28. April 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Themen sind das Beschaffungswesen der Bundeswehr sowie die geplante Pflegereform und die neuen Regeln für die Einwanderung von Arbeitskräften. Doch zunächst nach Berlin, wo der CDU-Politiker Kai Wegner zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt wurde.

Kai Wegner (CDU)  im dunklen Anzug steht vor einem Mikrofon und hebt die rechte Hand. Er ist im seitlichen Profil zu sehen.
Kai Wegner (CDU), Berlins neuer Regierender Bürgermeister, leistet im Berliner Abgeordnetenhaus seinen Amtseid. (Christophe Gateau / dpa / Christophe Gateau)
Der TAGESSPIEGEL schreibt: "Wegner braucht drei Wahlgänge, um ins Amt zu kommen, und er schleppt so von Tag eins an eine schwere Hypothek des Misstrauens mit sich herum. Die SPD-Abgeordneten zeigen, wie wenig verlässlich die SPD in der Hauptstadt mittlerweile ist. Doch die Schuld allein bei Sozialdemokraten zu suchen, wäre viel zu einfach. Denn die missratene Wahl zeigt auch, dass die Hauptstadt-CDU zu alter Tradition zurückgefunden hat. In der knappen Wahl Wegners kommt viel Enttäuschung, Wut und Ärger aus den eigenen Reihen zum Ausdruck. Das kann für Wegner noch gefährlicher werden in Zukunft als die wankelmütige SPD", glaubt der Berliner TAGESSPIEGEL.
Die BERLINER MORGENPOST attestiert der schwarz-roten Koalition einen Fehlstart: "Die Republik fasst sich wieder einmal an den Kopf, was da in ihrer Hauptstadt los ist. Erst kann Berlin keine Wahlen organisieren. Und dann vermasseln Berlins Politiker im Parlament auch noch die Kür eines klaren Wahlsiegers zum Regierenden Bürgermeister. Das ohnehin aus historischen Gründen erhebliche Misstrauen zwischen CDU und SPD ist nach dem Wahldrama jedenfalls noch einmal gewachsen."
Für die STUTTGARTER ZEITUNG offenbaren die Wahlgänge dreierlei: "Erstens wie spinnefeind sich die neuen Bündnispartner von CDU und SPD sind; zweitens wie sehr sich die Autorität der SPD-Chefin Franziska Giffey verflüchtigt hat und drittens wie den frustrierten Genossen der letzte Rest von Staatsverantwortung abhandengekommen ist. Sie haben sogar riskiert, dass ihre Regierung nun mit dem Odium leben muss, von der AfD gestützt zu werden. Die politischen Verhältnisse in der Hauptstadt sind in einem noch miserableren Zustand als die öffentliche Verwaltung und Teile der Infrastruktur. Unter den vom Wahlvolk gedemütigten Sozialdemokraten gibt es offenbar einige, die weder das Votum der eigenen Basis respektieren wollen noch das der Bürgerschaft. Die Premiere der neuen Hauptstadtregierung missrät zum Schmierenstück. Beschädigt sind nun schon vor dem Start beide Koalitionäre", kommentiert die STUTTGARTER ZEITUNG.
Die Zeitung DIE WELT nennt die Vorgänge in Berlin eine Blamage, lobt aber zugleich Wegner für seine Personalpolitik: "Überraschend mutig hat der CDU-Realo Wegner ein buntes, unorthodoxes Team aufgebaut. In der Partei der Ultraspießer murren ein paar Konservative über die Neuzugänge, die ohne Ochsentour in die Regierung gewechselt sind. Doch das war nötig, weil Berlin ein Sanierungsfall geworden ist. Die Digitalisierung der Verwaltungen muss sprunginnovativ vorangetrieben werden, die Wirtschaftspolitik muss ihren Ehrgeiz radikalisieren. Der Koalitionsvertrag schimmert blass rotgrün. Jetzt muss Wegner beweisen, dass er mehr ist als ein Fortschreiber tiefprovinzieller Landespolitik", unterstreicht DIE WELT.
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER rechnet mit einer schwierigen Amtszeit: "Will Wegner seine Koalition über die Zeit retten, muss er viele Zugeständnisse in Richtung links machen. Das wird seiner CDU gar nicht gefallen."
