Einige Abschnitte in diesem Buch sind sehr ernst, andere wiederum wurden von unabhängigen Experten für lustig befunden. Wir wissen nicht genau, warum das so ist, aber als wir es entdeckten, beschlossen wir, den Leser gleich am Anfang zu warnen. Wer also zu den Menschen gehört, die glauben, dass Religion niemals lustig ist, sondern einen zum Weinen bringen und traurig stimmen sollte, auf keinen Fall aber zum Lachen bringen darf - für den ist das vielleicht nicht das richtige Buch.
... warnen Monsignore Thomas Hartman und Rabbi Marc Gellman ihre jungen Leser - oder vielleicht doch eher deren Eltern - zu Beginn des Weltreligionen-Führers "Wie buchstabiert man Gott?".
Wer beten kann, ist besser dran. Weltreligionen und Glaubensfragen für Kinder.
Aus ihrer Arbeit als katholischer Priester und jüdischer Talmudgelehrter wissen Hartman und Gelman, dass heitere Frömmigkeit den wenigsten Gläubigen gegeben ist, wohingegen Verbissenheit und Rechthaberei über alle Religionen und Konfessionen hinweg zu den unerfreulichen Randerscheinungen des Kampfes gegen den Atheismus gehören. Dabei hülfe gelassene Aufklärung weiter, und wie die aussehen kann, demonstrieren die beiden mit jiddischer Chuzpe und jesuitischer Schläue. Vier Fragen weisen ihnen dabei den Weg:
Was ist unser Platz in der Welt? Wie leben wir richtig? Wie sollen wir beten? Was passiert nach dem Tod mit uns?
Fragen, die tiefer zielen als die oberflächliche Wissensvermittlung des brav reportierenden Konkurrenzbuches "Was glaubt die Welt?" von Christine Schulz-Reiss. "Wie buchstabiert man Gott?" will keine nackten Fakten vermitteln, sondern übers Begreifen zum Glauben führen. Mit durchaus sophistischen Methoden, denn eine der vier Eingangsfragen ist ja zunächst nichts weiter als eine verkappte Behauptung: "Wie sollen wir beten?" setzt voraus, dass wir beten. Wir alle, irgendwann einmal, in schlimmster Not oder größter Freude, und dass uns das Rüstzeug dazu verloren gegangen ist. Stimmt das? Gehören Gebete zur menschlichen Grundausstattung wie Lieder, Musik, Tanz?
Selbst in Religionen, in denen man nicht an Gott glaubt, gibt es Gebete. Das Gebet dient dort dazu, den Geist zu reinigen wie mit einer Art heiligen Seife.
Den Tonfall muss man ertragen können, aber er steht beileibe nicht für eine alle Zumutungen der Religion verharmlosende Haltung. Im Gegenteil, je flapsiger die Passagen des Buches daherkommen, desto unerwarteter taucht plötzlich im Text ein Stoppschild auf: Glauben ist schön - macht aber viel Arbeit:
Wann immer man die strengen Regeln einer Religion lockert, so dass die Menschen im Alltag problemlos damit leben können, droht die Gefahr, dass sich die Religion zu stark verändert, ihre wichtigsten Merkmale verliert und die Menschen vergessen, dass Gott viel von ihnen verlangt.
Zum Beispiel beim Beten, um darauf zurückzukommen. Der Religionslehrer Rolf Weinrich vertritt dazu eine nachgerade ernüchternde Ansicht:
Insgesamt scheint mir das Beten mehr eine Art Handwerk als eine Veranlagung zu sein. Es ist keineswegs ein natürlicher Impuls (außer vielleicht in großer Not, die bekanntlich das Beten lehrt). Normalerweise tun sich aber die meisten Menschen - auch Christen - mit dem Beten schwer.
Darum greifen sie zu Büchern, die sie das Beten lehren - und hier ist eine Warnung angebracht. Nicht vor Weinrichs schmalem Taschenbuch "Die Sache mit dem Glauben", das zwar äußerlich wie eines jener Traktatbändchen daherkommt, an die man sich als Erwachsener aus der eigenen Konfirmations- oder Kommunionszeit erinnern mag. Innerlich ist es eine sich nirgendwo anbiedernde Nachdenkerei über den Sinn des Lebens in der Pubertät und darüber hinaus. Nein, gewarnt werden muss vor Büchern wie Angelika Kipps "Ich will dir was erzählen, lieber Gott - Mit Kindern beten ist schön", das sich wie alle Ratgeber durch eine kaum zu unterbietende Schlichtheit auszeichnet. Müssen junge Eltern von heute ihren Kindern wirklich gedruckte Gebetsvorlagen in den Mund legen? Denken, fühlen, formulieren Kinder nicht viel komplexer als engstirnige Erwachsene? Sie können jedenfalls ziemlich gut rechnen:
Als die Tora dem Volk Israel übergeben wurde, hatte jeder Vers 2.400.000 Bedeutungen!« (...) So beginnt Herr Weil seinen Unterricht über die fünf Bücher Mose, die Tora. Schoscha ist sprachlos: 2.400.000 Bedeutungen für einen einzigen Vers? Unmöglich! Wahnsinn! (...) »Als die Tora dem Volk Israel übergeben wurde, standen 600.000 Juden am Berg Sinai. Jeder Einzelne von ihnen ist eine einzigartige, unverwechselbare Persönlichkeit und jeder Einzelne hat seine unverwechselbare Art, die Worte der Tora zu verstehen - macht also 600.000 Bedeutungen. Und jeder Vers hat, so sagen unsere Weisen, vier Bedeutungsebenen: den einfachen, wörtlichen Sinn, den übertragenen, symbolischen Sinn, den verborgenen, geheimen Sinn und den Sinn, nach dem gesucht, geforscht wird. 600.000 mal vier, das ergibt 2.400000.« Schoscha fällt Herrn Weil ins Wort: »600.000 Bedeutungen für 600.000 Juden? Jeden Tag ist man ein anderer und sieht die Dinge anders. Auf einen Juden könnten also in einem Jahr mehr als 300 Bedeutungen kommen.
