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Die raue Soulmusik einer Malerin aus Finnland

Die gebürtige New Yorkerin und Wahl-Finnin Nicole Willis ist auch Malerin und Fotografin und sieht sich nicht als perfekte Sängerin. Deshalb spielt die technische Perfektion auf ihrem zweiten Album "Tortured Soul" auch nicht die Hauptrolle, sondern das Gefühl des Soul.

Von Jan Tengeler | 16.03.2013
    It's Soultime – roh und ungeschminkt wirken die neuen Stücke von Nicole Willis. Hier geht es nicht um technische Perfektion, sondern um Gefühl, wie die Sängerin gerne betont.

    "In den letzten 20 Jahren ist der Gesang im Soul und R'n'B Bereich immer perfekter geworden. In den 70er-Jahren hat man sich an Stevie Wonder orientiert, aber nicht jeder kann so gut singen wie er - und immer diese technischen Floskeln, immer dieses Hohe. Soul sollte wieder etwas mit dem Herzen zu tun haben, es kann auch ruhig etwas rauer sein. Das ist es, was ich zu geben habe: keine Gesangstechnik, dafür aber kann ich Stücke schreiben und ich habe Spaß damit."

    Lange hat es gedauert, bis Nicole Willis ihrem Erstling von 2005 jetzt ein weiteres Album folgen lässt. Denn Willis ist nicht nur Sängerin, Ehefrau und Mutter. Sie hat in den letzten Jahren auch noch versucht, sich als Malerin zu etablieren.

    "Als Kind und Jugendliche habe ich immer gemalt und meine Lehrerin empfahl, dass ich eine Kunstschule besuchen sollte. Meine Mutter aber meinte, ich solle lieber Industriedesign studieren, damit könne ich wenigsten etwas verdienen. Ich folgte also dem Rat meiner Mutter und habe erst viel später gemerkt, dass das ein Fehler war. Als ich im Jahre 2000 erstmals die Bilder von Neo Rauch sah, hat es mich umgehauen. Danach habe ich angefangen, Kunst zu studieren. Ich habe jetzt gerade meine ersten Einzelausstellungen, aber ich glaube, ich möchte noch mehr lernen, wenn mein Zeitplan es zulässt."

    Wenn man etwas kann, sagt Willis mit Bestimmtheit, dann soll man auch versuchen, es zu tun. Und so hat es die Frau aus New York schon immer gehalten: Ist durch die Welt getingelt mit längeren Aufenthalten in Berlin, Barcelona und London, hat noch mit dem großen Curtis Mayfield zusammengearbeitet und sich zwischendurch sogar als Balletttänzerin versucht. Als 'reine' Sängerin hat sie sich dagegen nie verstanden, schließlich weiß sie auch um die Grenzen ihrer stimmlichen Fähigkeiten.

    Aber das ist bei der Musik, die sie bietet, tatsächlich zweitrangig. "Tortured Soul" ist eine Einspielung geworden, die den Titel, nämlich den einer gequälten Seele, nicht ganz zu unrecht trägt. Viele Balladen, viel Zweifel und verzerrte Gitarren. Aber der Schmerz ist bittersüß, denn da sind auch Geigen, Bläser, ein manchmal schon orchestraler Ansatz. Und nicht zuletzt hat Nicole Willis hinter sich eine großartige finnische Band. Die "Soul Investigators" sorgen dafür, dass das Album schon jetzt das Zeug zum Klassiker hat – unaufgeregt und zeitlos gut.

    "Erinnern wir uns an die 60er- und 70er-Jahre: Soul und Funk waren ein weltweites Phänomen, man konnte diese Musik überall hören. Es ist also nicht notwendig, dass man schwarz ist und aus den USA kommt, um diese Musik gut zu spielen. Bei meiner Band ist viel wichtiger, dass sich die Musiker kennen, seitdem sie im Kindergarten waren. Sie sind musikalisch gemeinsam aufgewachsen, sie haben ihre Instrumente zusammen gelernt. Das führt dazu, dass sie eine echte Einheit sind."