Nun in den Bundestag. Dort hat Gesundheitsminister Lauterbach seine geplante Pflegereform gegen Kritik verteidigt. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG beobachtet: "Grüne und FDP kriegen sich in der Debatte derart in die Haare, dass man nicht glauben will, dass sie gemeinsam auf der Regierungsbank sitzen. Auch die SPD ist nicht glücklich. Der Pflegeversicherung droht die Insolvenz, auch sitzt der Koalition ein Verfassungsgerichtsbeschluss zu gerechteren Familienbeiträgen im Nacken. Deshalb muss die Novelle am 1. Juli in Kraft treten. Dann steigen die Beitragsanteile für alle Arbeitgeber und für die meisten Arbeitnehmer, vor allem für kinderlose. Wie schon in Lauterbachs Krankenkassenreform ist wieder nur eine Notlösung entstanden, damit die Pflege im Sommer nicht baden geht. Was fehlt, sind belastbare und vor allem demographiefeste Ideen: mehr Kapitaldeckung, Steueranreize für Zusatzversicherungen oder auch 'Karenzzeiten' vor Beginn des vollen Pflegeanspruchs. Es gibt gute Ideen, aber leider außerhalb der Regierung. Den Beweis, eine 'Fortschrittskoalition' zu sein, bleibt diese uninspirierte, sich selbst zerfleischende Regierung auch in der Sozialpolitik schuldig", kritisiert die F.A.Z.
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, macht folgende Rechnung auf: "Seit 2017 sind die Kosten in der Pflegeversicherung von 35 auf 66 Milliarden Euro explodiert. Erneut klafft ein Milliardenloch, steigen die Beitragssätze. Zugleich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen. Angesichts dieser Entwicklung reicht ein gesunder Hausverstand, um zu erkennen, dass das nicht mehr lange gutgehen kann. Die von Lauterbach geplante Reform ist nicht einmal im Ansatz das, was die Pflege braucht, nämlich eine einschneidende Neuaufstellung ihrer Finanzierung, ein wirklich großer Wurf. Die häusliche Pflege, die sich um vier von fünf Pflegebedürftigen kümmert, kann nicht mehr so lange warten. Sie muss sofort viel besser unterstützt werden", fordert die PASSAUER NEUE PRESSE.
Thema im Bundestag war auch der Gesetzentwurf zur Fachkräfteeinwanderung. Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus stellt klar: "Die Hürden für qualifizierte Einwanderung nach Deutschland sind hoch, für viele zu hoch. Umso wichtiger, diese Prozesse zu vereinfachen und mehr Möglichkeiten für qualifizierte Zuwanderung zu schaffen. Kritik, die Anerkennung ausländischer Abschlüsse würde nationale Standards senken, ist mehr als unangebracht. Auch in anderen Ländern können Menschen gut ausgebildet werden."
Die TAGESZEITUNG resümiert: "Das geplante neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Hürden für die Arbeitsmigration aus Drittstaaten absenkt, wird, und das weiß die Union, keineswegs dafür sorgen, dass über diese Schiene mehr Leute 'in das Sozialsystem' einwandern. Dazu sind die Voraussetzungen, auch für diesogenannte Chancenkarte mit dem Punktesystem, zu hoch, und darüber erwirbt man auch keine Sozialstaatsansprüche. Wir müssen uns in Zukunft mit Arbeitskräftemangel abfinden und werden uns in eine Gesellschaft mit viel Improvisation verwandeln, in der alte Maßstäbe von 'Qualifikation' nichts mehr nützen. Schon jetzt arbeiten in einigen Schulen zunehmend Quereinsteiger:innen; in Kitas halten auch Helfer:innen den Laden am Laufen, in der Pflege setzt man zunehmend auf Assistenzkräfte". Wir zitierten die TAZ.
Verteidigungsminister Pistorius hat angeordnet, dass Material für die Bundeswehr schneller beschafft werden soll. Darauf geht die FRANKFURTER RUNDSCHAU näher ein: "Bisher galt das Beschaffungswesen als nahezu reformunfähig. Pistorius durchschlägt den gordischen Knoten mit einer Machete. Neben einem unbezweifelbaren Nutzen seines Vorhabens gibt es freilich schon jetzt sichtbare Stolpersteine. Zunächst wird es Zeit brauchen, bis sich der Apparat gedanklich umstellt. Er ist daran gewöhnt, den Mangel zu verwalten – und Verantwortung abzugeben. Überdies bedeutet mehr Eigenverantwortung der Entscheider weniger Kontrolle", bemerkt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist ebenfalls skeptisch: "Ein Fingerzeig von ganz oben – das ist das eine. Es kommt aber genauso darauf an, dass die Beschäftigten Mut fassen. Solange die alten Vorgaben nicht abgeschafft sind, dürften Zweifel bleiben – darf ich wirklich? Ein Erlass kann vielleicht Klarheit schaffen, aber noch kein Vertrauen."
Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz resümiert: "Es muss Boris Pistorius gelingen, die Armee schlagkräftig aufzustellen. Die 100 Milliarden aus dem Sonderprogramm für die Bundeswehr müssen schnell umgesetzt werden und dabei muss punktgenau investiert werden. Den Worten müssen nun aber erst noch die Taten folgen. Im Verteidigungsministerium, man weiß es, sind schon viele Politiker gescheitert. Angesichts der Herausforderungen für die Sicherheit des Landes darf Pistorius nicht der nächste sein." Mit diesem Zitat aus der ALLGEMEINEN ZEITUNG endet die Presseschau. Redaktion: Dietmar Reiche - Sprecher /in: