08. Oktober 2023
Die Presseschau

Die Angriffe militanter Palästinenser auf Israel stehen im Mittelpunkt der Kommentare vieler Zeitungen.

Blick über Gaza-Stadt. Im Hintergrund erkennt man eine Rakete kurz nach dem Start.
Kommentiert werden die Angriffe militanter Palästinenser auf Ziele in Israel. (AFP / MAHMUD HAMS)
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz erläutert: "Die Hamas und der Islamische Jihad haben nicht nur Tausende Raketen nach Israel geschossen, palästinensische Kämpfer haben auch israelische Grenzorte und Zivilisten überfallen, brutal niedergestreckt. Der Grossangriff hat das Land und die Welt entsetzt und daran erinnert, dass der Nahostkonflikt noch immer ungelöst ist. Nun sprechen wieder Waffen und Gewalt, und es besteht die Gefahr, dass sich der Konflikt ausweitet und die libanesische Hizbullahmiliz hineingezogen wird.Dabei hatten Beobachter in den letzten Monaten gehofft, im Nahen Osten könnte vielleicht die Diplomatie den künftigen Gang der Dinge bestimmen. Washington setzte sich stark für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudiarabien ein; davon hätten auch die Palästinenser profitieren sollen. Die Hamas wollte das wohl verhindern, mit tatkräftiger Hilfe Irans. Wie es gelang, diesen Angriff am israelischen Nachrichtendienst vorbei zu planen und umzusetzen, ist noch unklar. Klar ist, das ist eine Zäsur", notiert die NZZ.
Die spanische Zeitung EL PERIODICO DE CATALUNYA aus Barcelona beobachtet: "Der Konflikt wird von dem Iran befeuert, der auch die Hisbollah im Libanon unterstützt. Auch kämpft die Hamas selbst um ihr Überleben wegen der Auseinandersetzung mit dem noch radikaleren Islamischen Dschihad. Insofern hängt jetzt allerdings erst recht viel davon ab, wie sich die israelische Regierung verhält – denn schließlich hat sie den Eindruck vermittelt, eine Zwei-Staaten-Lösung aufgegeben zu haben, was nun den Konflikt mit den Palästinensern zusätzlich befeuert", schreibt EL PERIODICO DE CATALUNYA.
Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT aus Baku hebt hervor, die Hamas habe das Mandat erhalten, im Namen der palästinensischen Araber zu handeln. Daher handele es sich "bei dem neuen Konflikt nicht um einen Israel-Hamas-Krieg, sondern um einen palästinensisch-arabischen Konflikt. Der Hauptgrund für das Wiederaufflammen des Konflikts ist die Weigerung Israels, den Friedensprozess im Rahmen der Zusammenarbeit mit radikalen Terrorgruppen fortzusetzen. Israel wird sich nicht beruhigen, bis es sich gerächt hat. Die Anführer der Terrororganisation Hamas haben einen weiteren Fehler begangen. Denn nach jeder derartigen Spannung erleiden die Palästinenser große Verluste, verlieren Territorium und viele Menschen. Mit solchen Angriffen wird die Hamas den Staat Israel nicht besiegen können", ist sich MÜSAVAT sicher.
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE versucht, die Frage zu klären, warum die Attacke gerade jetzt um den 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Kriegs erfolgt: "Erstens glaubten die Angreifer vermutlich, Israel nach Monaten tief spaltender Streitigkeiten um die Justizreform in einem Moment der Schwäche umso tiefer ins Herz zu treffen. In einem Statement gab die Hisbollah-Führung aber auch Einblick in ein zweites Motiv: Die Offensive der Hamas sei ein Zeichen gegen die Normalisierung der Beziehungen mit Israel, heißt es darin. Nach Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan bahnte sich zuletzt – ziemlich unabhängig vom Los der Palästinenser – eine Friedensvereinbarung Israels mit Saudi-Arabien an, dem Land, das die Heiligen Stätten des Islam beherbergt. Die Hamas und ihre Gönner wollen mit dem Angriff auf Israel diesen Aussöhnungsprozess, der einer Revolution im Nahen Osten gleichkäme, torpedieren", vermutet DIE PRESSE aus Wien.
