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Die "neuen Kriege"

Vor ein paar Jahren brachte der Politologe Herfried Münkler ein Buch über die zahlreichen Kriege nach dem Ende des Ost-West-Konflikts heraus unter dem Titel "Die neuen Kriege". Und angestoßen davon haben sich einige Politologen mit diesen jüngeren kriegerischen Auseinandersetzungen beschäftigt. Einer von ihnen ist der Politologe Peter I. Trummer von der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Würtemberg.

    Doris Schäfer-Noske: Warum handelt es sich im Libanon um einen dieser neuen Kriege? Was ist daran neu?

    Peter I. Trummer: Was ein neues Element ist, sind die so genannten asymmetrischen Elemente. Das heißt also, dass ein starker Protagonist gegen einen schwachen Protagonisten antritt - also hier eindeutig Israel mit der militärischen Macht gegen die Hisbollah. Gleichzeitig ist es auch eine Auseinandersetzung zwischen unterschiedlich strukturierten Streitkräften. Die Hisbollah wird ja häufig auch gar nicht mal als Streitkraft akzeptiert, sondern eben als rein terroristische Organisation gesehen.

    Wirklich neu, denke ich, ist allerdings an der Situation im Libanon und auch an solchen so genannten neuen Kriegen vor allem auch die mediale Bearbeitung des Themas. Das heißt also, dass die traditionellen Medien, vor allem auch das Radio, Fernsehen, Zeitung, inzwischen eine Rolle spielen, die von vielen, vor allem auch Jugendlichen, vor allem auch von Jugendlichen auch in Deutschland mit muslimischen Hintergrund, als etablierte Medien betrachtet werden, die ein verzerrtes Bild des Konfliktes darstellen. Und das führt dazu, dass eben ein neues Element in Form von Weblogs, also Tagebüchern, sogar Videoeinspielungen, Fotografien im Internet eine ganz große Rolle spielen bei der Einschätzung des Konfliktes.

    Schäfer-Noske: Mit dem ersten Irak-Krieg hat sich ja die Rolle der Medien auch komplett verändert. Damals lieferte die CNN die Kriegsbilder ins Wohnzimmer. Im zweiten Irak-Krieg gab es dann die "embedded journalists". Und nun beim Libanon ist das so, dass die BBC ja ganz lange Zeit von "crisis" gesprochen hat, überhaupt nicht von "war". Ist das auch ein Zeichen für die Macht der Medien in diesem Konflikt?

    Trummer: Das geht natürlich in den Kern der Frage: Gibt es neue Kriege? Denn tatsächlich ist der Kriegsbegriff, wenn man die völkerrechtliche Definition betrachtet, gar nicht mehr gegeben. Es fehlt eine offizielle Kriegserklärung; es fehlen zwei, auf Gegenseitigkeit sich anerkennende Kriegsgegner, in der Regel sind es ja dann Staaten, und hier geht es eigentlich eindeutig um einen nichtstaatlichen Akteur und eben in Form von Israel um einen staatlichen Akteur. Und insofern muss man korrekterweise tatsächlich von "bewaffnetem Konflikt" oder "bewaffneter Auseinandersetzung" sprechen.

    Schäfer-Noske: Aber was Sie vorher ansprachen, ist die Rolle des Internets und die Rolle der vielen Wahrheiten, die dadurch entstehen, dass es eben so unterschiedliche Medien und unterschiedliche Nutzer gibt. Gibt es da noch eine Geschichtsschreibung überhaupt?

    Trummer: Ja das ist das große Problem. Dass auch das Interesse der Öffentlichkeit sich eigentlich auf den Konflikt selbst begrenzt, auf die Dauer des Konfliktes. Und auch da ist schon feststellbar: Wenn ein Konflikt zu lange dauert, dann ist auch in der Regel während des Konfliktes schon kein großes öffentliches Interesse mehr vorhanden. Ein gutes Beispiel dafür ist auch der derzeitige Konflikt/Krieg im Irak. Ich glaube, dass die Mehrzahl der Zuhörerinnen und Zuschauer auch inzwischen einen neuen Anschlag nur noch am Rande überhaupt wahrnehmen, und man vielleicht, wenn es um eine sehr hohe Opferzahl geht, sich überhaupt noch für dieses Ereignis interessiert.

    Schäfer-Noske: Der israelische Premier Olmert will eine deutsche Schutztruppe im Libanon. Inwieweit ist das auch eine Neuerung, diese hohen Erwartungen an internationales Engagement?

    Trummer: Das ist eindeutig ein neues Element. Vor allem auch, dass Konfliktparteien gerade in Situationen, wo sie von der Lageeinschätzung sagen, es ist eigentlich kein eindeutiger Sieg zu erzielen, sich gern auf internationale Beteiligung zurückziehen. Die Frage ist hier ganz eindeutig, wie das Mandat letztlich ausgestaltet werden muss, um tatsächlich Erfolgsaussichten zu haben.

    Schäfer-Noske: Welche Folgen haben denn die neuen Kriege für die Zivilbevölkerung?

    Trummer: Für die Zivilbevölkerung ist fast schon ein neues Niveau von Rechtlosigkeit eingetreten. Die Zivilbevölkerung ist in solchen asymmetrischen Konflikten, in denen eine der Parteien ja auch sich immer wieder in zivile Räume zurückzieht, zum Teil eben auch, wie die Hisbollah es macht, reine Zivilgebäude als Abschussbasen benutzt, um sich dann danach wieder von dort zurückzuziehen, sind die Zivilbevölkerungen ja letztlich indirekt auch zu Kombattanten geworden, ohne diesen Status zu haben, ohne einen entsprechenden Schutzstatus zu haben. Und hier sind es, was im Libanon ganz deutlich wird, vor allem die Alten, die Schwachen, die Kinder und vor allem auch die Mittellosen, die sich letztlich ein Entkommen aus der Kriegszone finanziell nicht leisten können, die dann am meisten leiden.