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Die Reform der Reform der Reform

Holger Noltze: Wie lange kann man streiten? Zu den zähesten Streitfällen der deutschen Kulturzone zählt der um die unglückliche Reform der Rechtschreibung. Der geht nun ins zehnte Jahr, wenn man die 1995 beschlossene Neuregelung als Anfang nimmt, aber eigentlich geht er schon länger. Anfang Juni hat die Kulturministerkonferenz beschlossen, die umkämpften Änderungen sollten von August 2005 an verbindlich werden. Jetzt mehren sich die Stimmen, die wieder für eine vollständige Rücknahme der Reform sprechen und man fragt sich: Wie kommt das eigentlich, dass uns dieses Thema wie Ebbe und Flut immer wieder neu überkommt? Darüber möchte ich mit Professor Peter von Matt zu einer Spekulation anregen, Emeritus der Germanistik in Zürich. Womöglich haben Sie, Herr von Matt, ja von der Schweiz aus einen neutraleren Blick?

Der Literaturwissenschaftler Peter von Matt im Gespräch |
    Peter von Matt: Ja, es ist eben nicht Ebbe und Flut und es ist nicht einfach ein ewiger Streit, sondern es ist ein langsamer Aufstand. Und dieser Aufstand ist nicht mehr aufzuhalten. Es ist wirklich auch ein demokratischer Prozess, dass die literarische Intelligenz sich wehrt und mit einer offenbar unerwarteten Hartnäckigkeit sich wehrt gegen eine Beamtendiktatur, die Diktatur der politischen Kommissionen, die sich herausnehmen, in die bestehende deutsche Sprache einzugreifen. Das ist der entscheidende Punkt. Es gibt ganz viele ganz vernünftige Vorschläge, die da gemacht wurden, aber es gibt einen Kernbereich, wo wirklich total in den Wortschatz eingegriffen wurde und das darf man sich nicht bieten lassen.

    Noltze: Liegt die Widergängerei des Themas vielleicht auch daran, dass es jetzt eben doch eine Zeitlinie gibt, die das verbindlich erklären will, was bisher immer als Kann, muss aber nicht, sozusagen in der Schwebe gehalten wurde. Steht uns mit anderen Worten der große Kulturkampf noch bevor, wenn zum Beispiel die alte Schreibweise der FAZ auf einmal als regelmäßig falsch gelten müsste?

    von Matt: Sehen Sie, das Problem wird ja daran deutlich. Sie haben das Stichwort FAZ genannt. Wenn Sie die FAZ nehmen, wenn Sie die Süddeutsche Zeitung nehmen und wenn Sie die Neue Züricher Zeitung nehmen - drei der ganz wichtigen deutschsprachigen Zeitungen - jede hat offiziell eine andere Orthographie und dieser Zustand ist unerträglich und er ist nicht durch einen Regierungsakt zu lösen. Er ist nur über einen vernünftigen Konsens zu lösen und dieser Konsens ist möglich, wenn man von der Position des politischen Rechthabens heruntergeht.

    Noltze: Sie sagen, es ist ein unerträglicher Zustand. Wie geht man denn in der Schweiz mit dem Thema um?

    von Matt: Nicht besser als in Deutschland. Wir sind in genau der gleichen Bredouille drin.

    Noltze: Und das Publikum?

    von Matt: Das kümmert sich noch weniger darum als in Deutschland.

    Noltze: In Deutschland ist es so, dass 87 Prozent der Deutschen die Rechtschreibreform im Ganzen ablehnen. Was Sie ja gesagt haben, es gibt einen Aufstand sozusagen der Basis, einen großen Unwillen gegen diese Reform. Sehen die Schweizer das gelassener?

    von Matt: Ich kenne die Umfragen nicht. Es wird in einer merkwürdigen Weise wenig thematisiert. Das hängt wahrscheinlich auch mit der Dreisprachigkeit der Schweiz zusammen, dass es nicht ein zentrales politisches Problem werden kann und mit der Tatsache, dass sich die Schweiz so oder anders den Deutschen entscheidend anpassen muss, wir sind ja nicht kulturell selbsttragend.

    Noltze: Sehen Sie denn eine Chance für die Rücknahme der Reform wie sie jetzt zum Beispiel von Antje Vollmer gefordert wird und einigen CDU-Ministerpräsidenten?

    von Matt: Ich glaube schon. Ich glaube nicht, dass alles zurückgenommen werden wird, aber das Verfahren wird geändert. Man wird sagen: "Wir wollen zurückgehen zu dem alten Verfahren, dass die Veränderungen der Sprache, die durch den Gebrauch selber zustande kommen behutsam in die Regelbücher aufgenommen werden." Jeder Duden war ja anders als der Vorhergehende, jetzt schon. Aber das ist nicht einfach an einem Tisch ausgedacht und ausgekocht worden, sondern das ist über die regulären Veränderungsprozesse der Sprache zustande gekommen.

    Noltze: Der deutsche Philologenverband warnt vor einem Chaos an den Schulen, wenn man das jetzt wieder zurücknehmen wollte. Millionenkosten bei der Rückumstellung der Schreibweise der Schulbücher und so weiter; das würde Sie nicht schrecken?

    von Matt: Das glaubt ja kein Mensch. Das sind so Rauchbomben. Das Chaos ist jetzt vorhanden. Was wollen Sie denn? Wollen sie, dass die Schüler eine vierte Orthographie lernen und in jeder größeren Zeitung später drei andere Orthographien antreffen? Es braucht eine Rückbildung der rigiden Vorschriften und eine Öffnung der Freiheitszonen in der Sprache. Es gibt ja Bereiche in der Sprache, wo jeder schreiben kann, wie er will und das muss man auch gelten lassen. Ich kann ja jeden Satz so anfangen und aufhören wie ich will. Ich kann sagen: Es regnet heute oder Heute regnet es und niemand schreibt mir die Reihenfolge der Wörter vor. Und wenn es um Rechthaben geht, du hast Recht, ich habe Recht, ich bin im Recht, da kann man einfach sagen, entscheidet was ihr wollt. Da ist jedem seinem eigenen Sprachgefühl überlassen.

    Noltze: Wer hat Recht? Der Züricher Germanist von Matt über die Reformmisere der deutschen Orthographie.