Der Berliner TAGESSPIEGEL unterstreicht, bedrohlich sei für Israel zudem, dass "die innenpolitische Krise das Land in bisher ungekannter Weise geschwächt hat. Sich daraus zu befreien, erhöht den Druck auf Israel noch einmal. Wer so in Bedrängnis ist wie die Regierung von Benjamin Netanjahu, wird umso härter reagieren. Wie sagt ein Militärexperte: Es werde eine israelische Reaktion geben, 'die wir noch nie gesehen haben'. Auch um das zu beeinflussen, reichen Solidaritätsbekundungen von seiten der USA, aber auch Deutschlands, nicht aus. Worte sind billig – doch nicht auf Dauer. Wer hätte gedacht, dass die Bundesregierung unter Olaf Scholz neben all den anderen großen Herausforderungen nun auch noch die bewältigen muss, zu klären, was das Wort von Israels Sicherheit als Staatsräson wert ist", notiert der TAGESSPIEGEL.
Die britische Zeitung THE OBSERVER aus London verweist darauf, Mitglieder von Netanjahus Kabinett wie "Itamar Ben-Gvir, der Minister für nationale Sicherheit, haben ihre Zeit damit verbracht, die ohnehin schon hochgradig angespannte Situation in den besetzten Gebieten noch weiter anzuheizen. Netanjahus sinnloser und selbstsüchtiger Konflikt mit großen Teilen der israelischen Gesellschaft über seine viel kritisierten Pläne, den Obersten Gerichtshof des Landes zu untergraben, während er selbst mitten in einem Gerichtsverfahren wegen Korruptionsvorwürfen steckt, hat die öffentliche Debatte überlagert", analysiert THE OBSERVER.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio stellt fest, derzeit gebe es offenbar "keine Persönlichkeiten, die wie bei den früheren Zusammenstößen eine Bremser- oder Vermittlerrolle leisten könnten. Die Regierung in Washington, die aus Verantwortung traditionell Einfluss auf Nahost ausgeübt hat, zieht sich derzeit aus der Region zurück. Präsident Biden wird nachgesagt, dass seine Beziehungen sowohl zu Netanjahu als auch zu den Anführern der arabischen Staaten getrübt sind. Man kann wohl auch nicht erwarten, dass China oder Russland für die langfristige Stabilität der Region eine konstruktive Rolle spielen. Die Präsenz der Arabischen Liga ist in den letzten Jahren drastisch gesunken. Der Schlag, den die aktuellen Angriffe den Entwicklungen für Versöhnungen zwischen Israel und arabischen Staaten wie Saudi-Arabien versetzen, scheint groß zu sein", beobachtet NIHON KEIZAI SHIMBUN.
Für die US-amerikanische Zeitung WASHINGTON POST besteht kein Zweifel: "Die israelischen Streitkräfte bleiben die stärkste militärische Kraft im Nahen Osten, und sie werden sich letztendlich durchsetzen. Aber selbst ein taktischer Sieg würde Israel vor die Frage stellen: 'Was nun?' Die meisten Israelis haben keine Lust auf eine langfristige Besetzung des Gazastreifens, die unweigerlich zu weiteren Opfern führen wird. Aber ihnen gehen die Alternativen aus. Sicher ist nur, dass der Angriff der Hamas das Leben der Palästinenser verschlimmern wird. Der Gazastreifen ist bereits einer der ärmsten Orte der Welt. Letztendlich müssen Israelis und Palästinenser erkennen, dass sie keine andere Möglichkeit haben, als Seite an Seite in Frieden zu leben", ist sich die WASHINGTON POST sicher.
Die arabische Zeitung RAI AL YOUM positioniert sich klar auf Seiten der Angreifer: "Dies ist der größte militärische und politische Schlag für die drei israelischen Institutionen – Militär, Sicherheitskräfte und Politik – seit fünfzig Jahren, seit dem Oktoberkrieg von 1973. Es ist fraglich, ob die israelische Armee - die viertstärkste der Welt, nicht bereits zusammengebrochen ist. Bereits jetzt kann man sagen, dass der palästinensische Widerstand gesiegt hat, und zwar unabhängig davon, wie sich die Lage in den nächsten Tagen entwickeln wird." Das war die Meinung von RAI AL YOUM, die in London erscheint.
Die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking befürchtet. der Konflikt werde "womöglich spürbare Auswirkungen auf den politischen Verlauf im Nahen Osten hinterlassen. Noch vor kurzem nahm man ein Signal der Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel wahr. Es liegt nahe, dass der radikale anti-israelische Flügel in Palästina hinter den grausamen Taten steckt, weil er den Entspannungstrend fürchtet. Der Welt wird einmal mehr vor Augen geführt, wie komplex die Palästina-Israel-Frage in der Tat ist. Umso mehr muss die internationale Gemeinschaft sich weiterhin damit befassen", verlangt HUANQIU SHIBAO zum Ende der Presseschau.