"Mensch sucht Sinn" - ein weiterer Weltreligionenführer - geht das Vermittlungsproblem auf andere Weise an. Kein erklärendes Kindersachbuch, sondern eine Sammlung von Erzählungen internationaler Autoren, in deren Mittelpunkt jeweils eine religiöse Erfahrung steht. Die kann durchaus verblüffend ausfallen, wie etwa in der Buddhismus-Geschichte von Sybil Rosen, die nicht in Asien spielt, sondern in Virginia, USA. Die 14-jährige Shannon unternimmt mit ihrer zum Buddhismus konvertierten Hippie-Tante eine Kanufahrt und erlebt gegen alle inneren Widerstände ein Glückmoment in der beseelten Natur. "Mensch sucht Sinn" - der Titel ist wohl mit Kalkül unreligiös gewählt - spricht Jugendlich in ihrer eigenen Sprache an und entsakralisiert religiöse Zusammenhänge, indem alle Geschichten das praktische Tun und Erleben betonen. Entsakralisierung kann man allerdings auch kritisch sehen, und wie alle Übersichtsbände krankt das Buch an seiner Ausgewogenheit. Halten zu Gnaden: Müsste man als christlicher Mitteleuropäer nicht den Kulturrelativismus überwinden und seinen Kindern neben allen Toleranzfördernden Horizonterweiterungen zunächst das eigene Bekenntnis nahe bringen? So viel schlechter als die Konkurrenz ist es schließlich auch nicht.
Die Bibel für Kinder. Kinderbibeln für alle.
Bald war König Salomo für seine gerechten Urteilssprüche berühmt ... und er gab ihr das Kind
Hörbücher sind trojanische Pferde. Sie erlauben den Zugang ins kindliche Gemüt, während der Vorschlag, gemeinsam in der Kinderbibel zu lesen, auf taube Ohren stößt. Lesen ist anstrengend, Zuhören leicht. Peter Matics Lesung aus der Kinderbibel der Amerikanerin Heather Amery zeichnet sich dabei durch Komprimiertheit und entschlackte Sprache aus. Das kann man gut finden, aber man kann es auch als Verlust bedauern. Denn die Bibel ist weder schlank, noch komprimiert, noch sprachlich eindimensional.
Beides, ihre Themenfülle und ihre Sprachgewalt, haben im 20. Jahrhundert zu unendlich vielen Bearbeitungen für Kinder geführt, und es scheint, als setze das 21. diese Tendenz fort. Ein halbes Dutzend Neuerscheinungen ist allein in diesem Jahr auf den deutschen Markt gekommen; keine der Kinderbibeln gleicht der anderen. "Meine Bibel zum Mitmachen" der Holländerin Anne de Graaf wendet sich etwa an die ganz Kleinen ab drei Jahren und ist von José Pérez Montero im wilden Comicstil illustriert worden. Auch dies ein trojanisches Pferd, denn wie das Ohr lässt sich das Auge leichter erreichen als der Verstand. Mehr als eine frühe Gewöhnung an biblische Namen und Themenstränge kann ein solches Buch nicht leisten, aber als erste atmosphärische Hinführung mag man es gelten lassen. Einen gänzlich anderen Weg ging schon vor 20 Jahren Jörg Zink mit seinem Longseller "Der Morgen weiß mehr als der Abend". Diese Kinderbibel eigener Art ist nun von Pieter Kunstreich komplett neu illustriert worden - farbsatt, aber stilistisch ein bisschen rückwärtsgewandt -, parallel dazu gibt es 4 CDs im Handel. Es liest Veronica Ferres:
Als Jesus schon etwas größer geworden war, schaute er seinem Vater bei der Arbeit zu. Der war ein Häuserbauer. Er machte die kleinen Häuser aus Lehm oder aus Steinen, deckte sie mit Holzstangen und strich Lehm darauf, dass der Regen nicht hineinlief. Und manchmal stand er auch in einer Höhle und schlug ein neues Zimmer aus dem Felsen. Auch das machten die Häuserbauer. Der Junge sah ihm zu. Er lernte bei seinem Vater, wie man Häuser baut. Alle Jungen lernten damals den Beruf, den ihr Vater hatte. Wenn Sabbat war, das war der Tag, an dem niemand arbeitete und an dem man in den Gottesdienst ging wie bei uns am Sonntag, dann ging Jesus mit seinen Eltern in die Synagoge. Dort erzählte ein Lehrer die alten Geschichten von der Schöpfung der Welt und von den Vätern und Vorvätern der Juden. Dort lernte man Gebete, die man morgens und abends sprechen sollte. Und dort hörte Jesus auch von der großen Stadt Jerusalem und von dem herrlichen Tempel mit seinem goldenen Dach, wo an Feiertagen die prächtigen Gottesdienste gefeiert wurden und wo Gott den Menschen ganz besonders nahe war.
Nein, das ist keine Kinderbibel im herkömmlichen Sinne, sondern die Bearbeitung und Einbettung biblischer Motive in eine gewollt daherkommende Rahmenerzählung eines Fischers mit seinem kindlichen Helfer. Wie stark die Eingriffe an einzelnen Stellen waren, erläutert der Autor im Nachwort:
Es gibt meines Erachtens keine Ebene, auf der für ein Kind der Tod des Christus am Kreuz als erlösend, als hilfreich erscheinen könnte. Es ist schon fast unmöglich, einem Erwachsenen begreiflich zu machen, was sich im Mysterium des Todes Christi wirklich vollzog. Ich habe die Passionsgeschichte darum in ein indirektes Hörensagen verlegt.
