12. November 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Vor allem widmen sich die Kommentatoren der anhaltenden Debatte um einen Termin für die vorgezogene Bundestagswahl. Dabei geht es auch um die Rolle der Parteien sowie von Kanzler Scholz und CDU-Chef Merz:

Bundeskanzler Olaf Scholz sitzt vor Beginn des Live-Interviews im Fernsehstudio der ARD-Sendung "Caren Miosga".
Bundeskanzler Olaf Scholz vor Beginn des Live-Interviews im Fernsehstudio der ARD-Sendung "Caren Miosga" (Carsten Koall / dpa / Carsten Koall)
Die BERLINER MORGENPOST stellt folgendes Szenario auf: "Stell dir vor, du warst auf einer einsamen Insel und kommst jetzt zurück nach Deutschland. Du schnallst sofort: Die Ampel ist geplatzt. Dann willst du wissen, was seitdem passiert ist. Die Kurzform klingt wie ein Megazoff im Sandkasten. Tag 1: Der Kanzler will mit der Union noch ein paar Gesetze durchbringen, dann am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen. Tag 2: Die Union will das Gegenteil. Erst die Vertrauensfrage, dann ein paar Gesetze. Tag 3: Olaf Scholz zeigt sich beim Termin verhandlungsbereit, es soll aber weiter nach seiner Reihenfolge ablaufen. Leute, was soll das werden? Ein öffentlicher Kuhhandel? Ein politscher Basar? In einer idealen Welt würden sich Scholz und Merz jetzt ein zweites Mal treffen, die Egos an der Garderobe lassen und einen gemeinsamen Plan machen. Das hätte Größe", meint die BERLINER MORGENPOST.
Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg fordert: "Deutschland braucht rasch eine neue Regierung, die – möglichst ausgestattet mit einer klaren Mehrheit – fähig ist zu Weichenstellungen. Da sollte das notwendige Prozedere vor einer Neuwahl des Bundestags – von der Kandidatenkür bis zum Drucken der Wahlunterlagen – doch ausnahmsweise gewuppt werden können. Ach, wie es aussieht, hülfe selbst die Rückbesinnung auf die berühmten deutschen Sekundärtugenden nichts. Weil der Kanzler Freude am Dasein als Rumpelstilzchen gefunden hat", meint die BADISCHE ZEITUNG.
Die WELT kritisiert die Haltung der SPD: "Es ist erstaunlich, wie sehr sich eine Partei mit dem Wort 'Demokratie' im Namen dagegen wehrt, rasche Wahlen durchzuführen. Gehört es doch unter Sozialdemokraten zum guten Ton, regelmäßig vor Demokratiefeinden zu warnen. Jede undemokratische Andeutung von Donald Trump wird hyperventiliert. Ein Kanzler, der sich wie ein König verhält, kann zwar auf die Unterstützung seiner wenigen Anhänger bauen, die noch so alberne Argumente wie angebliche Papierknappheit nachbeten. Doch sein Machtkalkül, den Koalitionsbruch auszusitzen und Resignation in der Bevölkerung herbeizuführen, wird nicht aufgehen", erwartet die WELT.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG blickt auf das Verhalten der Union im beginnenden Wahlkampf: "Warum setzt die Union nicht offensiv auf Schwarz-Gelb? Das einfachste Argument ist das arithmetische. Viele glauben, dass man die FDP nicht brauchen werde. Entweder werde sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Oder sie werde so schwach sein, dass es nicht für Schwarz-Gelb reichen werde. Davon abgesehen steht vor einer Koalitionsbildung erst einmal der Wahlkampf. Und hier ist die FDP eine gefährliche Konkurrenz für die Union. Erstens könnten die Liberalen nach dem Ausstieg aus der ungeliebten Ampel wieder für Wähler interessant werden, die zur Merz-CDU gewechselt sind. Zweitens könnten Zweitstimmen für die FDP dazu führen, dass CDU-Wahlkreisgewinner nicht in den Bundestag einziehen. Kein Wunder, dass es an der CDU-Basis gerade eine harte Abgrenzung zur FDP gibt", analysiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG spricht sich für baldige Neuwahlen aus: "Klar, für Steuerzahler, ÖPNV-Nutzer und vor allem für Rentner wäre es praktisch gewesen, die Union hätte die Anpassung der kalten Progression, die Finanzierung von 49-Euro-Ticket und stabilem Rentenniveau noch schnell mit durchgewunken. Aber sollten die zentralen Fragen, wie viel Fürsorge der Staat noch leisten soll, darf oder kann, damit die Wettbewerbsfähigkeit des Landes nicht weiter schwindet, und wer die Leistungen – von Renten bis zum Bürgergeld – bezahlen soll, jetzt nicht dem Bürger gestellt werden?", fragt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Das HANDELSBLATT blickt auf den Auftritt von Kanzler Scholz in der ARD: "Scholz redete viel über die staatspolitische Verantwortung von Merz, der für ihn jetzt noch Gesetze wie zum Abbau der kalten Progression retten soll, die der Kanzler mit seiner eigenen Regierung nicht mehr durchbekommt. Dabei hätte man liebend gern mehr über seine eigene staatspolitische Verantwortung erfahren. Es reicht eben nicht zu meinen, dass man 'cooler' in staatspolitischen Angelegenheiten sei als Merz. In der SPD dürften sich nun viele zu Recht fragen, ob sie mit dem richtigen Kandidaten in den Wahlkampf ziehen", erwartet das HANDELSBLATT.
