31. Juli 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert wird das weiterhin schrumpfende Wirtschaftswachstum in Deutschland. Im Mittelpunkt steht aber die Wahlrechtsreform, die in Teilen vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt wurde.

Karlsruhe: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts,(l-r), Holger Wöckel, Thomas Offenloch, Christine Langenfeld, Astrid Wallrabenstein, Doris König (Vorsitzende), Ulrich Maidowski, Rhona Fetzer und Peter Frank, verkündet das Urteil über die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition.
Das Bundesverfassungsgericht verkündet das Urteil zur Wahlrechtsreform. (Uli Deck / dpa / Uli Deck)
Dazu schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG: "Das Karlsruher Verfahren zum Wahlrecht ist für beide Seiten mit Einbußen zu Ende gegangen, für die Ampelkoalition wie für die Kläger von Union und Linken. Aber wenigstens über einen Punkt sollten sich alle Beteiligten freuen: Der quälende Prozess der Aufblähung des Bundestags ist gestoppt. Der Luftballon-Effekt, der nach Modellrechnungen Abgeordnetenzahlen von 800 oder auch 900 hätte produzieren können, ist per Gesetz abgestellt – und dieser Teil des Gesetzes ist verfassungsgemäß. Dieser Teil ist der Ampelkoalition gelungen. Deutlich weniger gelungen war indes der zweite Teil der Reform, den das Bundesverfassungsgericht völlig zu Recht gekippt hat. Die Grundmandatsklausel zu streichen, war ein frivoler Versuch der Regierungskoalition, die politische Konkurrenz aus dem Rennen zu werfen", meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER ist folgender Meinung: "Im Großen und Ganzen können SPD, Grüne und FDP sehr zufrieden sein. Die Streichung der Grundmandatsklausel war ja nur eine kleine Bosheit am Rande. Eigentlich verfolgte die Reform das hehre Ziel, den Bundestag zu verkleinern. Und das ist geglückt. Die CDU kann froh sein, dass die Ampel diese Reform durchgezogen hat. Denn der eigentliche Bremser war die CSU mit ihren vielen Überhangmandaten. An der Hartleibigkeit ihrer bayerischen Schwesterpartei hatten sich bisher alle Veränderungswilligen in der CDU die Zähne ausgebissen. Umso wichtiger, dass Karlsruhe keine neuen Hürden errichtet, sondern die Reform im Kern gutgeheißen hat", unterstreicht der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Der MÜNCHNER MERKUR sieht es so: "Die kleinen Sünden bestraft das Bundesverfassungsgericht sofort: Es war ein schwerer Fehler der Ampelkoalition, ihre Wahlrechtsreform mit einem ebenso miesen wie durchsichtigen Foulspiel gegen CSU und Linkspartei zu verbinden und ohne Not die Fünf-Prozent-Hürde des Grundgesetzes zu verschärfen. Solche Tricksereien gingen immer schon schief. Zu Recht haben die Karlsruher Richter dem Versuch, die beiden unliebsamen Konkurrenzparteien aus dem Bundestag zu drängen, einen Riegel vorgeschoben. Wer um eines taktischen Vorteils willen die demokratischen Spielregeln ändert, schadet der politischen Kultur. Die Koalition muss erneut ihre Wunden lecken. Nach dem zurechtgetürkten Haushalt hat das Verfassungsgericht nun auch ihr Wahlgesetz in Teilen kassiert. Auch mit ihren Karlsruher Pleiten wird die Ampel den Bürgern noch lange in Erinnerung bleiben", vermutet der MÜNCHNER MERKUR.