Jörg Zinks Kinderbibel wirft grundsätzliche Fragen auf: Was will man eigentlich mit einem solchen Projekt erreichen? Will der Autor nur die für Kinder spannenden Geschichten aus dem Original extrahieren, um den Nachwuchs fragmentarisch an die abendländische Kultur zu gewöhnen? Will er ihn peu à peu in die christliche Lehre einführen, vielleicht sogar ein paar theologische Fragen aufwerfen? Oder findet er jenseits inhaltlicher Aspekte auch die altehrwürdige Sprache der Bibel so beeindruckend, dass er sie nicht verkleinern, verniedlichen, verstümmeln muss?
In Kinderbibeln sind die Texte im Vergleich zur »richtigen« Bibel oft stark verändert: vereinfacht und ausgeschmückt mit erfundenen Ereignissen, manchmal in einer Sprache, wie kleine Kinder sie sprechen. Hier und da bekommt der Text dabei einen ganz anderen Sinn. Ich traue dir mehr zu, denn ich weiß: Kinder wollen keinen »Kinderkram«, sie wollen ernst genommen werden. Wenn ich dir etwas erzählen würde, worüber du in einigen Jahren nur müde lächelst, dann wäre ich nicht glaubwürdig und dir würde die Bibel vielleicht gleichgültig werden.
Der katholische Grundschullehrer Rainer Oberthür ist Optimist und hat mit der "Bibel für Kinder und alle im Haus" eine wunderbare Zumutung in die Welt gesetzt. Das schwere, edel ausgestattete und hochwertig gedruckte Buch - zur Illustration kommen wir gleich - traut sich und der Welt mehr zu, als das die Kinderbibelmacher sonst tun. Originaltexte sind hier zu lesen, keine Verstümmelungen, aber natürlich werden sie erläutert. Durchaus anspruchsvoll für die angepeilte Leserschaft von acht bis zwölf Jahren. Ein Beispiel:
Nun ist es soweit: Gott, für den kein Name groß genug ist, zeigt seinen Namen. Gott sagt von sich: Ich bin Jahwe. Dieses hebräische Wort hast du in deiner Bibel von Anfang an gehört. Nun hat Gott selbst es Mose und auch dir erklärt. Doch in unsere Sprache ist der Gottesname schwer zu übersetzen. Oft wurde es versucht. Der Name bedeutet:
Ich bin der lCH-BIN-DA.
Ich werde da sein und bin immer da.
Ich bin der, der dein Da-Sein möglich macht.
Ich bin, der ich sein werde, und ich werde sein, der ich bin.
Eigentlich ist Jahwe viel mehr als ein Name. Jahwe ist ein Ereignis, das jederzeit geschieht. Jahwe ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Jahwe ist Anfang, Augenblick und Ende. Und durch Jahwe gibt es auch für uns die Erinnerung an das, was war, die Erfahrung des Lebens im Moment, der ist, und die Hoffnung auf etwas, was noch kommt.
Solch komplexe Gedanken setzen, wie der Autor selbst zugesteht, "aufgeweckte und nachdenkliche Kinder" voraus, aber dieses Buch ist ebenso gut für Religionsvergessene Erwachsene geeignet. Dazu trägt in nicht geringem Maße das überraschende Bebilderungskonzept von Rita Burrichter bei. Die Theologieprofessorin hat aus dem Fundus der abendländischen Malerei eine zu Herzen gehende Sammlung biblischer Motive zusammengestellt, von Rembrandt bis Nolde, die neben dem Hör- und Lesetraining auch eine Seh-Einübung ermöglichen. Ganz ohne Anstrengung ist Kultur nämlich nicht zu haben, weder die christliche, noch die weltliche. Aber es lohnt sich. Man muss die Oberthür-Bibel nur neben eine vierte Neuerscheinung legen, um den Klassenunterschied zu begreifen. Die konventionelle Kinderbibel von Renate Günzel-Horatz aus dem Arena-Verlag, deren kindlich-naive Mainstream-Illustrationen Situationen abbilden, statt Empfindungen hervorzurufen, wirkt wie ein Rückfall in die 70er-Jahre. Eine Fanfare für Rainer Oberthür, der - vielleicht unbeabsichtigt - einen Hausschatz für alle Konfessionen hervorgebracht hat.
Konfessionen im Widerstreit. Spannungsliteratur aus dem Christentum.
Eine Jugendgruppe im Sommerlager, seltsame UFO-Forscher, eine verschwundene Mumie, Drogenprobleme, erste Liebe, Zwist, Eifersucht - die Ingredienzien klingen vertraut nach Spannungsliteratur, vielleicht sogar mit trivialem Unterton. Doch schwingt da noch etwas anderes mit:
"Ich bin überhaupt nur hier, weil mein Alter hofft, dass ich mich sechs Wochen lang zu Tode langweilen werde", beschloss er seine Klagereden.
"Ach komm", widersprach Lucy. "Das kann ich nicht glauben. Dein Vater ist sicher der Meinung, dass das hier gut für dich sein wird."
"Ja, genau!", fuhr der Junge sie an. "So wie er denkt, dass es mir gut tut, als frömmelnder Schrulli durchs Leben zu torkeln und von allen halbwegs vernünftigen Leuten ausgelacht zu werden."
Jovanka, die bislang schweigend hinterhergestapft war, mischte sich ein. "Weil du fromm bist, brauchst du doch kein Schrulli zu sein."
Das löste eine neue Explosion aus. Wenn man Frank glaubte, war sein Vater - ein ehemals landeskirchlicher Pastor, der vor kurzem eine eigene freie Gemeinde gegründet hatte - ein hart gesottener Fundamentalist, der das gesamte moderne Leben mit Argwohn beäugte. Diskotheken waren auf jeden Fall out, Alkohol und Zigaretten verboten, Jugendzeitschriften, Kino und Rockmusik ebenfalls, das Internet wurde sorgfältig kontrolliert - wenn Frank surfte, überprüfte sein Vater nachher im Ordner "Verlauf" die Seiten, die er besucht hatte. "Am liebsten", klagte der Junge, "würde er mir einen Hirnfilter einbauen, der nichts durchlässt außer Bibelversen und seinen Predigten. Meine Mutter ist bereits abgehauen und verkehrt nur noch über ihren Anwalt mit ihm, so unerträglich ist es bei uns zu Hause. Aber ich sitze fest."