Die WIRTSCHAFTSWOCHE kommentiert in ihrer Online-Ausgabe: "Keine hundert Stunden – mehr Zeit musste nicht vergehen, seit Scholz mit Christian Lindner abrechnete, die Vertrauensfrage für den 15. Januar ankündigte und er dann am Sonntagabend in der Talkshow von Caren Miosga Platz nahm. Scholz sagte, schon schwer unter Druck: 'Dass ich noch vor Weihnachten die Vertrauensfrage stelle, wenn das alle gemeinsam so sehen, ist für mich überhaupt kein Problem.' Er wolle doch 'auch, dass es schnell geht'. Alle gemeinsam? Kein Problem? Schnell? So klingt das also, wenn man sich vor aller Augen vom Handelnden zum Behandelten verwandelt", beobachtet die WIRTSCHAFTSWOCHE.
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER mahnt zur Besonnenheit: "Der Wahlkampf hat begonnen, eines darf dabei aber nicht vergessen werden: Eine Bundestagswahl bedeutet einen großen organisatorischen Aufwand. Wie wichtig eine gute Vorbereitung ist, zeigt der Rückblick auf den September 2021: Berlin versank damals im Wahlchaos, die Wahl musste schließlich in Teilen wiederholt werden. Unsere Demokratie ist zu wertvoll, um sie kurzfristigen parteipolitischen Machtspielchen zum Fraß vorzuwerfen", gibt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER zu bedenken.
Ähnlich sieht es die TAZ: "Neuwahlen vor März sind aus praktischen Gründen nicht möglich: Die Parteien brauchen mehr als ein paar Wochen, um ihre Kandidaten zu wählen. Bei mehr als 6.000 Bewerbern sind Schreibfehler, Zahlendreher oder andere falsche Angaben in den Listen unvermeidbar. Wenn sie mangels Zeit nicht korrigiert werden, können sie eine Angriffsfläche sein. Ein Termin für die Bundestagswahl schon im Januar oder Februar würde der Demokratie schaden. Die Gefahr wäre zu groß, dass das Ergebnis wegen Fehlern angefochten wird", befürchtet die TAZ.
Themenwechsel. Nach einem Medienbericht hat der designierte US-Präsident Trump mit Russlands Präsident Putin über den Krieg in der Ukraine gesprochen, was der Kreml dann aber dementierte. Die Magdeburger VOLKSSTIMME sieht in dem strittigen Telefonat ein Anzeichen von Desinformation auf beiden Seiten: "Kaum mischt Donald Trump wieder ganz oben in der US-Politik mit, wird es schwierig,  Wahres und Falsches auseinanderzuhalten. Was davon stimmt? Darauf kann sich jedermann selbst einen Reim machen. Dass die russische Propaganda von Falschmeldungen trieft, ist bekannt. Wenn die neue US-Administration in einen ähnlichen Stil verfallen würde, wäre das verheerend", erwartet die VOLKSSTIMME aus Magdeburg.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER betont: "Der Deal für die Ukraine, von dem Trump träumt, muss auf etwas hinauslaufen, mit dem die Menschen in der Region tatsächlich leben können. Wird man am Ende Passierscheinabkommen sehen wie vor vielen Jahrzehnten in Deutschland? Wird vielleicht, ebenfalls nach dem Vorbild Deutschlands, nur der Teil eines getrennten Landes in die Nato aufgenommen? So oder so steht fest: Es wird kompliziert", gibt der KÖLNER STADT-ANZEIGER zu bedenken.
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG geht auf das Echo ein, das das mutmaßliche Telefonat gefunden hat: "Die Mahnung aus Trumps Florida-Resort Mar-a-Lago hallt inzwischen weltweit nach, als habe jemand mal eben auf einen Gong gehauen. Trump warnt Putin? Wann ist der russische Kriegsherr zuletzt von irgendjemandem aus dem Westen in so selbstbewusster Weise angesprochen worden? Trump dreht jetzt den Spieß um und sagt dem 'lieben Wladimir', grob übersetzt: Pass mal auf, wenn du wirklich einen Deal willst in der Ukraine, dann halt den Ball flach. Wir können nämlich auch anders." So weit die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG, mit der diese Presseschau endet.