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Die romantische Klarinette

Die Klarinettistin Sharon Kam gilt neben Sabine Meyer heute als eine der ganz Großen ihres Instruments. Ursprünglich aus Israel stammend, gab sie schon mit 16 ihr Orchesterdebüt mit dem Israel Philharmonic Orchestra, heute lebt sie in Hannover. Auf ihrer neuen, wieder preisverdächtigen CD sind Werke von Carl Maria von Weber, Max Bruch und Julius Rietz zu hören.

Von Ludwig Rink | 07.10.2007
    Sie hat die Suggestivkraft einer Schlangenbeschwörerin, verzaubert in der Regel aber keine Reptilien, sondern Musikliebhaber in aller Welt. Wer sie auf der Bühne erlebt, fühlt, was die FAZ in die Worte kleidete: "Auch gestisch mit ihrem Instrument eins werdend, verbindet sie Konzentration und Selbstentäußerung". Dieses ihr Instrument wird von Jazzmusikern gerne mal als Schwarzwurzel bezeichnet, heißt aber eigentlich Klarinette. Und auf dieser Klarinette ist sie inzwischen neben Sabine Meyer eine der ganz Großen: Die Rede ist von Sharon Kam, die jetzt bei Berlin Classics eine weitere preisverdächtige CD mit Werken von Carl Maria von Weber, Max Bruch und Julius Rietz herausgebracht hat.

    " Musikbeispiel: Julius Rietz
    1. Satz (Anfang) aus: Konzert für Klarinette und Orchester g-moll, op. 29
    Sharon Kam, Klarinette, Sinfonia Varsovia, Leitung: Gregor Bühl
    Berlin Classics (LC 06203) 0016202BC "

    Sharon Kam stammt aus Israel, wo sie auch ihren ersten Musikunterricht erhielt. 16 war sie alt, als sie ihr Orchesterdebüt gab mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Leitung von Zubin Mehta. Sie wurde von Isaac Stern gefördert und absolvierte die Juilliard School. Vor 15 Jahren gewann sie den Internationalen ARD-Wettbewerb in München und arbeitet seitdem mit den bedeutendsten Orchestern zusammen. Seit einigen Jahren lebt sie mit ihrem Mann Gregor Bühl in Hannover. Den würde ich hier nicht namentlich erwähnen, wäre er nicht auch Dirigent und bei den letzten CDs von Sharon Kam ihr musikalischer Partner. Bereits bei den Konzerten von Mendelssohn, Spohr und Rossini war er mit dabei, außerdem bei Kams Ausflügen ins teilweise vom Jazz beeinflusste amerikanische Klarinetten-Repertoire eines Copland, Gershwin oder Leonard Bernstein. Ein weiterer Mensch aus Sharons nächster Umgebung macht die neue CD zum Familienunternehmen: Beim Doppelkonzert von Max Bruch spielt ihr Bruder Ori Kam den Violapart. Auch der hat zunächst in Israel und dann in den USA studiert, Internationale Preise gewonnen und mit einer Vielzahl renommierter Orchester und Kammermusikpartner zusammengespielt.

    " Musikbeispiel: Max Bruch - 1. Satz (Anfang) aus: Konzert für Klarinette, Viola und Orchester e-moll, op. 88 "

    Vielleicht ist Ihnen schon beim Hören dieser ersten Takte des Doppelkonzertes von Max Bruch ein wesentliches Merkmal dieses Werkes aufgefallen: Der Komponist nutzt einmal mehr den "echten Naturton", das, wie er sagt, "reine und keusche Volkslied" als Inspirationsquelle, denn seiner Meinung nach ist eine gute Volksmelodie in der Regel mehr wert als 200 Kunstmelodien. Entstanden 1911, ist dieses Alterswerk des aus Köln stammenden späteren Berliner Kompositionsprofessors ein rückwärts schauendes Stück romantischer Musik, im Vergleich zu gleichzeitig Komponiertem unmodern, aber dennoch wunderschön anzuhören, von ebenso einfacher wie eingängiger Machart.