"Das Murnau-Projekt" heißt die dreiteilige Serie der Jugendbuchautorin Sophie Rosenberg, von der die ersten beiden Bände erschienen sind, der dritte kommt im Februar. Die vierzehn- bis achtzehnjährigen Helden erforschen die Geschichte eines verlassenen Bergdorfs ehemaliger protestantischer Exilanten, die 1727 aus dem katholischen Salzburger Land vertrieben wurden. Alles ist in diesen Büchern so, wie es in Jugendbüchern zu sein hat, aber doch irgendwie anders. Denn diese Jugendlichen haben einen kirchlichen Hintergrund. Sie kommen aus konventionellen evangelischen Gemeinden oder von streng konservativen freikirchlichen Vereinigungen. Die Konkurrenz der Konfessionen, die für moderne Teilzeitchristen und Kirchenkarteileichen keine Rolle mehr spielt, ist hier noch virulent - in seiner Aufarbeitung als historischer Stoff ebenso wie in der täglichen Gruppendynamik. Konzeptliteratur wie jede christliche Publizistik - doch souverän gehandhabt und nie peinlich.
Die erzählerische Freiheit, die Lust an dramatischen Spannungsbögen liegt Sophie Rosenberg näher als die Verkündigung einer Botschaft. Zurecht vertraut sie auf die Neugier junger Menschen, die - einmal für ein Thema sensibilisiert - von sich aus weitere Erkundigungen einziehen werden. Natürlich ist das Milieu kirchenfernen Jugendliche unvertraut, dennoch kann man die Bände des "Murnau-Projekts" in die Hände jedes Heranwachsenden drücken und schauen, ob der darin enthaltene Samen aufgeht. Dasselbe gilt für das erste vorgestellte Buch unserer heutigen Umschau, mit dem sie auch enden soll. Denn Monsignore Hartman und Rabbi Gellman haben bei ihrer Buchstabiererei Gottes eine Erklärung für die Unvollkommenheit der Welt gefunden, die man an den philosophischen Fakultäten mit dem sperrigen Wort "Theodizee" belegt, aber auch ganz einfach und poetisch ausdrücken kann. Nennen wir es die "Schweizer-Käse"-Theorie:
Es könnte natürlich auch sein, dass die Welt gar nicht perfekt sein soll und deshalb so etwas wie Löcher hat. (...) Gott selbst hätte sie in die Welt gebohrt, damit wir uns überlegen, wie wir sie stopfen können. Wenn man selbst Gott wäre und Menschen mit einer Menge Verstand und jeder Menge Zeit geschaffen hätte, würde man wahrscheinlich auch wollen, dass die Menschen ihren Verstand benützen, um die Löcher in der Welt zu stopfen. Die Löcher können unheilbare Krankheiten sein, Überschwemmungen in unseren Städten oder Dürrekatastrophen, die unsere Ernten vernichten. Oder die Tatsache, dass man einen Pickel auf der Nasenspitze bekommt, kurz bevor man zu einer wichtigen Verabredung geht; oder dass ein Anrufer in dem Moment auflegt, wenn man den Hörer abnimmt. Das sind nur ein paar Beispiele für große und kleine Löcher, deren Zustopfen Gott uns aufgegeben haben könnte. Für die Löcher können wir zwar nichts, aber wenn wir uns nicht genügend anstrengen, um sie zu stopfen, dann sind wir an ihnen schuld.
Die Bücher
Katharina Ebinger (Hrsg.): "Mensch sucht Sinn"
Mit Illustrationen von Eva Schöffman-Davidov
Gabriel Verlag 2004, 174 Seiten, 12,90 Euro
Marc Gellman, Thomas Hartman: "Wie buchstabiert man Gott?"
Aus dem Amerikanischen von Andrea Kann und Manuela Olsson
Carlsen Verlag 2004, 224 Seiten, 6,90 Euro
Anne de Graaf, José Pérez Montero: "Meine Bibel zum Mitmachen"
Aus dem Niederländischen von Jennifer Foster
Herder Verlag 2004, 448 Seiten, 14,80 Euro
Renate Günzel-Horatz: "Unsere erste Kinderbibel"
Mit Illustrationen von Astrid Krömer
Edition Bücherbär im Arena-Verlag 2004, 86 Seiten, 12,95 Euro
Angelika Kipp: "Ich will dir was erzählen, lieber Gott"
Mit Illustrationen von Marlies Rieper-Bastian
Kösel Verlag 2004, 80 Seiten, 12,95 Euro
Rainer Oberthür: "Die Bibel für Kinder und alle im Haus"
Mit Bildern der Kunst, ausgewählt und gedeutet von Rita Burichter
Kösel Verlag 2004, 336 Seiten, 19,95 Euro
Sophie Rosenberg: "Das verlassene Dorf / Das Murnau-Projekt 1"
Brendow Verlag 2004, 175 Seiten, 8,90 Euro
Sophie Rosenberg: "Gefangen im Nebel / Das Murnau-Projekt 2"
Brendow Verlag 2004, 175 Seiten, 8,90 Euro
Christine Schulz-Reiss: "Was glaubt die Welt?"
Mit Illustrationen von Werner Tiki-Küstenmacher
Loewe Verlag 2004, 152 Seiten, 12,90 Euro
Rolf Weinreich: "Die Sache mit dem Glauben"
Brendow Verlag 2004, 112 Seiten, 10,90 Euro
Jörg Zink: "Die Kinderbibel von Jörg Zink – Der Morgen weiß mehr als der Abend"
Mit Bildern von Pieter Kunstreich
Kreuz Verlag 2004, 206 Seiten, 17,90 Euro
Die Hörbücher
Heather Amery
"Meine große Kinderbibel"
Sprecher: Peter Matic
Der Hörverlag 2004
2 CD
Jörg Zink
"Die Kinderbibel"
Sprecherin: Veronica Ferres
Kreuz Verlag 2004
4 CD
... warnen Monsignore Thomas Hartman und Rabbi Marc Gellman ihre jungen Leser - oder vielleicht doch eher deren Eltern - zu Beginn des Weltreligionen-Führers "Wie buchstabiert man Gott?".
