12. Juli 2025
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Die Kommentare drehen sich rund um die vom Bundestag verschobene Verfassungsrichterwahl.

Berlin: Blick in den fast leeren Plenarsaal des Bundestags.
Der Bundestag hat nicht über die Neubesetzung von drei Richterposten im Verfassungsgericht abgestimmt - das Thema der Kommentare. (Katharina Kausche / dpa / Katharina Kausche)
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER notiert: "Im Streit über die Berufung von Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht wird die Wahl aller drei zu wählenden Richter vertagt. Der gute Vorsatz, öffentlichen Streit - anders als die ungeliebte Ampel-Regierung - zu vermeiden, bekommt erneut Risse. Grundsätzlich ist politischer Dissens im Parlament keine Schande, sondern Ausdruck einer pluralistischen Demokratie. Der gestrige Konflikt wäre jedoch vermeidbar gewesen. Eine unwürdige Darbietung zum Schaden des angesehenen höchsten deutschen Gerichts", urteilt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE stellt fest: "Ins Lehrbuch für politische Krisenkommunikation wird die geplatzte Wahl von drei Verfassungsrichtern nicht eingehen – es sei denn, als abschreckendes Beispiel. In einer Melange aus Selbstüberschätzung (SPD) und fehlendem Fingerspitzengefühl (Union) haben die Koalitionsparteien das Gericht zum Spielball von Parteiinteressen gemacht und sich dabei auch selbst kräftig blamiert. Das wird noch lange nachwirken."
Der WESER-KURIER aus Bremen schreibt: "Die Frage ist nicht, welche Positionen Brosius-Gersdorf in der Vergangenheit vertreten hat. Die entscheidende Frage ist, ob man ihr zutraut, gemeinsam mit den sieben weiteren Richtern ihres Senats am Bundesverfassungsgericht zu sachgerechten Urteilen zu kommen. Daran kann es angesichts ihrer fachlichen Qualifikation kaum einen Zweifel geben. Fest steht, dass Teile der Union mit ihrer Ablehnung in letzter Minute der Institution Verfassungsgericht einen schweren Schaden zugefügt haben. Die abtrünnigen Abgeordneten haben sich von einer Kampagne rechtsgerichteter Medien treiben lassen und damit der Politisierung des Richter-Auswahlprozesses Vorschub geleistet", kritisiert der WESER-KURIER.
Die Union führte zur Begründung für ihr Vorgehen kurzfristig auch Unklarheiten in Bezug auf die wissenschaftliche Arbeitsweise Brosius-Gersdorfs im Rahmen ihrer Doktorarbeit an. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG wirft der Union "Hasenfüßigkeit" vor: "Von einer Minute auf die andere entziehen sie einer respektablen Rechtswissenschaftlerin das Vertrauen und liefern sie so dem Gejohle auf der Plattform X sowie der AfD aus. Fehlte es ihnen an Urteilskraft? Hatten sie nach einem Vorwand für die Ablehnung der Kandidatin gesucht und waren froh und dankbar, als plötzlich einer zur Verfügung stand? Schon seit Tagen erweckte die Union den Eindruck, ohne inneren Kompass unterwegs zu sein", schätzt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU spricht von einem "Schwarzen Freitag im Bundestag", der zeige.... "...dass es um die Demokratie in Deutschland schlechter bestellt ist als bisher gedacht. Der rechte Kulturkampf beschädigt nun auch die Organe des Staates und seiner Rechtsprechung. Bezeichnend ist, dass auch diesmal das Krisenmanagement versagt. Das betrifft beide Regierungsfraktionen."
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm vertritt eine andere Ansicht: "Nein, eine Staatskrise ist das nicht. Auch wurde das Bundesverfassungsgericht nicht beschädigt, was immer das auch heißen soll. Die schlampig vorbereitete und deshalb zu Recht abgeblasene Wahl der drei neuen Verfassungsrichter schmälert das Ansehen der Institution und die Reputation der obersten Richter nicht. Anders sieht das in der schwarz-roten Koalition aus. Mit der gescheiterten Richterwahl wird deutlich, dass Merz seine Truppe immer noch nicht im Griff hat", findet die SÜDWEST PRESSE.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG betont: "Die Wahl der Bundesverfassungsrichter durch das Parlament ist eine politische Entscheidung und keine fachliche Olympiade mit objektiver Messung. Jeder Kandidat, und davon hat auch die SPD genug, muss für eine Mehrheit vermittelbar sein. Es ist zu hoffen, dass gewisse Grundwerte in einer Koalition, in der die Union der große Partner ist, auch künftig sichtbar sind. Vorgeschobene Plattitüden reichen nicht. Schwaches Krisenmanagement ist kein Schaden für die Demokratie. Wenn man denn in dieser einstweilen gescheiterten Verfassungsrichterwahl einen Kulturkampf sehen will – er ist ein Zeichen dafür, dass die Demokratie lebt", ist in der F.A.Z. zu lesen.
