusstsein.

    Zwischen Gliedermann und höchstem Wesen, also zwischen Ver-puppung und Schweben bewegt sich Amanda Millers Choreographie. Sie versetzt ihre gaze-beschirmten, ganz in Schwarz oder Weiß ge-wandeten Tänzer in dunkle, schattige japanische Gärten, Bühnenan-weisungen und Reflexionen zum Tanz werden im Gestus von Laurie Anderson eingesprochen, und die Atmosphäre kommt aus den langge-zogenen, sirrenden Tönen der Musik von Fred Frith.

    Der Engländer Frith, der in der New Yorker Avantgarde-Szene mit John Zorn und Bob Ostertag gearbeitet hat, ist ein Klangexperimenta-tor erster Güte und einer der wenigen, der es vom Rock zur ernsten Musik geschafft hat. Und der das meditative Element asiatischer Mu-sik schätzt.

    Früher war ich sehr oft im Fernen Osten. In den 80iger Jahren habe ich mehrere Monate pro Jahr in Japan verbracht, und ich habe durch-aus eine intime Kenntnis der japanischen Kultur – natürlich aus der Perspektive eines Menschen aus dem westlichen Kulturkreis. Ich habe Nô-Spiele und so was gesehen, und es war für mich ganz schön, die-ses Thema wieder aufzugreifen.

    Die Zusammenarbeit mit Pretty Ugly ist gleichwohl schwierig: Frith lebt in den USA, und der Kontakt zu der Tanzgruppe läuft per e-mail oder Telefon.

    Wenn ich mit Amanda arbeite, sprechen wir nie über die Einzelhei-ten der Arbeit. Das ist gerade das Schöne daran: wir sprechen über die Philosophie des Stücks. Die meisten Choreographen, mit denen ich arbeite, kommen zu mir mit einem Einkaufszettel. Sie wollen ein Stück, so und so lang, es soll so und so klingen, da muss es rhyth-misch sein undsoweiter. Für einen Komponisten ist das eher langwei-lig; da kann man gleich Musik für Werbe-Spots machen. Mit Amanda dagegen diskutiere ich alles mögliche, und wenn ich ins Studio gehe, bin ich ausgerüstet mit diesen Gesprächen, mit e-mails und Notizbü-chern, mit Lektüre, und das alles geht dann in die Musik ein.

    Die Pretty Ugly Company zeigte noch einmal ihr ungeheures Poten-tial: vom Modern Dance in den Spitzentanz und von da zurück in tanztheatralische Verkrüppelungen. Sich verpuppen, um die Verpup-pung aufzubrechen. Die Glieder ausprobieren. Die Bewegung abstra-hieren, zerlegen. Aus der Mitte tanzen oder die Mitte rotieren lassen. Die Bewegung einfrieren.

    Das alles ist ganz ruhig, fast esoterisch. Kleists tapsiger Bär läuft ü-ber die Bühne. Kirschbaumblüten rieseln. Wir sehen Francis Bacons Schrei und einen Karneval seltsamer Tiere. Der Körper wird zum Flü-gel, zum Fühler, zum Insekt, dann zur Blume. Weiße Bräute umtanzen schwarze Trauernde. Ein Blinder wird über die Bühne geführt – denn Tanzen heißt: die Körperblindheit überwinden. Und im Hintergrund steht , vor dem Baum der Erkenntnis, das Skelett, das Gerippe, der Sensenmann, dem man tänzerisch ein Schnippchen schlagen will.
    Jetzt wird diese tolle Gruppe in Freiburg gemeuchelt, um den Preis eines kleinen Spareffekts. Es war ein Abschied, und der Beifall wollte kein Ende nehmen.