
"Man mag zu den Belehrungen von Außenminister Wadephul stehen, wie man will: Sie waren der letzte Wink mit dem Zaunpfahl, dass Deutschland – bei aller Solidarität mit Israel – sich nicht gemeinmachen wird mit weiterem sinnlosen Sterben. Die Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts, Gaza-Stadt zu erobern, lässt keine andere Wahl. Dazu schweigen – das geht nicht", findet die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG.
Im REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER ist die Rede von einer Zeitenwende im Verhältnis Deutschlands zu Israel: "Die Bundesregierung macht mit diesem Schritt deutlich, dass sie nicht gewillt ist, in blinder Gefolgschaft alles mitzumachen, was Israels Ministerpräsident Netanjahu von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern eingeflüstert bekommt. Merz gewinnt durch den Waffenstopp außenpolitisches Profil und gleichermaßen innenpolitische Sympathien. Für viele Deutsche, die sich nach dem Hamas-Überfall mit Israel solidarisch zeigten, war die Art der Kriegsführung Netanjahus nicht mehr akzeptabel. Merz nähert sich mit seiner Entscheidung auch wieder an den wichtigsten Bündnispartner Frankreich an, der kürzlich mit seiner Ankündigung der Anerkennung Palästinas auf Distanz zu Israel ging. Würde sich Merz Präsident Macron anschließen, wäre das die nächste Stufe im Bruch mit Netanjahu", überlegt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
"Dass Merz den Schritt jetzt macht, den sich Olaf Scholz wohl kaum getraut hätte, verlangt Respekt", betont die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG: "Er ist der Kanzler, der im Verhältnis zu Israel ein neues und bitteres Kapitel öffnet. Dass es dazu kommt, ist allein der Regierung Netanjahu zuzuschreiben. Der Kampf gegen die Hamas war richtig. Er ist aber schon vor Langem zu einem Krieg ohne Sinn geworden, dessen einziger Zweck offenbar darin besteht, die Palästinenser zu vertreiben und Gaza zu zerstören. Das Bittere ist, dass das Spiel der Hamas durch den grausamen Krieg aufgeht: dass sich die Welt von Israel abwendet", konstatiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Nach Ansicht der SÜDWEST-PRESSE aus Ulm ist nicht zu erwarten, "dass sich die Regierung in Jerusalem von der deutschen Entscheidung beeindrucken lässt. Deutsche Waffen sind in Gaza nicht kriegsentscheidend. Der Schritt ist vor allem ein politisches Signal – nach innen wie nach außen."
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE zeigt wenig Verständnis für die Entscheidung und warnt vor einer Belastung der deutsch-israelischen Beziehungen. "Ausgerechnet das Land, das die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärt hat, setzt seine Waffenlieferungen teilweise aus. Mit der aktuellen Lage in Gaza, wo die humanitäre Hilfe langsam in Schwung kommt, lässt sich das nur schwer erklären. Vielmehr beugt Merz sich unter dem Beifall der SPD der anti-israelischen Stimmung in weiten Teilen Europas." Soweit die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
Die NORDWEST-ZEITUNG aus Oldenburg schreibt, dass der einzig gerechtfertigte Adressat für Ermahnungen und Druck die Terroristen-Organisationen in Gaza seien. "Gebt auf! Gebt Eure Waffen ab! Löst Euch auf! Lasst die Geiseln frei! Stellt Euch der Gerechtigkeit! Hamas & Co haben es in der Hand, diesen Krieg zu beenden. Schon heute. Dass die Europäer nicht mehr Druck auf sie und ihre Freunde in Katar und anderswo ausüben, ist eine Schande. Dabei weiß man in Berlin, Brüssel, Paris und anderen Hauptstädten ganz genau, dass die Hamas die eigenen Leute gezielt verheizt, um ihr politisches, militärisches und physisches Überleben zu sichern", unterstreicht die NORDWEST-ZEITUNG.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU geht auf die Entscheidung der israelischen Regierung ein, die Militäraktion im Gazastreifen auszuweiten und Gaza-Stadt einzunehmen: "Damit wischt Ministerpräsident Netanjahu die Bedenken des eigenen Militärs genauso beiseite, wie er sich weiter gegen die Mehrheit der eigenen Bevölkerung stellt, die wie viele Länder zu Recht das Ende des Krieges gegen die Hamas fordern. Die Folgen dürften verheerend sein. Mit dem Vorgehen dürften die noch überlebenden israelischen Geiseln in den Händen der Hamas-Terroristen verloren sein. Zudem müssen zuvor erneut Zigtausende Palästinenserinnen und Palästinenser in andere Teile des weitgehend zerstörten Gazastreifens vertrieben werden. All das, obwohl die radikal-islamistische Hamas militärisch keine Bedrohung mehr ist", hebt die FRANKFURTER RUNDSCHAU hervor.