"Was auf dem Spiel stand, sagten die Richter durch die Blume", ist in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu lesen: "Der Wähler müsse darauf vertrauen können, 'dass die Wahlrechtsreform keine Partei benachteiligt'. Die Sperrklausel als solche ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Aber in der bisherigen Form ist sie durch die gleichzeitige Einführung der Zweitstimmendeckung und den Wegfall der Grundmandatsklausel verfassungswidrig geworden. Es ist noch nicht gesagt, wie das Wahlgesetz als solches auszugestalten wäre, um dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen. Diese Frage führt unweigerlich zu der Überlegung, ob es nach den Erfahrungen der beiden vergangenen Legislaturperioden nicht ein Akt der Klugheit wäre, wenn sich der Bundestag nicht länger an der Aufgabe versuchte, über die Regeln seines Zustandekommens zu befinden. Wen aber sollte er an seine Stelle setzen? Das Bundesverfassungsgericht sicher nicht. Eher eine Reformkommission, doch müssten Sachverständige in der Mehrheit und aktive Abgeordnete in der Minderheit sein", rät die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg führt aus: "In der neuen Legislaturperiode ist genug Zeit für eine – hoffentlich einvernehmliche – dauerhafte Lösung. Oder es bleibt eben beim jetzt angeordneten Provisorium. Das wäre nicht das Schlechteste. Das erfüllt die wichtigsten Anforderungen, allen voran mit einer festen Sitzzahl und dem Ende der lästigen Ausgleichs- und Überhangmandate. Das ist im Kern ein Verdienst der Ampel. Als dicker Makel bleibt an ihr hängen, dass sie es mit der Streichung der Grundmandatsklausel zumindest billigend in Kauf nehmen wollte, wenn nicht gar beabsichtigte, zwei Mitbewerber ins bundespolitische Abseits zu befördern", merkt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG an.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG notiert: "Bei der kommenden Bundestagswahl droht eine geradezu knobelbecherverdächtige Situation. Die Erststimme, mit der die Menschen den Direktkandidaten ihres Wahlkreises wählen, kann dann allen Ernstes drei unterschiedliche Effekte haben: Der Gewinner des Wahlkreises zieht tatsächlich in den Bundestag ein; er zieht nicht ein, weil seine Partei bundesweit zu wenig Zweitstimmen geholt hat (Überhangmandate gibt es ja nicht mehr); oder er dürfte eigentlich nicht einziehen, weil seine Partei bundesweit zu wenig Zweitstimmen geholt hat, zieht aber trotzdem ein, weil außer ihm noch zwei oder mehr Parteifreunde ihre Wahlkreise gewonnen haben. Also sozusagen nicht mehr nur Erst- und Zweitstimme, sondern Erststimme a, b und c – und das soll noch einer verstehen?", fragt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Nun zu den neuesten Wirtschaftsdaten. Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg erläutert: "Die sogenannte Transformationspolitik der deutschen Wirtschaft unter Minister Habeck wächst sich allmählich zu einem ökonomischen wie finanziellen Desaster aus. Und die Grünen-Wahlplakate zur Bundestagswahl 2021 mit dem Slogan 'Wirtschaft und Klima ohne Krise' wirken inzwischen für viele Bürger nur noch wie Hohn. Der öffentliche Dienst in Bund und Ländern wird dagegen grundlos immer weiter aufgebläht, Bürokratie und Auflagen aus Berlin und Brüssel erreichen jedes Jahr neue Rekordwerte. Der deutsche Strompreis zählt zu den höchsten der Welt. Und mit dem Bürgergeld wurde ein riskantes Anspruchsmodell entwickelt. Ein Land, das schon jetzt rund ein Drittel seines Bruttosozialprodukts für Sozialausgaben – mit steigender Tendenz – ausgibt, kann sich aber eine Senkung der Wirtschaftsleistung im Grunde gar nicht leisten. Warum Bundeskanzler Scholz zu all dem schweigt, gehört zu den großen Fragen unserer Zeit", findet die VOLKSSTIMME.
Im HANDELSBLATT heißt es: "Die Verunsicherung im Land ist so groß, dass Haushalte und Unternehmen aus Angst vor noch schlechteren Zeiten immer noch mehr Geld zur Seite legen, anstatt es auszugeben oder zu investieren. Die Sparquote liegt mit fast 15 Prozent viel höher als noch vor einigen Jahren. Die Investitionen entwickeln sich miserabel. Was tun? An dieser Stelle ließe sich wieder lange über bessere Rahmenbedingungen fabulieren. Damit allein ist es aber nicht mehr getan. Um das Vertrauen der Konsumentinnen und Unternehmen zurückzugewinnen, braucht es nicht weniger als eine gemeinsame Erzählung. Eine Idee, die den Leuten vermittelt: Ihr braucht euch nicht vor noch schlechteren Zeiten zu fürchten, wir sorgen dafür, dass bessere kommen. Das damit verbundene Reformpaket müsste diese gemeinsame Erzählung tragen, was nur funktionieren würde, wenn es den Verantwortlichen politisch wehtut – so wie Gerhard Schröders 'Agenda 2010'", stellt das HANDELSBLATT fest.
DER TAGESSPIEGEL aus Berlin wirft ein: "Deutschlands Wirtschaft stagniert, und es gibt zahlreiche Gründe dafür. Doch es greift zu kurz, dafür allein die Folgen der Corona-Pandemie und von Russlands Krieg gegen die Ukraine verantwortlich zu machen. Wenn ausgerechnet Unionspolitiker, die ja von freier Marktwirtschaft etwas verstehen sollten, nun alle Schuld der Ampel zuschieben, ist das schlicht kleinkariert. Mehr als berechtigt aber ist die Frage, ob die sogenannte 'Wachstumsinitiative', die die Ampel beschlossen hat, wirklich genügend Impulse setzt, um Wachstum zu entfesseln. Deutschland trägt in Europa die rote Laterne", beobachtet DER TAGESSPIEGEL zum Ende der Presseschau.