Wer beten kann, ist besser dran. Weltreligionen und Glaubensfragen für Kinder.
Aus ihrer Arbeit als katholischer Priester und jüdischer Talmudgelehrter wissen Hartman und Gelman, dass heitere Frömmigkeit den wenigsten Gläubigen gegeben ist, wohingegen Verbissenheit und Rechthaberei über alle Religionen und Konfessionen hinweg zu den unerfreulichen Randerscheinungen des Kampfes gegen den Atheismus gehören. Dabei hülfe gelassene Aufklärung weiter, und wie die aussehen kann, demonstrieren die beiden mit jiddischer Chuzpe und jesuitischer Schläue. Vier Fragen weisen ihnen dabei den Weg:
Was ist unser Platz in der Welt? Wie leben wir richtig? Wie sollen wir beten? Was passiert nach dem Tod mit uns?
Fragen, die tiefer zielen als die oberflächliche Wissensvermittlung des brav reportierenden Konkurrenzbuches "Was glaubt die Welt?" von Christine Schulz-Reiss. "Wie buchstabiert man Gott?" will keine nackten Fakten vermitteln, sondern übers Begreifen zum Glauben führen. Mit durchaus sophistischen Methoden, denn eine der vier Eingangsfragen ist ja zunächst nichts weiter als eine verkappte Behauptung: "Wie sollen wir beten?" setzt voraus, dass wir beten. Wir alle, irgendwann einmal, in schlimmster Not oder größter Freude, und dass uns das Rüstzeug dazu verloren gegangen ist. Stimmt das? Gehören Gebete zur menschlichen Grundausstattung wie Lieder, Musik, Tanz?
Selbst in Religionen, in denen man nicht an Gott glaubt, gibt es Gebete. Das Gebet dient dort dazu, den Geist zu reinigen wie mit einer Art heiligen Seife.
Den Tonfall muss man ertragen können, aber er steht beileibe nicht für eine alle Zumutungen der Religion verharmlosende Haltung. Im Gegenteil, je flapsiger die Passagen des Buches daherkommen, desto unerwarteter taucht plötzlich im Text ein Stoppschild auf: Glauben ist schön - macht aber viel Arbeit:
Wann immer man die strengen Regeln einer Religion lockert, so dass die Menschen im Alltag problemlos damit leben können, droht die Gefahr, dass sich die Religion zu stark verändert, ihre wichtigsten Merkmale verliert und die Menschen vergessen, dass Gott viel von ihnen verlangt.
Zum Beispiel beim Beten, um darauf zurückzukommen. Der Religionslehrer Rolf Weinrich vertritt dazu eine nachgerade ernüchternde Ansicht:
Insgesamt scheint mir das Beten mehr eine Art Handwerk als eine Veranlagung zu sein. Es ist keineswegs ein natürlicher Impuls (außer vielleicht in großer Not, die bekanntlich das Beten lehrt). Normalerweise tun sich aber die meisten Menschen - auch Christen - mit dem Beten schwer.
Darum greifen sie zu Büchern, die sie das Beten lehren - und hier ist eine Warnung angebracht. Nicht vor Weinrichs schmalem Taschenbuch "Die Sache mit dem Glauben", das zwar äußerlich wie eines jener Traktatbändchen daherkommt, an die man sich als Erwachsener aus der eigenen Konfirmations- oder Kommunionszeit erinnern mag. Innerlich ist es eine sich nirgendwo anbiedernde Nachdenkerei über den Sinn des Lebens in der Pubertät und darüber hinaus. Nein, gewarnt werden muss vor Büchern wie Angelika Kipps "Ich will dir was erzählen, lieber Gott - Mit Kindern beten ist schön", das sich wie alle Ratgeber durch eine kaum zu unterbietende Schlichtheit auszeichnet. Müssen junge Eltern von heute ihren Kindern wirklich gedruckte Gebetsvorlagen in den Mund legen? Denken, fühlen, formulieren Kinder nicht viel komplexer als engstirnige Erwachsene? Sie können jedenfalls ziemlich gut rechnen:
Als die Tora dem Volk Israel übergeben wurde, hatte jeder Vers 2.400.000 Bedeutungen!« (...) So beginnt Herr Weil seinen Unterricht über die fünf Bücher Mose, die Tora. Schoscha ist sprachlos: 2.400.000 Bedeutungen für einen einzigen Vers? Unmöglich! Wahnsinn! (...) »Als die Tora dem Volk Israel übergeben wurde, standen 600.000 Juden am Berg Sinai. Jeder Einzelne von ihnen ist eine einzigartige, unverwechselbare Persönlichkeit und jeder Einzelne hat seine unverwechselbare Art, die Worte der Tora zu verstehen - macht also 600.000 Bedeutungen. Und jeder Vers hat, so sagen unsere Weisen, vier Bedeutungsebenen: den einfachen, wörtlichen Sinn, den übertragenen, symbolischen Sinn, den verborgenen, geheimen Sinn und den Sinn, nach dem gesucht, geforscht wird. 600.000 mal vier, das ergibt 2.400000.« Schoscha fällt Herrn Weil ins Wort: »600.000 Bedeutungen für 600.000 Juden? Jeden Tag ist man ein anderer und sieht die Dinge anders. Auf einen Juden könnten also in einem Jahr mehr als 300 Bedeutungen kommen.