Die FREIE PRESSE aus Chemnitz meint ebenfalls, dass die vorerst gescheiterte Wahl noch keine Staatskrise bedeutet, wendet aber ein: "Die gescheitere Wahl ist eine Blamage für die neue Koalition von Union und SPD - und das Ergebnis des Versagens einer ihrer Manager: Jens Spahn, der Chef der Kanzlerfraktion, hat sich als unfähig erwiesen."
Auch Sicht der RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg haben die Ereignisse vor allem Jens Spahn geschadet: "Ein Fraktionschef, der erst Zustimmung signalisiert und dann kurz vor Schluss bekennt, die Truppe doch nicht geschlossen hinter sich zu wissen, der kann eigentlich einpacken. Die Autorität von Spahn ist beschädigt. Und das bei einer Petitesse. Wie schwierig wird es erst, wenn Reformen auf der Tagesordnung stehen, Grundsatzentscheidungen?", fragt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG.
Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf kommentiert: "Es ist mehr als ein Sturm im Wasserglas, den die Koalition da erlebt. In der SPD spricht man offen von 'Führungsversagen' des Kanzlers und Spahns. Das Vertrauensverhältnis ist maximal belastet. Die einzigen, denen die Lage nützt, ist die AfD. Deren Fraktionschefin Alice Weidel sprach von einem 'schönen Tag'. Für die Demokratie war es das nicht."
Dazu noch eine Stimme aus dem HANDELSBLATT: "Schlimmer hätten Friedrich Merz und Jens Spahn diesen Freitag nicht versemmeln können. Der Bundesrat beschließt das Steuerentlastungspaket, die Botschaft im Land hätte lauten können: Union und SPD im Bund und mit ihnen die Länder liefern und sorgen dafür, dass wieder Zuversicht im Land greift. Der Kanzler nimmt eigens an der Sitzung teil und hält seine erste Rede in der Länderkammer mit genau diesem Tenor. Doch 700 Meter Luftlinie entfernt hat im Bundestag Union und SPD die Krise längst erreicht. Die Koalition ist nicht in der Lage, drei neue Richter für das Bundesverfassungsgericht zu wählen. Das Wort von der Koalitionskrise macht die Runde", unterstreicht das HANDELSBLATT.
"Das ist kein parlamentarischer Unfall, den der Kanzler einfach abhaken kann", glaubt das HAMBURGER ABENDBLATT und führt aus: "Das war demokratiegefährdend und gab der AfD einmal mehr die Gelegenheit für ihr Triumphgeheul über die 'Altparteien', die es einfach nicht hinkriegen. Der Kanzler erlebte das Drama mit versteinertem Gesicht auf der Regierungsbank. Jetzt darf Friedrich Merz auch vor personellen Konsequenzen nicht Halt machen. Es steht im Sommer 2025 für Deutschland einfach zu viel auf dem Spiel", warnt das HAMBURGER ABENDBLATT.
Zum Abschluss blickt der Berliner TAGESSPIEGEL auf eine Aussage der CDU-Politikerin Klöckner: "Als Bundestagspräsidentin hat sie es nicht immer so mit Überparteilichkeit. In einem Punkt hat die Christdemokratin aber jetzt mal unstreitig recht: mit ihrer Forderung, über die neuen Verfassungsrichter nicht den Bundesrat entscheiden zu lassen. Zu dem, was vom Bundestag jetzt erwartet wird – und das bei Weitem nicht nur von Klöckner –, gehört darum ganz unbedingt Entscheidungsfähigkeit. Kann das Parlament partout nicht entscheiden, ist es seit einem halben Jahr neues Recht, dass dann die Länderkammer übernimmt. Im Grunde ist diese Entscheidung einfach: Will das Parlament sich entscheidungswillig und -fähig zeigen, ja oder nein? Alles andere wäre wirklich sowohl ein politisches Armutszeugnis als auch eine Selbstschwächung." Mit diesem Kommentar des TAGESSPIEGELS endet die Presseschau.