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Die Schulden der Spanier

Überzogene Zinsen, Zwangsversteigerungen und lebenslange Schulden - für viele Spanier sind ihre Immobilienkäufe zum Albtraum geworden. Private Insolvenz gibt es in Spanien nicht, die Schulden bleiben bis zum Lebensende. Letzte Hoffnung für viele: eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.

Von Hans-Günter Kellner |
    Eduardo Cachago blättert in seinen Kreditverträgen. 2006 hatte sich der 45-Jährige in Madrid eine knapp 60 Quadratmeter große Wohnung im Madrider Stadtteil La Elipa gekauft und dafür eine Hypothek aufgenommen. Doch die in starke Finanznöte geratene Madrider Sparkasse hat den Kredit in mehrere Darlehen aufgeteilt und einer Bank in der Schweiz übertragen:

    "Das war ein einziger Kredit. Jetzt tun sie so, als hätte ich neben der Hypothek ein weiteres Darlehen. Davon wusste ich gar nichts. Hier ist von einer Kreditkarte die Rede, über die ich mir 5000 Euro geliehen hätte. Diese Karte habe ich aber nie gesehen."

    Bei den vielen Unterlagen im Bankordner und einen Kreditvertrag mit einer Schweizer Bank, den Eduardo nie unterzeichnet hat, würden wohl einige den Überblick verlieren. Die Immobilienmakler hätten damals täglich die Großbaustelle der Madrider U-Bahn besucht und den Arbeitern die Wohnungen in der Gegend angepriesen. In der Bank habe ihm ein Angestellter später dann konstante Ratenzahlungen in Höhe von 800 Euro zugesichert. Doch in Wirklichkeit seien die Raten ständig gestiegen, erzählt Eduardo:

    "Da fühlt man sich wie ein kleines Kind, dem irgendetwas versprochen worden ist. 'Ihr habt mir gesagt, ich hätte eine Hypothek zu einem Festzins', habe ich denen gesagt, und die antworteten: 'Ja, fest, aber nur für sechs Monate.' Nach sechs Monaten würde die Hypothek den Leitzinsen angepasst. Aber nachdem ich nun schon mal unterschrieben hatte, zahlte ich eben weiter. Ich machte Überstunden, verdiente nach Feierabend und am Wochenende noch etwas dazu. Nur um diese Wohnung bezahlen zu können. Bis August 2008 bezahlte ich die Raten, am Ende waren es 1.760 Euro im Monat."

    Dann verlor er seine Arbeit. Er wollte der Bank die Wohnung überlassen, um dem Knebelvertrag zu entkommen. Doch das spanische Kreditrecht sieht so etwas nicht vor, der Schuldner haftet nicht nur mit der Wohnung, sondern mit seinem gesamten Vermögen. Die Bankangestellten schlugen ihm vor, im Rahmen seiner Möglichkeiten den Kredit weiter abzuzahlen. Was Eduardo nicht wusste, damit berechnete die Bank automatisch hohe Verzugszinsen. Zudem konnte er auch damit die Zwangsversteigerung nicht aufhalten - so sehr er sich auch bemühte, wenigstens einen Teil zu bezahlen:

    "Diese Leute informieren einen überhaupt nicht. Wenn sie mir gesagt hätten, dass all dieses Geld dann doch verloren geht, hätte ich von Anfang an gar nichts mehr gezahlt. Aber sie haben mir nie etwas gesagt. So habe ich noch als Arbeitsloser versucht, wenigstens einen Teil der Raten weiterzuzahlen, so wie der Filialleiter mir empfohlen hatte. Mal zahlte ich 1000 Euro, mal weniger. Hätten sie mir damals gesagt, dass die Wohnung so oder so zwangsversteigert wird und es gar keine Rolle spielt, wie viel ich zahle, hätte ich denen keinen Cent mehr gegeben. Die hätten gar nichts mehr von mir bekommen."

    Die Wohnung wurde inzwischen für 50.000 Euro versteigert, also für weniger als ein Fünftel des ursprünglichen Kaufpreises. Den Zuschlag bekam die Bank, die ihm den Kredit gegeben hatte. Aber auch damit ist Eduardo nicht schuldenfrei. Inzwischen schuldet er der Bank sogar mehr als die ursprüngliche Kreditsumme. Denn ihm wurden auch die Kosten der Versteigerung berechnet. Und durch die weiterhin auflaufenden Verzugszinsen steigen seine Schulden jeden Monat. Sollte Eduardo wieder Arbeit finden, würde ein Teil seines Gehalts sofort gepfändet - voraussichtlich bis an sein Lebensende. Denn ein privates Insolvenzrecht gibt es in Spanien nicht. So wie Eduardo geht es Tausenden Wohnungskäufern. Auch Richter kritisieren, die spanischen Gesetze machten aus einem Kreditkunden einen Leibeignen. Die Opfer dieser Praxis hoffen darum nun auf den Europäischen Gerichtshof. Ivan Cisneros, der für die "Plattform der Hypothekenopfer" die Bankgeschäfte jener Jahre untersucht, erklärt:

    "Die Banken missbrauchen ihre Position. Aber unter dem Vorwand der Vertragsfreiheit ist es in Spanien nicht möglich, selbst ganz offensichtlich missbräuchliche Klauseln anzufechten. Dieses System basiert auf der Verantwortung des Schuldners bis zu seinem Tod. Das kann doch nicht sein. Bei diesen Vertragsabschlüssen waren keine Verhandlungen möglich. Da gab es keine gleichberechtigten Vertragspartner. Hier gab es eine starke Seite, die Bank, die der Schwächeren, dem Käufer, ihre Konditionen diktiert hat. Die Anzeige in Luxemburg zielt darauf ab, diesen Missbrauch aufzudecken."

    Zwar strebt auch das spanische Parlament nach dem öffentlichen Druck eine Reform des Kreditrechts an. Doch Ministerpräsident Mariano Rajoy hat schon erklärt, aus Gründen der Rechtssicherheit werde sich das neue Gesetz keinesfalls rückwirkend auswirken. So ist der Europäische Gerichtshof in Luxemburg für viele Betroffene die letzte Hoffnung.