"Mensch sucht Sinn" - ein weiterer Weltreligionenführer - geht das Vermittlungsproblem auf andere Weise an. Kein erklärendes Kindersachbuch, sondern eine Sammlung von Erzählungen internationaler Autoren, in deren Mittelpunkt jeweils eine religiöse Erfahrung steht. Die kann durchaus verblüffend ausfallen, wie etwa in der Buddhismus-Geschichte von Sybil Rosen, die nicht in Asien spielt, sondern in Virginia, USA. Die 14-jährige Shannon unternimmt mit ihrer zum Buddhismus konvertierten Hippie-Tante eine Kanufahrt und erlebt gegen alle inneren Widerstände ein Glückmoment in der beseelten Natur. "Mensch sucht Sinn" - der Titel ist wohl mit Kalkül unreligiös gewählt - spricht Jugendlich in ihrer eigenen Sprache an und entsakralisiert religiöse Zusammenhänge, indem alle Geschichten das praktische Tun und Erleben betonen. Entsakralisierung kann man allerdings auch kritisch sehen, und wie alle Übersichtsbände krankt das Buch an seiner Ausgewogenheit. Halten zu Gnaden: Müsste man als christlicher Mitteleuropäer nicht den Kulturrelativismus überwinden und seinen Kindern neben allen Toleranzfördernden Horizonterweiterungen zunächst das eigene Bekenntnis nahe bringen? So viel schlechter als die Konkurrenz ist es schließlich auch nicht.
Die Bibel für Kinder. Kinderbibeln für alle.
Bald war König Salomo für seine gerechten Urteilssprüche berühmt ... und er gab ihr das Kind
Hörbücher sind trojanische Pferde. Sie erlauben den Zugang ins kindliche Gemüt, während der Vorschlag, gemeinsam in der Kinderbibel zu lesen, auf taube Ohren stößt. Lesen ist anstrengend, Zuhören leicht. Peter Matics Lesung aus der Kinderbibel der Amerikanerin Heather Amery zeichnet sich dabei durch Komprimiertheit und entschlackte Sprache aus. Das kann man gut finden, aber man kann es auch als Verlust bedauern. Denn die Bibel ist weder schlank, noch komprimiert, noch sprachlich eindimensional.
Beides, ihre Themenfülle und ihre Sprachgewalt, haben im 20. Jahrhundert zu unendlich vielen Bearbeitungen für Kinder geführt, und es scheint, als setze das 21. diese Tendenz fort. Ein halbes Dutzend Neuerscheinungen ist allein in diesem Jahr auf den deutschen Markt gekommen; keine der Kinderbibeln gleicht der anderen. "Meine Bibel zum Mitmachen" der Holländerin Anne de Graaf wendet sich etwa an die ganz Kleinen ab drei Jahren und ist von José Pérez Montero im wilden Comicstil illustriert worden. Auch dies ein trojanisches Pferd, denn wie das Ohr lässt sich das Auge leichter erreichen als der Verstand. Mehr als eine frühe Gewöhnung an biblische Namen und Themenstränge kann ein solches Buch nicht leisten, aber als erste atmosphärische Hinführung mag man es gelten lassen. Einen gänzlich anderen Weg ging schon vor 20 Jahren Jörg Zink mit seinem Longseller "Der Morgen weiß mehr als der Abend". Diese Kinderbibel eigener Art ist nun von Pieter Kunstreich komplett neu illustriert worden - farbsatt, aber stilistisch ein bisschen rückwärtsgewandt -, parallel dazu gibt es 4 CDs im Handel. Es liest Veronica Ferres:
Als Jesus schon etwas größer geworden war, schaute er seinem Vater bei der Arbeit zu. Der war ein Häuserbauer. Er machte die kleinen Häuser aus Lehm oder aus Steinen, deckte sie mit Holzstangen und strich Lehm darauf, dass der Regen nicht hineinlief. Und manchmal stand er auch in einer Höhle und schlug ein neues Zimmer aus dem Felsen. Auch das machten die Häuserbauer. Der Junge sah ihm zu. Er lernte bei seinem Vater, wie man Häuser baut. Alle Jungen lernten damals den Beruf, den ihr Vater hatte. Wenn Sabbat war, das war der Tag, an dem niemand arbeitete und an dem man in den Gottesdienst ging wie bei uns am Sonntag, dann ging Jesus mit seinen Eltern in die Synagoge. Dort erzählte ein Lehrer die alten Geschichten von der Schöpfung der Welt und von den Vätern und Vorvätern der Juden. Dort lernte man Gebete, die man morgens und abends sprechen sollte. Und dort hörte Jesus auch von der großen Stadt Jerusalem und von dem herrlichen Tempel mit seinem goldenen Dach, wo an Feiertagen die prächtigen Gottesdienste gefeiert wurden und wo Gott den Menschen ganz besonders nahe war.
Nein, das ist keine Kinderbibel im herkömmlichen Sinne, sondern die Bearbeitung und Einbettung biblischer Motive in eine gewollt daherkommende Rahmenerzählung eines Fischers mit seinem kindlichen Helfer. Wie stark die Eingriffe an einzelnen Stellen waren, erläutert der Autor im Nachwort:
Es gibt meines Erachtens keine Ebene, auf der für ein Kind der Tod des Christus am Kreuz als erlösend, als hilfreich erscheinen könnte. Es ist schon fast unmöglich, einem Erwachsenen begreiflich zu machen, was sich im Mysterium des Todes Christi wirklich vollzog. Ich habe die Passionsgeschichte darum in ein indirektes Hörensagen verlegt.
Jörg Zinks Kinderbibel wirft grundsätzliche Fragen auf: Was will man eigentlich mit einem solchen Projekt erreichen? Will der Autor nur die für Kinder spannenden Geschichten aus dem Original extrahieren, um den Nachwuchs fragmentarisch an die abendländische Kultur zu gewöhnen? Will er ihn peu à peu in die christliche Lehre einführen, vielleicht sogar ein paar theologische Fragen aufwerfen? Oder findet er jenseits inhaltlicher Aspekte auch die altehrwürdige Sprache der Bibel so beeindruckend, dass er sie nicht verkleinern, verniedlichen, verstümmeln muss?