Dieser Meinung schließt sich der KÖLNER STADT-ANZEIGER an: "Der Beschluss, nun auch noch Gaza-Stadt zu erobern, ist ein fataler Irrweg. Er wird zu einem entsetzlichen Blutbad führen, das Leid der Menschen in Gaza vergrößern, Israel weiter isolieren – und die noch lebenden Geiseln nicht befreien."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG analysiert: "Von den fünf Zielen, die das israelische Sicherheitskabinett für das weitere Vorgehen im Gazastreifen beschlossen hat, sind drei völlig legitim: die Entwaffnung der Hamas, die Rückkehr der Geiseln und die Demilitarisierung des Küstenstreifens. Die entscheidende Frage ist, ob sich diese Ziele mit einer Ausweitung der Operation auf Gaza-Stadt erreichen lassen. Tatsächlich ist die Hamas wahrscheinlich nicht mehr die strategische Bedrohung, die sie vor dem Krieg war; auch ihre Verbündeten sind stark geschwächt, allen voran Iran. Problematisch sind die beiden letzten Ziele, die das Sicherheitskabinett benennt: eine israelische Sicherheitskontrolle über den Gazastreifen und eine Zivilverwaltung, die nicht die Hamas, aber auch nicht die Autonomiebehörde sein soll. Da bisher kein arabischer Staat bereit ist, hier Verantwortung zu übernehmen, treibt beides die Entwicklung in Richtung einer dauerhaften Besatzung - mit möglichen Folgen wie neuen Siedlungen, einer Annexion oder Vertreibungen", befürchtet die F.A.Z.
Ähnlich sieht es die Zeitung N.D. DER TAG: "Die Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts umfasst weitreichende Pläne zur Zukunft des Gazastreifens, in denen die Bewohner nur Objekte israelischer Hegemonialpolitik sind. Die Regierung will entscheiden, wer künftig den Gazastreifen regieren darf – und wer nicht. So handelt eine Besatzungsmacht, die Israel immer war: nicht nur im Westjordanland und Ost-Jerusalem, sondern de facto auch im Gazastreifen", notiert die Zeitung N.D. DER TAG.
DIE TAGESZEITUNG - TAZ stellt fest: "Die Entscheidung ist ein historischer Fehler. Sie wirft Israel mit der Übernahme der Kontrolle über die zwei Millionen Palästinenser in Gaza in eine Zeit vor demOslo-Friedensprozess zurück und basiert weniger auf militärischerNotwendigkeit als auf politischem Kalkül und ideologischem Starrsinn. Militärisch sind die Erfolgsaussichten mau. Das sagen nicht nur IsraelsSicherheitsbehörden, es zeigt sich auch an der Bilanz von eindreiviertelJahren Krieg. Nur eine Handvoll Geiseln konnte lebend durch Armeeeinsätzebefreit werden, die Mehrheit kam durch Verhandlungen frei. Die Hamas,obgleich geschwächt, ist nicht besiegt", gibt die TAZ zu bedenken.
Die STUTTGARTER ZEITUNG warnt davor, dass der Gaza-Konflikt zum Dauerkrieg ohne Aussicht auf eine politische Lösung wird. "Israels Armee bereitet nun die Einnahme von Gaza-Stadt vor und soll nach dem Willen Netanjahus den gesamten Gazastreifen besetzen. Rechtsradikale Minister wollen sich selbst damit nicht zufriedengeben und verlangen die Annexion des Küstengebiets. Das wäre katastrophal für die Palästinenser und für Israel. Zu Beginn des Krieges vor fast zwei Jahren stand das Land unter dem Schock des Hamas-Angriffs, der letztlich den Einmarsch der israelischen Armee in den Gazastreifen provoziert hat. Doch mit seiner Kriegsführung bringt Netanjahu die ganze Welt gegen sein Land auf", hält die STUTTGARTER ZEITUNG fest, und damit endet die Presseschau.