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Die Pyramide von innen

Schon mal Mumie gegessen? Mumie gerieben war so etwas wie Ginseng, Gingko und Echinacea für unsere Ur-Ur-Ur-Großeltern. Ein Stärkungsmittel, erhältlich beim Apotheker bis weit ins 19. Jahrhundert. Dies und anderes erfährt man in der Ausstellung "Die Pyramide von innen" in Baden-Baden.

Von Christian Gampert |
    Mit dem Imperialismus expandierte im 19. Jahrhundert auch die Wissenschaft; im Gefolge von Napoleons Armee kamen 1798 Kartografen und Altertumsforscher nach Ägypten und bemächtigten sich einer alten Hochkultur. Dieser Prozess ist höchst ambivalent: Einerseits ist die wissenschaftliche Systematik natürlich ein Fortschritt gegenüber dem puren Plündern von Gräbern zu Geldzwecken; andererseits ist alles, was in unseren Museen an Ägyptica steht, letztlich Raubkunst und Leichenschändung - obgleich sie Verständnis und eine neue Hochachtung etwa für den hoch differenzierten ägyptischen Totenkult weckten.

    Wenn man in Baden-Baden nun vor der verschrumpelten, dehydrierten nackten Mumie eines ägyptischen Mädchens aus der griechisch-römischen Epoche steht, dann kann einen schon Rührung übermannen ob der hohen Kindersterblichkeit unter widrigen Bedingungen; es ist aber auch wichtig zu wissen, dass das noch wundergläubige Europa bis in die Aufklärung hinein aus diesen toten Körpern eine makabre Medizin, eine Art Allheilmittel fertigte: "Vera Mumia", die Apotheker-Gefäße sind ausgestellt. Museumsleiter Matthias Winzen:

    "Das 15. bis 17. Jahrhundert kannte ja noch diesen abergläubischen Umgang mit den Mumien. Die wurden gefunden, Grabräuber nahmen die Amulette und den Goldschmuck aus den Leinenumwicklungen; der Körper blieb übrig und wurde zerrieben zu einer Universalmedizin: Vera Mumia. Das endet dann im 19. Jahrhundert."

    Die sehr überschaubare Ausstellung versucht, den Prozess der wissenschaftlichen Aneignung des Fremden zu zeigen. Sie folgt in großen Zügen der Sammlung, die der 1908 zu einer Kur nach Kairo geschickte Wilhelm Dieudonné Stieler angelegt hat. Stieler verunglückte 1912 in Deutschland bei einer Ballonfahrt, weshalb eine historische Gondel als Eyecatcher dient. Viel wichtiger aber ist jener Teil der Schau, der sich mit der Entschlüsselung der Hieroglyphen durch den Franzosen Jean Francois Champollion 1822 beschäftigt:

    "Damit ist ein Zugang gewonnen zu der Schriftkultur, Erinnerungskultur des alten Ägypten. Da erst konnte aufgeschlüsselt werden, dass es im alten Ägypten schon moralische Vorstellungen gab wie das persönliche Gewissen, die Ablehnung der Tierquälerei - beachtliche Dinge, die wir so abendländisch immer dem Judentum und Christentum zuschreiben, die aber aus dem alten Ägypten mentalitätsgeschichtlich ererbt sind."

    Es sind sehr alte Exponate, die wir hier sehen, Amulette, Skarabäen, Becher, Schminkpaletten, Totenfiguren - sogenannte "Uschebti". Das älteste Objekt, 3000 vor Christus datiert, ist eine winzige Männergestalt aus gebranntem Ton mit gefesselten Händen und einem henkelartigen Penis, die symbolische, beschwörende Darstellung eines Feindes. Mit der Erforschung der Grabbeigaben für die Fahrt ins Jenseits begann allerdings auch jener Prozess der Historisierung, der Entzauberung von Glaubens-Inhalten, die die kanonisierten Religionen heute noch aufregt. Aber er ist unumkehrbar.

    Das Baden-Badener Museum kann wegen seiner begrenzten Ausstellungsfläche nur anhand weniger exemplarischer Objekte erzählen. Die sind dann exzellent: Relieffragmente, Kacheln, rituelle Tierdarstellungen aus Granit oder Serpentin, reich verzierte, stilisierte Mumiensärge. Das Manko dieser Ausstellungshalle, den nicht vorhandenen eigenen Fundus, will Museumsleiter Matthias Winzen durch Symposien und Katalogbücher wettmachen, die dann einen ganz anderen Fundus bilden. Im Buch zur Ägyptenausstellung etwa schildert der Literaturwissenschaftler Manfred Koch voll mitfühlender Ironie, dass der große Gustave Flaubert sich eigentlich für einen Orientalen hielt, der sich leider in die neblige Normandie verirrt hatte. Als Flaubert dann 1849 tatsächlich nach Ägypten reiste, lag er nur ermattet in der Hitze, während sein Freund Maxime du Camp manisch fotografierte. Zivilisationskritik, Projektion und Exotismus gingen bei Flaubert Hand in Hand - ein typischer Fall aus dem 19. Jahrhundert.