In Kinderbibeln sind die Texte im Vergleich zur »richtigen« Bibel oft stark verändert: vereinfacht und ausgeschmückt mit erfundenen Ereignissen, manchmal in einer Sprache, wie kleine Kinder sie sprechen. Hier und da bekommt der Text dabei einen ganz anderen Sinn. Ich traue dir mehr zu, denn ich weiß: Kinder wollen keinen »Kinderkram«, sie wollen ernst genommen werden. Wenn ich dir etwas erzählen würde, worüber du in einigen Jahren nur müde lächelst, dann wäre ich nicht glaubwürdig und dir würde die Bibel vielleicht gleichgültig werden.
Der katholische Grundschullehrer Rainer Oberthür ist Optimist und hat mit der "Bibel für Kinder und alle im Haus" eine wunderbare Zumutung in die Welt gesetzt. Das schwere, edel ausgestattete und hochwertig gedruckte Buch - zur Illustration kommen wir gleich - traut sich und der Welt mehr zu, als das die Kinderbibelmacher sonst tun. Originaltexte sind hier zu lesen, keine Verstümmelungen, aber natürlich werden sie erläutert. Durchaus anspruchsvoll für die angepeilte Leserschaft von acht bis zwölf Jahren. Ein Beispiel:
Nun ist es soweit: Gott, für den kein Name groß genug ist, zeigt seinen Namen. Gott sagt von sich: Ich bin Jahwe. Dieses hebräische Wort hast du in deiner Bibel von Anfang an gehört. Nun hat Gott selbst es Mose und auch dir erklärt. Doch in unsere Sprache ist der Gottesname schwer zu übersetzen. Oft wurde es versucht. Der Name bedeutet:
Ich bin der lCH-BIN-DA.
Ich werde da sein und bin immer da.
Ich bin der, der dein Da-Sein möglich macht.
Ich bin, der ich sein werde, und ich werde sein, der ich bin.
Eigentlich ist Jahwe viel mehr als ein Name. Jahwe ist ein Ereignis, das jederzeit geschieht. Jahwe ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Jahwe ist Anfang, Augenblick und Ende. Und durch Jahwe gibt es auch für uns die Erinnerung an das, was war, die Erfahrung des Lebens im Moment, der ist, und die Hoffnung auf etwas, was noch kommt.
Solch komplexe Gedanken setzen, wie der Autor selbst zugesteht, "aufgeweckte und nachdenkliche Kinder" voraus, aber dieses Buch ist ebenso gut für Religionsvergessene Erwachsene geeignet. Dazu trägt in nicht geringem Maße das überraschende Bebilderungskonzept von Rita Burrichter bei. Die Theologieprofessorin hat aus dem Fundus der abendländischen Malerei eine zu Herzen gehende Sammlung biblischer Motive zusammengestellt, von Rembrandt bis Nolde, die neben dem Hör- und Lesetraining auch eine Seh-Einübung ermöglichen. Ganz ohne Anstrengung ist Kultur nämlich nicht zu haben, weder die christliche, noch die weltliche. Aber es lohnt sich. Man muss die Oberthür-Bibel nur neben eine vierte Neuerscheinung legen, um den Klassenunterschied zu begreifen. Die konventionelle Kinderbibel von Renate Günzel-Horatz aus dem Arena-Verlag, deren kindlich-naive Mainstream-Illustrationen Situationen abbilden, statt Empfindungen hervorzurufen, wirkt wie ein Rückfall in die 70er-Jahre. Eine Fanfare für Rainer Oberthür, der - vielleicht unbeabsichtigt - einen Hausschatz für alle Konfessionen hervorgebracht hat.
Konfessionen im Widerstreit. Spannungsliteratur aus dem Christentum.
Eine Jugendgruppe im Sommerlager, seltsame UFO-Forscher, eine verschwundene Mumie, Drogenprobleme, erste Liebe, Zwist, Eifersucht - die Ingredienzien klingen vertraut nach Spannungsliteratur, vielleicht sogar mit trivialem Unterton. Doch schwingt da noch etwas anderes mit:
"Ich bin überhaupt nur hier, weil mein Alter hofft, dass ich mich sechs Wochen lang zu Tode langweilen werde", beschloss er seine Klagereden.
"Ach komm", widersprach Lucy. "Das kann ich nicht glauben. Dein Vater ist sicher der Meinung, dass das hier gut für dich sein wird."
"Ja, genau!", fuhr der Junge sie an. "So wie er denkt, dass es mir gut tut, als frömmelnder Schrulli durchs Leben zu torkeln und von allen halbwegs vernünftigen Leuten ausgelacht zu werden."
Jovanka, die bislang schweigend hinterhergestapft war, mischte sich ein. "Weil du fromm bist, brauchst du doch kein Schrulli zu sein."
Das löste eine neue Explosion aus. Wenn man Frank glaubte, war sein Vater - ein ehemals landeskirchlicher Pastor, der vor kurzem eine eigene freie Gemeinde gegründet hatte - ein hart gesottener Fundamentalist, der das gesamte moderne Leben mit Argwohn beäugte. Diskotheken waren auf jeden Fall out, Alkohol und Zigaretten verboten, Jugendzeitschriften, Kino und Rockmusik ebenfalls, das Internet wurde sorgfältig kontrolliert - wenn Frank surfte, überprüfte sein Vater nachher im Ordner "Verlauf" die Seiten, die er besucht hatte. "Am liebsten", klagte der Junge, "würde er mir einen Hirnfilter einbauen, der nichts durchlässt außer Bibelversen und seinen Predigten. Meine Mutter ist bereits abgehauen und verkehrt nur noch über ihren Anwalt mit ihm, so unerträglich ist es bei uns zu Hause. Aber ich sitze fest."