    " Musikbeispiel: Max Bruch - 2. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Klarinette, Viola und Orchester e-moll, op. 88 "

    Ori und Sharon Kam mit dem 2. Satz des Konzerts für Klarinette, Viola und Orchester e-moll von Max Bruch. Eine besondere Trouvaille dieser CD ist das Klarinettenkonzert von Julius Rietz. Der lebte von 1812 bis 1877, wirkte 13 Jahre als Dirigent und Musikdirektor in Düsseldorf, bevor er 1847 als Kapellmeister ans Stadttheater nach Leipzig ging. Mehrere Jahre dirigierte er auch die dortige Singakademie, leitete schließlich die Gewandhauskonzerte und arbeitete als Kompositionslehrer am Konservatorium. 1860 wechselte Julius Rietz noch nach Dresden und konnte als Hofkapellmeister der dortigen Oper und Kirchenmusik neue Impulse geben. Seine letzten Jahre waren wohl nicht allzu schön: Geldnöte, Krankheit und unglückliche Familienverhältnisse hatten ihn zermürbt und zum Trinker gemacht. Von seinen Kompositionen ist im heutigen Konzertbetrieb so gut wie nichts mehr im Umlauf; Sharon Kam stieß über das Internet auf ein Schweizer Laienorchester, das das Klarinettenkonzert von Rietz aus selbst hergestelltem Orchestermaterial aufgeführt hatte. Ähnlich wie Max Bruch war Rietz zu seiner Zeit ein Konservativer; seine unbeirrbare Ablehnung der "Zukunftsmusik" machte ihn immer wieder zur Zielscheibe heftiger Angriffe vor allem der Wagnerianer. Seine Musik, an Mendelssohn orientiert, ist von großer Eleganz und klassizistischer Ausgewogenheit.

    " Musikbeispiel: Julius Rietz - 3. Satz (Schluss) aus: Konzert für Klarinette und Orchester g-moll, op. 29 "

    Dies war ein Ausschnitt aus dem Klarinettenkonzert des heute weitgehend vergessenen romantischen Komponisten Julius Rietz. Diese neue CD der Klarinettistin Sharon Kam entstand in Warschau. Dort ist die Sinfonia Varsovia beheimatet. Kein Geringerer als Yehudi Menuhin war jahrelang Erster Gastdirigent dieses Orchesters, und er bescheinigte ihm, dass mit keinem anderen Orchester die Zusammenarbeit als Solist und Dirigent beglückender für ihn war. Beglückend ist auch das Zusammenspiel zwischen Sharon Kam und diesem Ensemble im Quintett für Klarinette und Streichquartett B-Dur von Carl Maria von Weber, das in einer Version für Klarinette und Orchester dargeboten wird. Hier kann man noch einmal die ganze Bandbreite des Könnens dieser Klarinettistin erleben, atemberaubende fröhliche Virtuosität genauso wie ruhige, tief empfundene romantische Melancholie; intelligente Planung von Artikulation, Phrasierung, Atmung genauso wie Spontaneität, Reaktionsschnelligkeit und Gefühl. Ihre Klarinette singt warm, weich, sanft, kann aber auch dramatisch, fordernd, kämpferisch klingen. Vom unheimlich-grotesken, kühl-distanzierten Klang in der Tiefe bis zu schrillen Spitzentönen, die mühelos jedes Orchester übertönen, von gurgelnd-fröhlicher Ausgelassenheit bis zum sehnsüchtigen Schmachten: Sharon Kam beweist einmal mehr, dass die Klarinette eins der ausdruckstärksten, vielfältigsten Blasinstrumente überhaupt ist.

    " Musikbeispiel: Carl Maria von Weber - 4. Satz aus: Quintett für Klarinette und Streichquartett B-dur, op. 34 (Version mit Streichorchester) "

    Die Neue Platte - heute mit der Produktion "Die romantische Klarinette", die bei Berlin Classics erschienen ist. Sharon Kam und die Sinfonia Varsovia spielen Werke von Rietz, Bruch und Carl Maria von Weber.

    Titel: "The romantic clarinet" - Werke von Weber, Bruch und Rietz
    Solisten: Sharon Kam, Klarinette
    Ori Klassik am Morgen, Viola
    Orchester: Sinfonia Varsovia
    Leitung: Gregor Bühl
    Label: Berlin Classics
    Labelcode: LC 06203
    Bestellnr.: 0016202BC