"Das Murnau-Projekt" heißt die dreiteilige Serie der Jugendbuchautorin Sophie Rosenberg, von der die ersten beiden Bände erschienen sind, der dritte kommt im Februar. Die vierzehn- bis achtzehnjährigen Helden erforschen die Geschichte eines verlassenen Bergdorfs ehemaliger protestantischer Exilanten, die 1727 aus dem katholischen Salzburger Land vertrieben wurden. Alles ist in diesen Büchern so, wie es in Jugendbüchern zu sein hat, aber doch irgendwie anders. Denn diese Jugendlichen haben einen kirchlichen Hintergrund. Sie kommen aus konventionellen evangelischen Gemeinden oder von streng konservativen freikirchlichen Vereinigungen. Die Konkurrenz der Konfessionen, die für moderne Teilzeitchristen und Kirchenkarteileichen keine Rolle mehr spielt, ist hier noch virulent - in seiner Aufarbeitung als historischer Stoff ebenso wie in der täglichen Gruppendynamik. Konzeptliteratur wie jede christliche Publizistik - doch souverän gehandhabt und nie peinlich.
Die erzählerische Freiheit, die Lust an dramatischen Spannungsbögen liegt Sophie Rosenberg näher als die Verkündigung einer Botschaft. Zurecht vertraut sie auf die Neugier junger Menschen, die - einmal für ein Thema sensibilisiert - von sich aus weitere Erkundigungen einziehen werden. Natürlich ist das Milieu kirchenfernen Jugendliche unvertraut, dennoch kann man die Bände des "Murnau-Projekts" in die Hände jedes Heranwachsenden drücken und schauen, ob der darin enthaltene Samen aufgeht. Dasselbe gilt für das erste vorgestellte Buch unserer heutigen Umschau, mit dem sie auch enden soll. Denn Monsignore Hartman und Rabbi Gellman haben bei ihrer Buchstabiererei Gottes eine Erklärung für die Unvollkommenheit der Welt gefunden, die man an den philosophischen Fakultäten mit dem sperrigen Wort "Theodizee" belegt, aber auch ganz einfach und poetisch ausdrücken kann. Nennen wir es die "Schweizer-Käse"-Theorie:
Es könnte natürlich auch sein, dass die Welt gar nicht perfekt sein soll und deshalb so etwas wie Löcher hat. (...) Gott selbst hätte sie in die Welt gebohrt, damit wir uns überlegen, wie wir sie stopfen können. Wenn man selbst Gott wäre und Menschen mit einer Menge Verstand und jeder Menge Zeit geschaffen hätte, würde man wahrscheinlich auch wollen, dass die Menschen ihren Verstand benützen, um die Löcher in der Welt zu stopfen. Die Löcher können unheilbare Krankheiten sein, Überschwemmungen in unseren Städten oder Dürrekatastrophen, die unsere Ernten vernichten. Oder die Tatsache, dass man einen Pickel auf der Nasenspitze bekommt, kurz bevor man zu einer wichtigen Verabredung geht; oder dass ein Anrufer in dem Moment auflegt, wenn man den Hörer abnimmt. Das sind nur ein paar Beispiele für große und kleine Löcher, deren Zustopfen Gott uns aufgegeben haben könnte. Für die Löcher können wir zwar nichts, aber wenn wir uns nicht genügend anstrengen, um sie zu stopfen, dann sind wir an ihnen schuld.
Die Bücher
Katharina Ebinger (Hrsg.): "Mensch sucht Sinn"
Mit Illustrationen von Eva Schöffman-Davidov
Gabriel Verlag 2004, 174 Seiten, 12,90 Euro
Marc Gellman, Thomas Hartman: "Wie buchstabiert man Gott?"
Aus dem Amerikanischen von Andrea Kann und Manuela Olsson
Carlsen Verlag 2004, 224 Seiten, 6,90 Euro
Anne de Graaf, José Pérez Montero: "Meine Bibel zum Mitmachen"
Aus dem Niederländischen von Jennifer Foster
Herder Verlag 2004, 448 Seiten, 14,80 Euro
Renate Günzel-Horatz: "Unsere erste Kinderbibel"
Mit Illustrationen von Astrid Krömer
Edition Bücherbär im Arena-Verlag 2004, 86 Seiten, 12,95 Euro
Angelika Kipp: "Ich will dir was erzählen, lieber Gott"
Mit Illustrationen von Marlies Rieper-Bastian
Kösel Verlag 2004, 80 Seiten, 12,95 Euro
Rainer Oberthür: "Die Bibel für Kinder und alle im Haus"
Mit Bildern der Kunst, ausgewählt und gedeutet von Rita Burichter
Kösel Verlag 2004, 336 Seiten, 19,95 Euro
Sophie Rosenberg: "Das verlassene Dorf / Das Murnau-Projekt 1"
Brendow Verlag 2004, 175 Seiten, 8,90 Euro
Sophie Rosenberg: "Gefangen im Nebel / Das Murnau-Projekt 2"
Brendow Verlag 2004, 175 Seiten, 8,90 Euro
Christine Schulz-Reiss: "Was glaubt die Welt?"
Mit Illustrationen von Werner Tiki-Küstenmacher
Loewe Verlag 2004, 152 Seiten, 12,90 Euro
Rolf Weinreich: "Die Sache mit dem Glauben"
Brendow Verlag 2004, 112 Seiten, 10,90 Euro
Jörg Zink: "Die Kinderbibel von Jörg Zink – Der Morgen weiß mehr als der Abend"
Mit Bildern von Pieter Kunstreich
Kreuz Verlag 2004, 206 Seiten, 17,90 Euro
Die Hörbücher
Heather Amery
"Meine große Kinderbibel"
Sprecher: Peter Matic
Der Hörverlag 2004
2 CD
Jörg Zink
"Die Kinderbibel"
Sprecherin: Veronica Ferres
Kreuz Verlag 2004
4 CD